800.000 Menschen im Bürgergeld
Bremervörde. Bei seinem Besuch in Bremervörde, stand bei Lars Klingbeil das Thema Bürgergeld im Vordergrund. Es bezögen viele Menschen Bürgergeld, weil sie von ihrem Vollzeitjob nicht leben könnten.
Ein gesellschaftlicher Skandal
Der rund zweistündige Termin war sehr kurzfristig zustande gekommen und dennoch innerhalb kürzester Zeit „ausgebucht“ gewesen, da sich die Gäste vorab anmelden mussten. Die Moderation übernahm die SPD-Bundestagskandidatin Frauke Langen. Sie bemerkte mit einem Lächeln, dass sie als Harsefelderin mitten im Wahlkreis Stade I - Rotenburg II lebe, und damit näher an Bremervörde wohne, als an vielen Orten des Landkreises Stade. Anschließend erwiesen Langen und Klingbeil sich als sehr nahbare Zuhörer, als die fragestellenden Gäste ihre Sorgen und Nöte formulierten.
„Wir müssen nicht in Berlin festlegen, wie groß Kitaräume zu sein haben. Ein Bürgermeister, der sagt, er mache einen Kitaraum auf 13 Quadratmetern, dem fliegt das schon zuhause um die Ohren. Aber die Frage, ob es jetzt 42 oder 43 Quadratmeter sein müssen, das musst du nicht bundeseinheitlich in Berlin vorgeben“, so Klingbeil. Manchmal führe die Politik einfach „Quatschdebatten“. Ihm sei es egal, ob man nach Mallorca fliegen oder eine Bratwurst essen dürfe. „Mir ist es auch egal, ob jemand gendert.“ Am Anfang stehe für ihn die grundsätzliche Entscheidung, welche Gesellschaft wir sein wollten. Er sei der Meinung, wir benötigten einen Sozialstaat, der den Menschen helfe. Er ertrage es manchmal nicht mehr, wie verächtlich über unseren Sozialstaat geredet werde. Exemplarisch dafür sehe er die Bürgergelddebatte. „Wir diskutieren in der Gesellschaft nicht über zum Beispiel 1,5 Millionen Kinder, die Bürgergeld bekommen. Im Mittelpunkt stehen nicht diese 1,5 Millionen Kinder, die in Armutsverhältnissen leben. Wir reden beim Bürgergeld nicht über die 800.000 Menschen, die es beziehen müssen, obwohl sie erwerbstätig sind. Sie bekommen Bürgergeld, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Das betrifft vor allem alleinerziehende Frauen. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal für ein reiches Land wie Deutschland. Das sie nicht von ihrer Arbeit leben können, wird nicht diskutiert. Ich habe noch in keinem einzigen Artikel etwas darüber gelesen, dass es ein Skandal ist, dass 800.000 Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber davon nicht leben können. Stattdessen wird die Debatte geprägt von den 16.000 Totalverweigerern. Mich stört es in meinem Gerechtigkeitsempfinden, wenn Leute sagen, ‚ich nehme Geld vom Staat, ich könnte arbeiten, aber ich habe keinen Bock‘“, so Klingbeil mit Nachdruck.
Spaltung der Gesellschaft
Auch zum Thema AfD fand der Co-Vorsitzende deutliche Worte: „Natürlich verändert sich da gerade etwas. Ja, ich finde, dass man schlecht über sie reden muss, weil sie schlecht für das Land ist. Wir (die SPD) müssen die beste Politik machen. Und das in einer Zeit, wo die krisendichte extrem ist. Ich glaube, es gab lange nicht mehr eine so harte Zeit.“
Weiterhin glaube er nicht, dass man sich hinstellen und sagen könne, ab der Bundestagswahl würde alles einfacher. Die kommende Regierung werde ebenfalls sehr kompliziert bleiben. Die Probleme würden bereits mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus beginnen, zudem wisse man nicht, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergehe. Dazu käme obendrein, dass es Hinweise gebe, dass die AfD über eine Kommunikations-Infrastruktur verfüge, die das fünf- bis sechsfache von dem beinhalte, was die anderen, demokratischen Parteien haben würden. „Wo das Geld herkommt?“, fragte Klingbeil, um selbst eine Antwort anzufügen: „Ich weiß es nicht.“ Dort säßen Leute, „in Räumen wie diesem“, die es nicht interessiere, bzw. die sich keine Gedanken machten, wie man Menschen überzeuge, und dass es sich lohne, für diesen Sozialstaat und die Demokratie zu kämpfen, sondern Personen, die sich darum sorgten, dass diese oder jene Lüge verbreitet würde. „Das ist deren Strategie - die wollen (die demokratische Gesellschaft) spalten. Das muss man benennen. Es stimmt der Kern der Aussage, dass wir die Leute nur von der AfD wegbekommen, wenn wir (die demokratischen Parteien) es besser machen.“
Man müsse sehr aufpassen, dass nicht irgendwann „Typen“ mit der Kettensäge kämen, die in einer völligen Staatsverachtung sagten, „Rechtsstaat? Mitbestimmung? Braucht ihr nicht.“. „Deshalb müssen die Demokraten in der Mitte in der Lage sein, das in den nächsten Jahren zu ändern. Sonst haben wir ein Problem“, warnte Klingbeil.
Votum für Frauke Langen
Zum Ende der Veranstaltung bedankte sich Klingbeil dafür, dass er an diesem Nachmittag auch sehr gut zuhören durfte, was die Menschen in und um Bremervörde bewege.
Sein Fazit fasste der Politiker aus dem Heidekreis sehr ehrlich in klare deutliche Worte. „Es ist sozialdemokratische Politik, wenn man sagt, es muss sich lohnen zu arbeiten“, so Klingbeil. Man müsse auch mal mit den Kindern ins Kino können oder Essen gehen, bzw. ins Fitnessstudio. „Deshalb habe ich sehr viel Wert daraufgelegt, dass unser Programm so geschrieben ist, dass die Perspektiven der arbeitenden Menschen berücksichtigt wurden, die nicht mit 10.000 Euro, sondern mit einem monatlichen Einkommen von 2.500 Euro planen müssen.“
Abschließend bemerkte der im Heidekreis aufgewachsene Politiker, der am Bundestagswahlsonntag 47 Jahre alt wird, noch einmal, dass er die Ostestadt besuchte, um Frauke Langen dabei zu unterstützen, um von den Wähler hier ein Bundestagsmandat zu erhalten.