Lena Stehr

Wenn  der Chat zum Tatort wird

Landkreis. Die Polizei will die Verbreitung von Kinderpornografie in digitalen Medien stoppen und hat deshalb jetzt die Kampagne „Melden statt weiterleiten“ gestartet. Dass es grundsätzlich problematisch ist, erotische Bilder zu versenden, die Personen unter 18 Jahren zeigen oder an solche versendet werden, könnte allerdings manchem Teenie womöglich zum Verhängnis werden.
Die meisten Jugendlichen nutzen soziale Medien und teilen Inhalte über ihre Handys. Doch bei manchen Bildern oder Videos hört der Spaß auf.  Foto: Adobe Stock/Jacob Lund

Die meisten Jugendlichen nutzen soziale Medien und teilen Inhalte über ihre Handys. Doch bei manchen Bildern oder Videos hört der Spaß auf. Foto: Adobe Stock/Jacob Lund

Ein Jugendlicher berichtet in einem Kurzfilm, dass er von einem Kumpel ein Video geschickt bekommen hat, in dem zu sehen ist, wie ein „Typ“ ein Mädchen im Grundschulalter aufs Bett wirft und vergewaltigt. Mit diesem und drei ähnlichen Clips mit dem Namen „sounds wrong“ will die Polizei im Rahmen der Kampagne „Melden statt weiterleiten“ insbesondere Jugendliche dafür sensibilisieren, dass die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern nicht nur falsch, sondern auch strafbar ist.
Die Kampagne richtet sich an verschiedene Zielgruppen und besteht aus Filmen, die ab dem 28. Oktober auch auf YouTube zu sehen sind, Hintergrundinformationen, FAQ zum Melden von Kinderpornografie und Handlungsempfehlungen für den Ernstfall.
 
Jugendliche werden unwissentlich zum Täter
 
Oft sei Kindern und Jugendlichen nicht bewusst, dass hinter einem im Chat verbreiteten Video ein realer sexueller Kindesmissbrauch stehen könne, heißt es auf der Internetseite der Polizeilichen Kriminalprävention. Viele würden durch das Teilen entsprechender Inhalte so unwissentlich zu Täter*innen.
Laut der bundesweiten Kriminalstatistik war in Deutschland im Jahr 2019 etwa ein Drittel der erfassten Tatverdächtigen jünger als 18 Jahre (549 Kinder und 820 Jugendliche).
 
Ist „Sexting“ strafbar?
 
Soweit so gut. Doch was passiert, wenn sich junge Paare oder Bekannte einvernehmlich „sexten“? Beim so genannten Sexting versenden Menschen erotische Fotos, Videos oder Nachrichten von sich selbst über Mail oder Messenger-Dienste an ihnen bekannte Personen.
Bei Jugendlichen ab 14 Jahren, die sich gegenseitig und einvernehmlich eigene Nacktbilder zusenden, handele es sich laut Polizei um die Herstellung und Verbreitung von Jugendpornografie (§ 184c StGB).
„Grundsätzlich ergibt sich eine Strafbarkeit, sobald sexualisierte Mediendateien versendet werden, die Personen unter 18 Jahren zeigen oder an solche versendet werden“, sagt Heiner van der Werp, Polizeisprecher im Landkreis Rotenburg.
Zeigen die Aufnahmen Jugendliche, müsse geprüft werden, ob die Inhalte im Einverständnis der Beteiligten hergestellt wurden. Hieraus könne sich möglicherweise eine Straffreiheit ergeben.
 
Polizei warnt vor „Sexting“
 
„Wir warnen Jugendliche ganz eindringlich davor, Nacktbilder oder Videos von sich oder ihren Partnern - auch nicht untereinander - zu verschicken“, so van der Werp weiter. Die Polizei erlebe immer wieder, dass sich die Betroffenen bzw. ihre Eltern später an die Beamt*innen wenden und Anzeige erstatten. Außerdem ziehe das Versenden von Nacktbildern und Videos nicht nur strafrechtliche, sondern vor allem viele soziale Probleme nach sich. „Das können junge Menschen im Überschwang ihrer Gefühle überhaupt nicht überblicken“, sagt van der Werp.
 
Auch Besitz ist strafbar
 
Sexuelle Darstellungen von Kindern bis einschließlich 13 Jahre sind übrigens ausnahmslos verboten, weil sie unter den Tatbestand der Kinderpornografie fallen. Bei Kinderpornografie ist dabei nicht nur die Verbreitung eine Straftat, sondern bereits der Besitz, bzw. bereits das Anschauen entsprechender Dateien. Bekommt also ein 14-Jähriger von seiner 13-jährigen Freundin ein Nacktbild geschickt und löscht es nicht, macht er sich des Besitzes von Kinderpornografie strafbar.
Richard Lemke von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung unterstreicht die Wichtigkeit, Jugendliche für die Tragweite der Verbreitung von Kinderpornografie zu sensibilisieren.
 
„Das ist keine Bagatelle“
 
„Wenn in Klassenchats zum Beispiel als Mutprobe und zum Austesten von Grenzen Filme oder Bilder geteilt werden, auf denen Kindern sexuelle Gewalt angetan wird, dann ist das keine Bagatelle“, sagt Lemke. Und wer aufgrund der Verbreitung oder des Besitzes von kinderpornografischem Material vorbestraft sei, könne seine Karriere knicken.
Gleichwohl, macht Lemke aber im Unterschied zu van der Werp deutlich, findet eine Differenzierung zur Jugendpornografie statt. So steht im § 184c StGB zu Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften, dass bei Einvernehmlichkeit und wenn es sich ausschließlich um den persönlichen Gebrauch handele, kein Straftatbestand vorliege. Jugendliche Paare machen sich also nicht strafbar, wenn sie sich Nacktbilder schicken. Problematisch werde es bloß, wenn im Nachhinein einer der beiden behaupte, das Ganze sei doch nicht einvernehmlich geschehen, so Lemke.
 
Hoher Aufklärungsbedarf
 
Dass es grundsätzlich einen großen Aufklärungsbedarf gibt, bestätigt Joachim Schuch, Einrichtungsleiter im SOS Kinderdorf Worpswede. Es kämen immer mehr Eltern in die Familienberatungsstelle, die wissen wollen, wie sie damit umgehen sollen, wenn ihre Minderjährigen Kinder Nacktbilder oder Ähnliches bekommen oder verschicken.
Wichtig sei, mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Von Filtern und Verboten hält Schuch dagegen wenig. Schon sehr junge Kinder müssten aber lernen, ihre Meinung zu vertreten und ihre Rechte kennen.
Schuch hofft, dass es bald neben der bereits bestehenden Fachberatungsstelle mit dem Schwerpunkt Gewalt gegen Kinder und Jugendliche eine weitere Beratungsstelle im Landkreis geben wird, die sich ausschließlich mit dem Thema sexualisierte Gewalt befasst. Gerade im ländlichen Raum seien solche Anlaufstellen wichtig.
Hier gibt es Hilfe und Informationen:www.polizei-beratung.dewww.sos-kinderdorf.de/kinderdorf-worpswedewww.wildwasser-rotenburg.dehttps://niedersachsen.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de/home/    


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