Lena Stehr

Angst im Knast

Die Eltern eines Inhaftierten wähnten ihren Sohn in Lebensgefahr und erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Gefängnisleitung der JVA Bremervörde.
In der JVA Bremervörde gibt es mehr als 300 Plätze und knapp 200 Mitarbeitende.

In der JVA Bremervörde gibt es mehr als 300 Plätze und knapp 200 Mitarbeitende.

Bild: JVA BRV

Bremervörde. Laut Niedersächsischem Justizministerium sind etwa 6.000 Haftplätze im geschlossenen Vollzug in Niedersachsen derzeit zu etwa 95 Prozent belegt. Erst in der vergangenen Woche schlug der Chef des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands in der BILD-Zeitung Alarm und warnte insbesondere aufgrund von Personalmangel vor dramatischen Zuständen in Haftanstalten, wo Bedrohungen, Drogenkonsum und Schmuggel alltäglich seien.

 

„Mafiaähnliche Verhältnisse“

 

Von „mafiaähnlichen Verhältnissen im Gefängnis“ berichtet auch ein Ehepaar* aus der Region, deren Sohn* (55) derzeit eine sechsmonatige Haftstrafe in der JVA Bremervörde absitzt und sich dort erheblich bedroht gefühlt habe, beklaut worden sei und aus Angst vor Mitgefangenen, die erpresserisch und aggressiv auftreten würden, seine Zelle nicht mehr verlassen wollte. Kontakt zu seinen Eltern habe er nur dank hilfsbereiter Stationsbeamter aufnehmen können, die ihm ein paar Mal kurz ein Telefon geliehen hätten. In diesen Telefonaten habe er unter anderem auch davon berichtet, dass ein reger Handel mit Elektrogeräten und Lebensmitteln im Gefängnis stattfinde und auch, dass Briefe und Zeitschriften, die die Eltern ins Gefängnis geschickt hatten, nicht weitergeleitet worden seien.

 

„Er hätte in den offenen Vollzug kommen müssen“

 

„Wir wissen, dass unser Sohn Mist gebaut hat und nicht zu unrecht im Gefängnis sitzt“, stellt die Mutter klar. Er habe eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten wegen Fahrens ohne Führerschein bekommen, sich dann aber noch eine Körperverletzung zu Schulden kommen lassen, die mit einer Geldstrafe geahndet wurde. Daraufhin sei es zum Widerruf der Bewährungsstrafe gekommen und der Sohn musste ins Gefängnis.

Ihr Sohn sei zum ersten Mal in Haft, habe sich zum Haftantritt - zunächst in der JVA Lüneburg für den offenen Vollzug - selbst gestellt und keine Suchtproblematik. In Lüneburg sei ihr Sohn aber laut Staatsanwaltschaft Hamburg irrtümlicherweise gelandet, da Bremervörde aufgrund der Wohnortnähe zuständig sei.

Nach der Verlegung in die JVA Bremervörde sei ihr Sohn dann dort rund zwei Wochen lang im geschlossenen Vollzug untergebracht gewesen, habe nur ein kurzes Aufnahmegespräch gehabt, keinen Vollzugsplan erhalten und auch keine Prüfung auf offenen Vollzug, obwohl der offene Vollzug in seinem Fall die Regel sein müsste, so die Mutter, die selbst 35 Jahre im Hamburger Strafvollzug gearbeitet und dort unter anderem auch JVA-Stationen mit männlichen Gefangenen geleitet hat.

„Wir verstehen nicht, dass unser Sohn im geschlossenen Vollzug gelandet ist, wo er mit Schwerstkriminellen untergebracht war und sich von diesen bedroht fühlte. Sowas kann man doch einem Erstinhaftierten nicht antun“, sagt die Mutter.

Inzwischen sei ihr Sohn zumindest auf eine andere Station innerhalb des geschlossenen Vollzugs verlegt worden - ohne Schwerstkriminelle. Aber erst nachdem sich die Eltern an das Niedersächsische Justizministerium gewandt hatten.

 

Vorteile des offenen Vollzugs

 

Warum der Sohn aber nach wie vor nicht im offenen Vollzug ist, darauf gibt die JVA auf Nachfrage keine konkrete Antwort. Personenbezogene Auskünfte zum Fall könne Jana Opitz-Denell, stellvertretende Leiterin der JVA Bremervörde, nicht erteilen.

Doch die Frage bleibt brisant: Denn auf der Internetseite der JVA Bremervörde heißt es: „Die Möglichkeiten der Unterbringung Gefangener im offenen Vollzug sind wahrzunehmen und auszuschöpfen.“ Gerade für Erstinhaftierte und deren Familien ist diese Option eine enorme Entlastung.

Denn Studien zeigen, kürzlich auch von der Hirnforschung - dass der Entzug der Freiheit, die Monotonie, die Reizarmut, die Isolation - das „System Gefängnis“ - eine extreme psychische Belastung darstellen. Kommt noch die Angst vor gewalttätigen Insassen hinzu, wird nachvollziehbar, warum im Knast die Gefahr einer psychischen Erkrankung ums fünffache höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Nun könnte man einwenden, dass das Gefängnis kein All-inclusive-Hotel ist. Das stimmt, aber das Gefängnis legitimiert sich u. a. zentral über das Ziel der Resozialisierung. Die enorme psychische Belastung droht dieses Ziel aber nicht selten zu unterminieren. Die Statistik des Bundesjustizministeriums zeigt eindeutig: Die Rückfallquote für Strafgefangene liegt nach drei Jahren Haft recht stabil bei etwa 46 Prozent, nach zwölf Jahren sogar bei 66 Prozent.

Entsprechend ist das Thema offener Vollzug auch ein politisches. So erklärte Justizministerin Kathrin Wahlmann im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), dass der offene Vollzug „große Vorteile bei der Resozialisierung“ habe, weil die Gefangenen bereits direkten Kontakt mit der Welt außerhalb der Haft hätten. Es sei keinem damit gedient, wenn jemand nach einer fünfjährigen Haftstrafe ohne jegliche Vorbereitung aus dem Gefängnis wieder ins normale Leben entlassen werde. Dass Menschen im Anschluss an ihre Haft straffrei bleiben, gelinge deutlich besser, wenn schon frühzeitig mit der Resozialisierung begonnen werde. Zudem entlaste der offene Vollzug die vollen Gefängnisse.

 

Stellungnahme aus der JVA Bremervörde

 

Die stellvertretende Leiterin der JVA Bremervörde weist auf Nachfragen zu den konkreten Vorwürfen der Eltern des Inhaftierten allgemein darauf hin, dass sich „im Einzelfall Familienangehörige Gedanken um die hier inhaftierten Ehemänner, Väter, Söhne machen.“ Verständlicherweise, so Opitz-Denell. Für Familien als „mittelbare Opfer der Straftaten sei es oftmals die größte Herausforderung, damit umgehen und leben zu können, dass Vater, Sohn, Ehemann erst einmal nicht mehr zu Hause ist.“ Das belegen auch Studien. Aber bezogen auf den konkreten Fall scheint Opitz-Denell mit diesem Verweis auf die Psyche der Angehörigen implizit die Berechtigung der Vorwürfe an die JVA in Frage zu stellen.

Stattdessen betont sie, dass „Beschwerden von Gefangenen ernst genommen, Sachverhalte unbedingt geklärt und dringend gebotene Maßnahmen im Sinne der Sicherheit und Ordnung unverzüglich ergriffen werden.“ Alle 194 JVA-Mitarbeitenden hätten sich das Vertrauen in die Sicherheit der JVA Bremervörde erarbeitet. Dazu gehöre auch, alles an die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu setzen. In der JVA Bremervörde arbeite ein interdisziplinäres Team bestehend aus mindestens 15 unterschiedlichen Professionen zusammen, um gemeinsam mit den Gefangenen die gesetzlich bindenden Ziele zu erreichen. „Ich gebe zu, dass das teilweise mit erheblicher Motivationsarbeit verbunden ist; investierte Arbeit, die sich für jeden Strafgefangenen lohnt“, die nach absehbarer Zeit wieder zu Nachbarn werden können, so die stellvertretende Anstaltsleiterin.

Laut Aussage der Eltern habe die Anstaltsleitung inzwischen auch mit ihrem Sohn gesprochen und sich entschuldigt. Er könne nun auch mit einer eigenen Telefonkarte telefonieren und auch die Briefe und Zeitschriften seien inzwischen bei ihm angekommen. „Wir sind froh, dass es unserem Sohn nun besser geht, fragen uns aber, was mit Betroffenen passiert, die keine Angehörigen haben, die sich für sie stark machen“, sagt die Mutter.

 

Über die JVA Bremervörde

 

Die JVA Bremervörde ist die erste teilprivatisierte Justizvollzugseinrichtung in Niedersachsen und verfügt über 300 Haftplätze (186 Plätze der Strafhaft, 84 Plätze der Untersuchungshaft und 30 Plätze des offenen Vollzuges). Von den derzeit 194 Mitarbeitenden sind 119 Bedienstete des Landes Niedersachsen, 75 entstammen dem Personal des privaten Partners und seiner Nachunternehmer.

Die JVA Bremervörde ist eine Anstalt für männliche Erwachsene und zuständig für bis zu 17 Amtsgerichtsbezirke im Elbe-Weser-Raum. In ihr sitzen Menschen eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren ab. Die Auslastung liegt nach Zahlen von Mitte 2023 bei 82 Prozent, 247 von 300 Plätzen waren zu dem Zeitpunkt belegt. Eine Justizvollzugsanstalt gilt als ausgelastet, wenn 85 bis 90 Prozent der Plätze belegt sind.

Kernauftrag sei die Resozialisierung von Strafgefangenen, durch eine Vielzahl von delikts- und themenbezogenen Therapiemaßnahmen.


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