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Chefarzt des Kreiskrankenhauses über Impfstoff-Studien

Osterholz-Scharmbeck (jm). In Großbritannien und den USA werden die ersten Impfungen gegen das Coronavirus bereits vorgenommen, in Deutschland und der EU steht die Zulassung des ersten Impfstoffs kurz bevor. Auch Jürgen Heuser hat sich in den vergangenen Wochen mit den Studien zur Wirksamkeit der beiden mRNA-Imfpstoffe beschäftigt.
Jürgen Heuser ist Facharzt für Innere Medizin am Kreiskrankenhaus in Osterholz-Scharmbeck.  Foto: Kreiskrankenhaus Osterholz

Jürgen Heuser ist Facharzt für Innere Medizin am Kreiskrankenhaus in Osterholz-Scharmbeck. Foto: Kreiskrankenhaus Osterholz

Heuser ist einer der drei Chefärzte der Inneren Medizin am Kreiskrankenhaus in Osterholz-Scharmbeck, zu seinen Fachgebieten zählen Kardiologie, Notfall- und Intensivmedizin. Anfangs sei er skeptisch gewesen, gibt Heuser zu: „Ich bin lange Zeit davon ausgegangen, dass die Aussicht auf einen Impfstoff vor dem Frühjahr nicht realistisch sei.“ Auch die Wirksamkeit der neuen mRNA-Impfstoffe habe er bezweifelt.
 
„Positiv überrascht“
 
Inzwischen haben sowohl Biontech und Pfizer als auch Moderna bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Notfallzulassung ihrer Vakzine beantragt. „Dafür müssen sie ihre Daten offenlegen“, erklärt Heuser zum Zulassungsverfahren. Wie viele andere Kolleg*innen hat er die Studien selbst unter die Lupe genommen - und zeigt sich beeindruckt. Wenn der Hersteller selbst von einem Erfolg bei der Entwicklung spreche, könne das vieles heißen, sagt Heuser. Nachdem er die Daten selbst gesehen hat, sei er „angenehm überrascht, wie wirksam die neuen Impfstoffe sind“, so der Mediziner.
Im Vorfeld sei beispielsweise nicht klar gewesen, wie die Altersstruktur der Proband*innen in den Studien ausgesehen habe. „Jetzt kann man sehen, dass die Impfstoffe auch bei über 65-jährigen gut funktionieren.“ Unabhängig vom Alter der Proband*innen attestieren die Studienergebnisse dem Biontech-Impfstoff tatsächliche eine 95-prozentige Wirksamkeit. Das Vakzin von Moderna schneidet ähnlich ab. Unterschiede gebe es lediglich in der Handhabung: Der Impfstoff von Biontech muss deutlich stärker gekühlt werden.
 
Nebenwirkungen
 
„Das Sicherheitsprofil von BNT162b2 - dem Biontech-Imfpstoff - war durch kurz andauernde, milde bis moderate Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit und Kopfschmerzen gekennzeichnet“, berichtet Heuser weiter von den Studienergebnissen. Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen seien selten und darüber hinaus in der Impfstoff- und Kontrollgruppe gleich häufig aufgetreten. Dabei sei natürlich zu bedenken, dass die Laufzeit der Studien recht kurz war. Aussagen zu Langzeitfolgen der Impfung seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich. „Eine gewisse Unsicherheit bleibt“, sagt Heuser. „Da muss man abwägen, denn bei Covid-19 sehen wir auch immer mehr, wie desaströs das langfristig sein kann.“
„Natürlich wäre uns allen ein Impfstoff lieber, der schon seit zehn Jahren bekannt ist“, meint Heuser. Dennoch wolle er sich definitiv impfen lassen. „Ich denke, man kann sicher sagen, dass der Impfstoff über 60-jährige schützen kann, denn für sie ist Covid-19 sehr gefährlich.“ Bei jüngeren Menschen könne die Abwägung vielleicht anders ausfallen, mutmaßt Heuser. „Damit ein 20-jähriger, der statistisch ein eher geringes Risiko bei Covid-19 hat, von einem Impfstoff profitieren kann, muss der schon sehr sehr gut sein“, erklärt er.
 
Offene Fragen
 
„Man weiß, dass die Impfstoffe eine Covid-19-Erkrankung in den ersten zwei, drei Monaten - denn so lange liefen die Studien - verhindern kann“, sagt Heuser. Unklar sei jedoch, ob die Vakzine auch vor einer asymptomatischen Infektion mit dem Coronavirus schützen könnten. Ebenso wisse man nicht, ob geimpfte Personen das Virus trotzdem noch weiterverbreiten können. Getestet wurde der Impfstoff zudem - wie für klinische Studien üblich - nur an gesunden Erwachsenen. Ob das Vakzin bei unter 16-jährigen, schwangeren Frauen oder Menschen mit Vorerkrankungen die gleiche Wirksamkeit aufweise, könne man noch nicht beurteilen,
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Großer Schritt nach vorne
 
Die Pandemie von heute auf morgen beenden werde der Impfstoff natürlich nicht: „Corona einfach wegimpfen, ganz so einfach wird’s nicht werden. Mittlerweile aber ist klar, dass die Impfung in sehr kurzer Zeit beginnen und einen ganz großen Schritt nach vorn im Umgang mit der Pandemie bringen wird“, resümiert Heuser. „Ich will aus meiner persönlichen Freude über die derzeitige Wirksamkeit des Impfstoffes keinen Hehl machen. Die bekannt gewordenen Daten versprechen tatsächlich eine unerwartet gute Wirksamkeit gegen eine Covid-Infektion.“
Werbung machen für den Impfstoff wolle er nicht, stellt Heuser klar. „Meiner Meinung nach soll jeder wegbleiben, der das für klüger hält. Angesichts knapper Impfstoffe wird es sowieso viele Monate dauern, bis die Impfwilligen versorgt sind. Und dann haben wir für die anderen auch wieder genug Beatmungsgeräte. Und hoffentlich auch genügend geimpftes Fachpersonal.“


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