Der ganze Planet ist meine Heimat - Dr. Alexander Gerst hielt Vortrag in der Stadthalle
Osterholz-Scharmbeck. Der Tag der Luft- und Raumfahrt rückte die kleine Stadt Osterholz-Scharmbeck „in die Mitte des Universums“, zitierte Bürgermeister Torsten Rohde einen Radiosender in seinen kurzen Begrüßungsworten in der Stadthalle. „Zumindest für einen Tag“, sagte er vor den vielen Gästen, die jeden einzelnen Platz der Stadthalle samt Empore besetzten.
Es sei nicht nur eine tolle Idee gewesen, diesen Tag nach Osterholz-Scharmbeck zu holen, sondern habe auch einen Hintergrund, denn schließlich hätte „unsere Integrierte Gesamtschule (IGS) in Buschhausen am 23. Oktober 2018 wenige Minuten Funkkontakt zum Astronauten Dr. Alexander Gerst gehabt, der zu der Zeit über uns im Weltall schwebte in 400 Kilometern Höhe. Schweben ist vielleicht bei einer Geschwindigkeit von 28.000 Stundenkilometern schwer vorzustellen“, meinte Rohde.
Und nicht nur deshalb sei der Tag der Luft- und Raumfahrt sehr interessant. „Die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) haben einen erheblichen Nachwuchsbedarf. Eine solche Veranstaltung eignet sich hervorragend, um Interessen zu wecken.“ Das Beste des Tages der Luft- und Raumfahrt war aber der Auftritt des Astronauten Dr. Alexander Gerst, genannt Astro-Alex. Der 43-Jährige brachte nicht nur eindrucksvolle Fotos für seinen Vortrag mit, sondern auch seine eindringlichen Botschaften, die so einfach klingen und doch offensichtlich so schwierig umzusetzen sind. Nicht zum ersten Mal unterstrich Gerst, dass eine Raumfahrtmission wie „Blue Dot“ (2014) oder eben „Horizons“ (2018) ohne eine internationale Zusammenarbeit überhaupt nicht möglich sei. 15 Nationen und 100.000 Menschen seien an dieser Mission beteiligt. „Im Alleingang geht das gar nicht.“
Die Atmosphäre ist dünn und zerbrechlich
Superlaut sei die Rakete, in der es so eng sei wie in einem Fiat Panda, gestartet „mit uns Dreien an Bord“, neben ihm eine Astronautin aus den USA und ein Astronaut aus Russland. „Mädchen können diesen Job genauso gut wie Jungs“, wiederholte Gerst eine weitere seiner Botschaften. Den Abschied vom Leben auf der Erde und der Familie für mindestens sieben Monate müsse jeder Raumfahrer für sich allein abschließen. „Man legt seine Klamotten ab und schlüpft in den Raumanzug.“
Laut und schnell ins All
Nach dem infernalischen Start mit 400 Tonnen Schubkraft und einer Fallbeschleunigung von 4 G sei man nach drei Minuten bereits im Weltraum. „So schnell muss man sein, denn acht Minuten brennt die Rakete, danach befindet man sich durch die Erdkrümmung im freien Fall im Orbit.“ Drei Minuten ins Weltall, drei Stunden zur ISS, drei Tage dauere die Raumfahrt zum Mond. „Während des Starts sind alle Augen auf den Panels, zu leicht kann irgendwas schiefgehen. Aber danach fällt der Blick ins Nichts.“ Dann komme die Erde ins Blickfeld: „Die Atmosphäre um uns, unser Schutz ist sehr dünn. Ich war erschrocken, wie dünn und zerbrechlich sie ist.“
Begleitet haben ihn auf die letzte Mission Maus und Elefant, nachdem die Maus bereits 2014 mitgekommen sei. „Für die nächste Mission will ich die Ente überreden, sie ist die Ängstlichste“, sagte Astro-Alex und bekam dafür einen großen Applaus. Maus und Elefant konnten nun dabei sein, wie die Crew der ISS ungefähr 300 Experimente durchgeführt hatte: „Wissenschaftliche in der Parkinson-, Krebs- oder Alzheimer-Forschung, biologische zum Züchten von Klimawandel-resistenten Pflanzen oder sensorische Experimente in der Technologie. Am meisten Spaß gemacht haben mir die Schülerexperimente, die uns Kinder und Jugendliche mitgegeben haben. Da bekamen wir Ergebnisse, an die ich so nicht gedacht hätte.“ Zehn Prozent der Experimente seien mit menschlichen Fähigkeiten realisierbar gewesen, „wozu das Reagieren auf unvorhersehbare Ereignisse zählt“. Für die Präzision und das Wiederholen von Prozessen sei robotisch gearbeitet worden.
Wir verändern das Antlitz massiv
In der einen Stunde Freizeit am Tag habe sich Alexander Gerst an der Erde nicht sattsehen können. „Wie schön einfach Norddeutschland zu finden ist“, freute er sich „und wie nachdenklich mich der Anblick des Aralsees gemacht hat, dessen Fläche immer kleiner wird, wie die Gletscher immer weiter zurückgehen. Man sieht die Luftverschmutzung über Peking und über Mailand -wir verändern das Antlitz unserer Erde massiv.“ Wie erblindete Augen starrten trübe Flecken im atmosphärischen Blau auf den Fotos, die Gerst dazu zeigte. „Die großen dunklen Waldflächen werden immer heller durch das Roden. Es ist traurig, das zu sehen. Wenn es wirklich Außerirdische geben sollte und sie die Kriege und den Dreck sehen - ob die uns als friedlich und intelligent spezifizieren würden?“, fragte sich Gerst. Dabei geschehe nichts auf der Erde isoliert: „In der Atmosphäre vermischt sich alles sehr schnell.“
Noch viele Ziele da draußen
Fotos von morbider Schönheit wie die eines gigantischen Taifuns über dem Pazifik mit einem Auge von 80 Kilometern Durchmesser, von einem Meteoriteneinschlag in der afrikanischen Sahara oder vom Lichtermeer über Europa zeigte Gerst. Er zeigte einen Sternenhimmel, der zum Beweis taugte, dass es weit mehr Sterne als Sandkörner auf der Erde gibt, „und noch viel viel mehr. Und wir kennen nur einen davon ein bisschen (unsere Sonne) - das war’s. Wir sind ein Inselvolk, Entdecker und haben noch viele Ziele da draußen. Mond und Mars könnten wir als achten und neunten Kontinent nennen. Zumindest der Mond scheint aus der Erde entstanden zu sein und umwandert uns als Archiv der Erde.“
Traut euch!
Die nächste Mondmission sei von der NASA im Jahre 2024 geplant: „Man spürt die Aufbruchstimmung - wenn nicht in meiner Generation, dann aber mit Sicherheit in der nächsten. Wenn es euer Traum ist, dabei zu sein als Astronaut, Wissenschaftler oder Ingenieur, dann traut euch. Man muss dafür kein Superheld sein. Was ich kann, könnt ihr schon lange.“ Die Frage eines Kindes im Publikum, ob er eigentlich jemals wieder auf die Erde zurückwollte, beantwortete Alexander Gerst als wunden Punkt: „Ich wollte schon immer nach ein paar Tagen oder Wochen oder Monaten gern nach Hause zurück, aber im Weltall war es etwas anders.“ In wenigen Minuten sei man über Grenzen und Länder geflogen, dass der ganze Planet über die Monate Heimat geworden sei. „Ich landete in meiner Kapsel irgendwo in Kasachstan - da war ich noch niemals in meinem Leben. Und doch habe ich dort sofort den Geruch der Erde wiedererkannt. Der ganze Planet ist meine Heimat.“