Der Mann aus den Träumen
Einen filmischen Kommentar zur Memefizierung liefern Nicholas Cage und Regisseur Kristoffer Borgli mit „Dream Scenario“. Der Film funktioniert aber auch für sich genommen als Midlife-Crisis-Komödie, meint Benjamin Moldenhauer.
Nicholas Cage ist einer der wenigen Schauspieler, die es geschafft haben, zu ihrem eigenen Genre zu werden. Der Nicholas-Cage-Film emaniert genreübergreifend, in den letzten Jahren allerdings mit starker Schlagseite Richtung B-Movie und Horrorfilm. Er zeichnet sich aus durch forcierte Skurrilität, Overacting und Spektakelhaftigkeit in verschiedenen Formen. Nur wenig geht einem im Kino so sehr auf den Keks wie ein Nicholas-Cage-Film, der einen auf dem falschen Fuß erwischt.
Mit der Genrefizierung des Schauspielers Nicholas Cage ging eine Memefizierung einher, die karrierebestimmende Ausmaße angenommen hat. Cage hatte sich schon vorher quer durch alle Regionen gearbeitet, vom Autorenfilm (Lynch, Coens, Figgis, Jonze) übers Blockbuster-Kino (Con Air, The Rock) bis hin zu einem 2006 erschienenen Wicker Man-Remake. Die Szene, in der Cages Figur von Bienen angegriffen wird und verzweifelt rumschreit, ließ den Mann zu einer unerschöpflichen Quelle für Meme-Material werden. Die Signifikanz dieses filmhistorischen Moments ist noch nicht vollständig ausgedeutet worden. Das „Not the Bees!“-Meme ist genau zu dem Zeitpunkt viral gegangen, als die Verwurstung von Filmbildern und -sequenzen zu Memes und GIFs an Fahrt aufnahm und seitdem die Filmwahrnehmung der nach 2000 Geborenen mitbestimmt.
Seitdem jedenfalls ist das Zentrum der Filme mit Nicholas Cage Nicholas Cage, also nicht nur seine jeweilige Figur, sondern Nicholas Cage selbst, in all seiner Nicholas-Cage-Haftigkeit. Was sich im konkreten Erleben eines Nicholas-Cage-Films in der bei Zuschauerin und Zuschauer auf der Metaebene konstant mitlaufenden Frage manifestiert, was Nicholas Cage wohl dieses Mal Verrücktes anstellen wird.
Diese Meta-Ebene läuft im Nicholas-Cage-Film – egal, ob quietschbunter Splatter wie Mandy oder im Overacting-Overkill Renfield – immer mit. Von der impliziten auf die endgültig explizite Ebene gehoben wurde sie vor zwei Jahren mit Massive Talent, in dem Nicholas Cage dann einfach Nicholas Cage spielt. Und auch rückblickend nimmt man zum Beispiel die bereits sehr Nicholas-Cage-lastige Nicholas-Cage-Performance in David Lynchs Wild at Heart als Teil des Genres des Nicholas-Cage-Films wahr.
Diese Metaebene ist im Falle von Nicholas Cages neuem Film Dream Scenario nun zum zweiten Mal in den Plot gerutscht. Nicholas Cage spielt den erfolglosen, semi-apathischen und mitten in der Midlife Crisis sich befindenden Biologieprofessor Paul Matthews, der zu einer Art freudianischem Meme wird. Paul geht als Erscheinung in den Träumen der Menschen viral, erst im Nahbereich und dann weltweit. Zuerst tut er nichts und steht nur rum, auch wenn die Träumenden in ihren Träumen zu Tode kommen. Diese Teilnahmslosigkeit und Indifferenz, die Paul in den Erzählungen der Träumenden an den Tag legt und von ihnen gespiegelt bekommt, quält ihn. Seine 15 Minuten Fame, die er als globales unerklärliches Phänomen bekommt, genießt er wiederum. Und wie Cage diese Gleichzeitigkeit aus Eitelkeit, Wurstigkeit, stiller Verzweiflung und Tapsigkeit in Szene setzt, ist wirklich herzerweichend und geht über seine übliche Performance weit hinaus. Dream Scenario ist zum einen hochkomisch, zum anderen aber berührt der zunehmend überforderte, zugleich schlaue und vertrottelte Paul einen sehr. Diese Gleichzeitigkeit hat Dream Scenario mit Sick of Myself, dem vorherigen Film von Regisseur Kristoffer Borgli gemeinsam.
Damit funktioniert Dream Scenario nicht nur auf der Meta-Ebene, sondern auch Eins-zu-eins, als Midlife-Crisis-Komödie, die ihren Antihelden nicht schonen möchte. Vielleicht auch deswegen, weil Cage hier mit einem Mal betont minimalistisch spielt und somit seinen üblichen Modus untergräbt. Und man zum ersten Mal seit Langem wieder sieht, was für ein toller Schauspieler der Mann eigentlich ist. Der hier sozusagen in einem impliziten filmischen Kommentar zur eigenen Memefizierung sozusagen zu sich selbst zurückkommt; einem filmischen Kommentar, der aber als Tragikomödie auf vielen anderen Ebenen einschlägt.
Dienstag, 10. Dezember, und Mittwoch, 11. Dezember um 20.15 Uhr in den Ritterhuder Lichtspielen