Patrick Viol

Die radikalsten Dschihadisten - Islamischer Staat im Fokus

Vom „Islamischer Staat“ geht ein neue Bedrohung für die öffentliche Sicherheit aus. Patrick Viol gibt einen Einblick in die Terrororganisation.

Abu Bakr al-Baghdadi war die zentrale Figur des IS bis zu seinem Tod im Jahr 2019. Er  rief 2014 das „Islamische Kalifat“ aus.

Abu Bakr al-Baghdadi war die zentrale Figur des IS bis zu seinem Tod im Jahr 2019. Er rief 2014 das „Islamische Kalifat“ aus.

Bild: picture-alliance/AP

Die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus in Deutschland ist hoch. Jüngste Ereignisse, wie das Attentat in Solingen, der vereitelte Anschlag auf das israelische Konsulat in München und ein bewaffneter Vorfall in Linz mit einer Machete, verdeutlichen die aktuelle Lage. Bei dem Vorfall in Linz wurde eine Flagge der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gefunden, während die Terrororganisation den Messerangriff in Solingen, bei dem drei Menschen getötet wurden, für sich reklamiert hat.

Peter Neumann, Terrorismusexperte am King‘s College in London, beschreibt die Situation als eskalierend und sieht Anzeichen einer kommenden „Welle“ des Terrorismus. Laut dem Bundeskriminalamt befindet sich Deutschland seit Jahren im Zielspektrum des dschihadistischen Terrorismus. In den letzten zehn Monaten wurden in Westeuropa 21 versuchte Anschläge registriert, von denen sieben tatsächlich durchgeführt wurden, was eine Vervierfachung im Vergleich zu 2022 darstellt. Experten weisen darauf hin, dass seit etwa zwei Jahren eine Zunahme an relevanten Gefährdungshinweisen erkennbar ist.

Die geht vor allem vom Islamischen Staat und seiner Untergruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan aus.

Im September vor 10 Jahren hat die internationale Gemeinschaft den Kampf gegen den IS aufgenommen und ihm 2019 eine Niederlage 2019 beschert. Nun hat er zu neuer Stärke gefunden. Was aber ist eigentlich der IS und wofür kämpft er?

 

Politischer und geschichtlicher Hintergrund

Der „Islamische Staat“ (IS), auch bekannt als Daesh, ist eine dschihadistische Terrororganisation, die weltweit für ihre extremistische Ideologie und brutalen Methoden gefürchtet ist. Die Gruppe, die sich selbst als Kalifat versteht, hat ihre Wurzeln in den chaotischen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen des Nahen Ostens, insbesondere im Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 und dem arabischen Frühling.

Die Entstehung des IS ist eng mit der Invasion des Irak durch die USA und die nachfolgende Destabilisierung der Region verbunden. Nach der Entmachtung Saddam Husseins verfiel das Land in Chaos. Verschiedene religiöse und ethnische Gruppen konkurrierten um Macht, und die irakische Regierung unter Führung der schiitischen Mehrheit war nicht in der Lage, eine stabile Ordnung zu schaffen. Sunnitische Muslime litten darunter besonders.

In diesem Kontext bildete sich aus den Überresten der al-Qaida im Irak (AQI), einer bereits extremistischen Gruppe unter der Führung von Abu Musab al-Zarqawi, der Kern des späteren IS. Nach Zarqawis Tod im Jahr 2006 übernahmen neue Anführer das Ruder, darunter Abu Bakr al-Baghdadi, der 2010 die Kontrolle übernahm und den IS in eine mächtige und gefürchtete Organisation verwandelte.

 

Ideologie und Zielsetzungen

Die Ideologie des IS basiert auf einer extremistischen Auslegung des sunnitischen Islams. Selbst die Taliban sind dem IS zu liberal. Zentrale Rolle spielt der Antisemitismus und der Hass auf den Westen.

Die Gruppe strebt die Errichtung eines weltweiten Kalifats an, in dem die Scharia - das islamische Recht- streng durchgesetzt wird.

Der angestrebte Staat wird dazu nur als Mittel begriffen. Eine in Staaten verfasste Welt lehnt der IS ab.

In seiner Interpretation des Islam gibt es keinen Platz für andere Religionen. Alle - auch schiitische Muslime, werden als „Ungläubige“ betrachtet und gnadenlos verfolgt, gefoltert und getötet.

Der IS sieht sich selbst als legitimer Nachfolger des Kalifats, das nach dem Ersten Weltkrieg zusammenbrach. In der Praxis bedeutet dies die Errichtung einer brutalen und autoritären Herrschaft, die durch extreme Gewalt, Sklaverei und Terror gestützt wird. Die Gruppe nutzt sowohl physische als auch psychologische Gewalt, um ihre Macht zu sichern und neue Anhänger zu rekrutieren. Sie stiftet Chaos, um sich als Ordnungsmacht zu etablieren. Dabei geht es ihr nicht darum, die Muslime für sich zu begeistern, sondern zu unterwerfen.

 

Zentrale Personen

Abu Bakr al-Baghdadi war die zentrale Figur des IS bis zu seinem Tod im Jahr 2019. Er erklärte sich 2014 in der Moschee von Mosul zum Kalifen und rief damit das „Islamische Kalifat“ aus. Unter seiner Führung expandierte der IS rapide und eroberte große Teile des Iraks und Syriens. Der Islamische Staat kontrollierte zuletzt mehr Territorium und hatte eine größere Bevölkerung als die Hälfte der Mitgliedstaaten der UN.

Baghdadi galt als charismatischer, aber auch gnadenloser Führer, der bereit war, extreme Maßnahmen zu ergreifen, um seine Ziele zu erreichen. Ein weiterer bedeutender Akteur war Abu Mohammad al-Adnani, der als Sprecher des IS und Kopf der internationalen Operationen fungierte. Er war maßgeblich für die globale Propagandakampagne der Gruppe verantwortlich, die über soziale Medien und andere Kanäle weltweit junge Muslime zu rekrutieren suchte.

 

Brutale Methoden

Die Brutalität des IS ist eines seiner bekanntesten Markenzeichen. Die Gruppe nutzt eine Mischung aus militärischer Gewalt, Terrorismus und Propaganda, um Angst zu verbreiten und ihre Kontrolle zu sichern. Besonders bekannt wurde der IS für seine grausamen Hinrichtungen, die oft gefilmt und online verbreitet wurden. Diese Videos zeigten Enthauptungen, Kreuzigungen und andere barbarische Strafen, die nach Ansicht des IS im Einklang mit der Scharia stehen.

Neben den physischen Gräueltaten nutzt der IS auch systematisch psychologische Kriegsführung. Durch die gezielte Zerstörung kultureller und religiöser Stätten versucht die Gruppe, die moralischen und kulturellen Grundlagen ihrer Feinde zu untergraben. Diese Methoden haben nicht nur Schrecken verbreitet, sondern auch dazu beigetragen, den IS als eine unberechenbare und extrem gefährliche Macht darzustellen.

 

Einfluss und Gegenwehr

Der IS konnte in den Jahren nach seiner Gründung vor allem durch die Instabilität in Syrien und im Irak stark an Einfluss gewinnen. Erst durch eine internationale Koalition, angeführt von den USA, wurde der IS ab 2014 schrittweise zurückgedrängt. Der militärische Druck führte schließlich zum Verlust fast aller vom IS kontrollierten Gebiete.

Doch obwohl das „Kalifat“ territorial zerschlagen wurde, bleibt der IS eine gefährliche Bedrohung. Viele Kämpfer sind in den Untergrund gegangen oder haben sich in andere Länder abgesetzt, wo sie weiterhin Anschläge planen und durchführen. Die Ideologie des IS lebt weiter, unterstützt durch die weiterhin vorhandenen sozialen und politischen Missstände in der Region.

Attentäter in Westeuropa radikalisieren sich derzeit über TikTok und X und begehen Anschläge meist mit alltäglichen Gegenständen. Damit sind sie für die Sicherheitsbehörden nur schwer im Vorfeld zu verhindern. Laut Neumann bedient der IS bei seinen „Soldaten“, meist junge Männer, das Bedürfnis nach Identität, Macht und Männlichkeit, dessen Befreidigung ihnen das westliche Land, in dem sie meist aufgewachsen sind, nicht erfüllt. Teil des Islamischen Staats zu sein verleiht dem Einzelnen das Gefühl von Macht und Größe. Es seien nicht selten Schwache, Vorbestrafte und sich gedemütigt Fühlende, die im Kampf für die Umma - die Gemeinschaft aller Muslime - eine idealisierte Version von sich selbst suchen.


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