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Komplizierte Kaffeebeziehungen

Am 1. Oktober wird der Tag des Kaffees gefeiert. Die ANZEIGER-Redaktion hat sich einige Gedanken zur dunklen Brühe gemacht...

Patrick Viol sieht in Kaffee den flüssigen Komplizen des Kapitals

Patrick Viol sieht in Kaffee den flüssigen Komplizen des Kapitals

Kaffee ist auch aus dem Büro der ANZEIGER-Redaktion nicht wegzudenken. Einige Gedanken zum Kaffee, seiner Geschichte und unserer persönlichen Geschichte mit ihm finden Sie hier.

 

"Eine solide Beziehung" von Lena Stehr

Ich und Kaffee – definitiv keine Liebe auf den ersten Blick. Vielleicht, weil mein erster Schluck des koffeinhaltigen Gesöffs quasi unfreiwillig in meinem Mund landete. Im Grundschulalter war ich mit meiner Oma zu Besuch bei ihrer Schwester. Weil die weder Saft noch Brause im Haus hatte, schenkte sie mir kurzerhand eine Tasse Kaffee ein. Vielleicht sollte ich mich wie eine „Dame“ fühlen. Ich fand das bittere Getränk aber einfach nur ekelhaft – obwohl viel Milch drin war.

Viele kaffeelose Jahre zogen daraufhin ins Land. Abgesehen vom gelegentlichen Konsum eines Caramel Macchiato (der natürlich überhaupt nicht nach Kaffee schmeckt), änderte sich an meiner Kaffeeabneigung auch im Erwachsenenalter nichts. Bis ich anfing, bei der Zeitung zu arbeiten. Noch während meines Volontariats mit Mitte 20 verliebte ich mich irgendwie in den Wachmacher und bildete mir ein, den langen, anstrengenden Tag nur zu überstehen, wenn ich dabei Kaffee trank – alle anderen aus der Redaktion machten das schließlich auch so.

Inzwischen bin ich Anfang 40 und der Kaffee und ich führen eine solide Beziehung, die es auch verkraftet, wenn man morgens nicht gleich als erstes übereinander herfällt. Es kam auch schon vor, dass wir mal einen Tag lang gar keinen Kontakt hatten. Manchmal find ich ihn auch heute noch ekelhaft und trinke ihn nur aus Gewohnheit oder verzichte ganz. Zum Beispiel, wenn er aus einem Vollautomaten in den Becher plätschert oder keine Milch da ist. Wenn er aber brühwarm aus meiner Old School Filter-Kaffeemaschine tröpfelt, um sich anschießend in meiner Bob Dylan-Tasse mit einem Schuss Vanille-Mandelmilch zu vereinen, dann liebe ich ihn.

 

"Der flüssige Komplize des Kapitals" von Patrick Viol

 

„Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“ Diesen Satz schrieben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung. Eines dieser furchtbaren Dinge, die Kinder sich antun müssen, um identisches, das heißt lohnarbeitendes Subjekt zu werden, ist, spätestens ab der Pubertät, Kaffee. Zumindest war es bei mir so.

Gut, meine Mutter hatte mir als stolze Ostfriesin schon früh Tee als Einstiegsdroge eingeflößt, weshalb der erste Schluck Kaffee für mich nicht ganz so schlimm war wie für jene, die bis dahin nur Bioapfelsaftschorle trinken durften. Dennoch, geil war Kaffee nicht. Und runter ging das Zeug nur mit Milch und Zucker. Heute finde ich diese Mixtur einfach eklig. Das heißt nicht, dass Kaffee mit Milch und Zucker objektiv eine widerliche Sache ist. Es heißt nur, dass ich meine Geschmacksnerven so zugerichtet habe, dass ich das, was ich einst richtig übel fand, nun richtig geil finde.

Und das ist das Modell unserer Zivilisation, das sich im Kaffeekonsum miniaturhaft zusammenzieht. Wir tun uns so lange Gewalt an, bis das, was wir uns mit Gewalt zugefügt haben, Teil von uns wird. So übt sich jeder beim Kaffeekonsum ins Lohnarbeitsverhältnis ein. Auf jeden Tag Arbeit hat man nur dann Bock, wenn man sich über lange Zeit, angetrieben von Angst ums Überleben, dazu gezwungen hat, dahin zu gehen. Natürlich ist das nicht. Kaffee ist somit der flüssige Komplize des Kapitals: sein Disziplinierungsgesöff. Er ist es heute, indem er Menschen hilft, uns ein klein wenig von unserer faulen Natur zu emanzipieren und uns in einen Funktionsrahmen zu fügen.

Denn egal, ob man noch oder schon wieder müde ist: Kaffee lässt einen durchziehen und verleiht einem dabei auch noch das Gefühl der Behaglichkeit. Seine Wärme täuscht uns über den kalten Selbstbetrug hinweg. Und er war Komplize zur Zeit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft, weil er dem freien Arbeiter, der lange mit dem Verlust seiner Produktionsmittel nicht klar kam und ständig besoffen war, half, für die Arbeit einigermaßen nüchtern zu werden.

Deshalb ist die Geschichte des Kaffees nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der objektiven Ebene eine der Gewalt. Aber nicht nur diente er der Internalisierung des bürgerlichen Arbeitszwangs. Zu seinem Anbau kolonialisierte man fremde Länder und versklavte Menschen. Im Kapitalismus gibt es halt nichts Harmloses, nicht einmal Kaffee ist unschuldig. Und das schmeckt jeder, der ihn zum ersten Mal probiert.

 

"Immer ein bisschen bitter" von Luisa Mersmann

 

Alle kennen ihn. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Die die ihn lieben, sind vor ihrem ersten morgens kaum ansprechbar. Kaffee. Das wohl beliebteste Getränk der Deutschen, noch vor Bier und Wasser. Zugegeben, auf durchschnittlich vier Tassen, wie es in Deutschland der Fall ist, komme ich mit meinen drei nicht ganz. Doch auch ich habe über die letzten Jahre eine gewisse Beziehung zu dem Wachmacher aufgebaut.

So richtig angefangen hat meine Lust nach Kaffee 2018, als mein Studium begann. Morgens vor der ersten Vorlesung oder in einer Freistunde wurde Kaffee schnell mein ständiger Begleiter. Und auch mein Einstieg war nicht so sanft, wie wohl bei manch anderen. Ich habe eigentlich direkt angefangen schwarzen Kaffee zu trinken. Das lag nicht etwa am Geschmack, sondern vielmehr daran, dass vegane Milchalternativen damals noch eher als Rarität in öffentlichen Cafés oder auch bei meiner Familie galten.

Ich mochte den Geschmack von schwarzem Kaffee nicht besonders, dachte aber, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich bin also eisern bei schwarzem Kaffee geblieben und tatsächlich hatte ich recht, ich habe mich an den bitteren Geschmack gewöhnt. Mittlerweile gibt nur er mir wirklich das Gefühl, morgens wach zu werden. Kaffee mit Milch ist für mich kaum vorstellbar und mit Kaffee mit Zucker kann man mich jagen. Ich bin ganz und gar keine Kaffeekennerin und schon gar keine Expertin, wie manch andere, die ewig nach der perfekten Sorte und dem idealsten Verhältnis von Kaffee und Milch suchen, aber das muss ich auch gar nicht sein. Mir reicht mein schwarzer Kaffee.

Mein Studium ist nun vorbei, doch das Kaffeetrinken nicht, schließlich arbeite ich in einem Büro und wie unser Chefredakteur Patrick noch in meinem Praktikum vor dem Volontariat zu mir sagte „Kaffee gehört zum Büroleben dazu“. Und was soll ich sagen, er hatte wohl recht. Das erste was ich morgens auf der Arbeit mache, ist Kaffee kochen. Schwarz natürlich. Und so wie ich meinen Kaffee trinke, ist manchmal auch das Leben. Immer ein bisschen bitter und düster und zu viel kann man davon auch nicht ertragen.

 

"Milch und Zucker" von Jörg Monsees

Milch und Zucker – ja, richtig gelesen. Kinderkaffee nennt mein werter Herr Kollege das und es scheint vielen Menschen eine Sünde zu sein. Ich nenne es eines der leckersten Getränke der Welt. Erst durch einen Schuss Milch verdichtet und mit einer großzügigen Portion Zucker angereichert entfaltet das schwarze Gold sein ganzes Potenzial als Genussmittel. Denn das sollte Kaffee in erster Linie sein: Genuss. Warum also sich begnügen mit der unvollendeten, bitteren schwarzen Brühe, wenn sie sich mit wenigen Handgriffen derart aufwerten lässt.

Wer beim Kaffeetrinken lediglich auf die stimulierende Wirkung abzielt, kann ebenso gut Koffeintabletten schlucken. Zielgerichtet, effizient, ohne Umwege. Für so viel Rationalität ist in meiner Morgenroutine kein Platz. Nun will ich natürlich nicht verleugnen, dass Kaffee auch ein Werkzeug ist. Glauben Sie nicht? Verzichten Sie – wenn Sie es durchhalten – ein paar Tage und berichten Sie mir, wie Sie sich fühlen.

Das Schöne ist: seine Funktion als Wachmacher kann Kaffee gleich viel besser erfüllen, wenn er auch den Blutzuckerspiegel in die Höhe treibt – deshalb funktioniert Süßstoff auch nicht im selben Maße. Die unweigerlich folgende Talfahrt dient als Erinnerung, rechtzeitig eine Pause für das Mittagessen einzulegen und schafft Struktur im Arbeitstag. Geheimtipp: Langkettige Kohlenhydrate und mindestens 30 Gramm Eiweiß sorgen für ein langanhaltendes Sättigungsgefühl und verhindern weitere Stoffwechsel-Achterbahnfahrten.

Meine Bauchspeicheldrüse könnte sicherlich auf die Mehrarbeit verzichten, auch die Kalorienzufuhr ließe sich durch schwarzen Kaffee reduzieren. Aber so viel Erwachsensein kann ich keinem Menschen mit gutem Gewissen empfehlen; ohnehin habe ich begründete Zweifel an der Klassifizierung unserer Spezies als vernunftbegabte Wesen. Eine nicht unerhebliche Einschränkung des bis hierhin Geschriebenen: Wenn sich Ihr täglicher Kaffeekonsum in Kannen (Plural) bemessen lässt, rate ich – ohne Ernährungswissenschaftler oder Arzt zu sein – von der Veredelung mit Milch und Zucker ab.


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