Lebensgefahr Patriarchat
Jedes Jahr am 25. November findet der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt. Frauenorganisationen machen mit Informationsveranstaltungen und Aktionen auf das fortwährende gesellschaftliche Problem aufmerksam. Das ist so seit den achtziger Jahren. 1999 nahmen die Vereinten Nationen den Einsatz für Frauenrechte und gegen Gewalt an Frauen als offizielles politisches Ziel ihrer Mitgliedsstaaten und Gegenstand supranationaler Zusammenarbeit auf.
Um aber gegen Missstände vorgehen zu können, müssen die Probleme und ihre Erscheinungsformen erst einmal erkannt und erfasst werden. Es ist daher begrüßenswert, dass das Bundeskriminalamt (BKA) mit dem Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ am 19. November - wenn auch in dieser Form erstmals - einen breiten Überblick über die verzeichneten Delikte gegen Frauen in Deutschland veröffentlicht hat. Das Lagebild erfasst die Bereiche Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Tötungsdelikte an Frauen, Sexualstraftaten, häusliche Gewalt und digitale Gewalt.
Mord im Namen der Ehre
Frauen werden in der Regel zwar weniger häufig Opfer von Tötungsdelikten als Männer, die Taten zeichnen sich aber meist durch ihren spezifischen Charakter aus. So werden Frauen sehr viel häufiger als Männer von Partnern, Ex-Partnern oder Angehörigen ermordet. Um diese geschlechtsspezifische Dimension der Gewalt zu erfassen wird
heutzutage meist der Begriff Femizid verwendet. Nicht ausschließlich, aber oftmals, ist ein Femizid ein Mord im Namen der Ehre und die Täter handeln aus zutiefst patriarchalen Überzeugungen heraus, gegen die jene Frau in ihren Augen willentlich oder auch nicht willentlich verstoßen hat. So ein Verstoß kann von vermeintlichen romantischen oder sexuellen Verfehlungen, bis nonkonformem Verhalten reichen. Eine Richterin am Landgericht Bremen sprach kürzlich einen 24-jährigen Mann schuldig, der vergangenes Jahr seine Schwester erstochen hatte. Mohammed A. hatte angegeben seine Schwester Ilham A. ermordet zu haben, weil sie Männer getroffen und nachts nicht nach Hause gekommen sei. In einer Art Abschiedsbrief schrieb er zu seinem Tatmotiv: „Ich kann ohne Zukunft weiterleben, nicht aber ohne Ehre“. Die Richterin sprach von einem „Kontrollmord“.
Gewalt durch Frauen
Im Jahr 2023 verzeichnete das BKA 938 Tötungsdelikte an Frauen, das sind neun mehr als im Vorjahr. Auch in allen anderen Bereichen ist es zu einem Anstieg der verzeichneten Delikte gekommen. So stiegen gegenüber 2022 Delikte häuslicher Gewalt gegen Frauen um 5,6 Prozent. Von 2015 bis 2021 veröffentlichte das BKA seine Erkenntnisse in diesem Bereich im Lagebericht Partnerschaftliche Gewalt, seit 2022 im Lagebericht Häusliche Gewalt, der insgesamt innerfamiliäre Gewalt berücksichtigt - nicht nur in der Partnerschaft. Bei dieser Unterscheidung tritt etwas Bemerkenswertes zutage: 70,5 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind Frauen und Mädchen. Grade bei innerfamiliärer Gewalt sind die Delikte aber nicht immer geschlechtsspezifisch motiviert. Hier machen Frauen mit fast 50 Prozent die Hälfte der Tatverdächtigen aus. Bei „Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger“ liegt der Anteil der Frauen als Tatverdächtige sogar bei 64 Prozent, auch stellen Frauen eine relevante Tätergruppe dar geht es um Misshandlung von Schutzbefohlenen (47,3 Prozent) und Zwangsheirat (35,6 Prozent). Besonders perfide: der Anteil der tatverdächtigen Frauen ist höher, ist das Opfer ein Mädchen.
Digitale Gewalt
Auch bei den Sexualstraftaten gegen Frauen erfasst das BKA einen Anstieg von 6,2 Prozent zum Vorjahr. Um 6,9 Prozent stiegen im gleichen Zeitraum die registrierten Straftaten im Bereich des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Hier sticht hervor, dass zwei Drittel, sowohl der Opfer als auch der Tatverdächtigen nicht deutsch ist.
Während Zwangsprostitution, Femizide, Genitalverstümmelung, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung seit jeher am 25. November angeprangert werden, zeigt der BKA-Bericht auch ein neues Phänomen auf. Um 25 Prozent stiegen demzufolge Straftaten gegen Frauen im Bereich digitaler Gewalt. Darunter fallen unter anderem die Straftatbestände Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen, Bedrohung, Nötigung und Cyberstalking. Als „Tatmittel“ spielt das Internet vermehrt eine Rolle, sowohl in partnerschaftlicher Gewalt als auch bei sexuellem Missbrauch. Letzteres trifft insbesondere bei Mädchen im Alter zwischen sechs und 14 Jahren zu, dabei handelt es sich meist um sogenanntes Cybergrooming. Der Bericht hebt als „auffällig“ hervor, dass es sich bei den meist männlichen Tätern bei digitalem sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und von Schutzbefohlenen ab 14 Jahren in 26,4 Prozent der Fälle selbst um 14-18-Jährige handelt. Der rasante Anstieg der Straftaten in diesem Bereich legt daher nahe, dass sich die digitale Wende in Sachen Frauenrechte und Schutz von Mädchen nicht im gewohnten deutschen Tempo vollziehen kann.