War nicht alles schlecht (?)
Schlechte Nachrichten muss man in der Regel nicht lange suchen, 2024 war voll davon - nicht zuletzt auch diese Zeitung. Deshalb wollten wir von Engagierten aus den Bereichen Kunst, Kultur und Soziales wissen, welche guten Dinge sie im vergangenen Jahr erfahren haben - persönliche und politische Highlights oder besondere Ereignisse in unserer Region.
Tina Abich ist freischaffende Malerin und Illustratorin und gehört zum Team der Mühle Malstedt Kunstwerkstatt. Wie viele andere, hat auch sie die Wahl in den Vereinigten Staaten beschäftigt. „Gefreut habe ich mich in der weltpolitischen Landschaft, das Präsident Biden zurückgetreten war und Kamala Harris eine Plattform geboten hat, um zu beweisen, was sie kann. Ich habe mich in der Zeit, als sie Präsidentschaftskandidaten war, sehr gefreut und so sehr gehofft, dass es eine Frau mit guten Ansichten schaffen könnte.“
Im unmittelbaren Umfeld haben sich die Dinge für Tina Abich durchaus zum Guten verändert: „Persönlich hat mich gefreut, dass es tatsächlich in unserer Kommune geklappt hat, dass wir Glasfaserkabel auf dem tiefsten Land bekommen haben. Wir wohnen schon recht abgelegen!“, sagt die Künstlerin. Außerdem habe in der Kommune eine Aufforstung stattgefunden, über 3.000 neue Eichen wurden dabei gepflanzt. Direkt am eigenen Haus habe eine Waldkauz-Familie genistet - Abich durfte den Nachwuchs aufwachsen sehen. „Das war mir eine Freude.“ Für die Zukunft wünsche sie sich, „die Menschheit käme zur Vernunft und würde klüger und zukunftsorientierter und liebevoller für eine gesunde Welt handeln und leben“, so Tina Abich.
Die schweigende Mehrheit schweigt nicht länger
Andreas von Glahn ist Vorsitzender des TANDEM e.V. in Bremervörde. Der Verein engagiert sich für die soziale Teilhabe von Menschen mit seelischen Problemen, ist Träger der Tafel und organisiert zahlreiche Kulturangebote in der Ostestadt. „Die vom Bremervörder Bündnis für Demokratie & Menschenwürde am 11. Mai organisierte Kundgebung ‚Bremervörde wählt Menschenwürde! – Jede Stimme zählt. Europawahl – du entscheidest mit!‘ auf dem Rathausplatz war ein besonderer Moment“, berichtet von Glahn. „Die Zivilgesellschaft hat sich im Frühjahr aus einer Art Schockstarre gelöst und begonnen, sich den um sich greifenden rassistischen und antidemokratischen Schreihälsen entgegenzustellen.“ Die „schweigende Mehrheit“ habe endlich gezeigt, dass nicht jene, die am lautesten schreien, Recht haben.
In der Politik sei Robert Habeck ihm in diesem Jahr in positiver Erinnerung geblieben, sagt von Glahn. „Als einer von sehr wenigen Politikern unseres Landes schafft er es, über eigene Fehler im politischen Handeln zu sprechen, Respekt dafür, mehr davon!“
Privat erinnere von Glahn sich gerne an die Festivalreihe „Zwischen den Stühlen“ zurück. Auf der Bremervörder Kulturbühne habe er Abi Wallenstein und weitere tolle Künstler:innen gemeinsam mit vielen anderen Menschen erleben dürfen.
Glück im Strandkorb
Andrea Vogelsang ist die Datenschutz- und Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Ritterhude. In Lilienthal ist die Sozialdemokratin seit fast 20 Jahren kommunalpolitisch aktiv und sitzt für ihre Partei sowohl im Gemeinderat als auch im Kreistag.
„Ein gesellschaftlicher Moment hat ganz tief mein Herz berührt: Das Demokratie-Bündnis mit der Kundgebung ‚Nie wieder ist jetzt!‘ im Lilienthaler Amtsgarten, das sich gegen rechtsextremes Gedankengut und für das gesellschaftliche Miteinander eingesetzt hat“, benennt Vogelsang einen der Höhepunkte des vergangenen Jahres. Im Privaten fand sie einen besonders glücklichen Moment bei einem Ausflug an die Ostsee mit ihrem Mann: „Im Strandkorb eingekuschelt in Decken, mit Picknickkorb und Büchern auf das aufgewühlte Meer schauen. Dabei lachen, die Nähe des anderen spüren und die Seele baumeln lassen. Denn es sind die kleinen schönen Momente, die das große Ganze ergeben und glücklich machen. Diese sollte man im Alltag immer wahrnehmen und festhalten.“
Das Hochwasser in Lilienthal, das vor einem Jahr über die Gemeinde hereinbrach, war auch in diesem Jahr das prägende Ereignis. Das Miteinander und die Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort nach der Katastrophe haben Andrea Vogelsang beeindruckt: „Das Hochwasser hat gezeigt, dass die Lilienthaler in schwierigen Zeiten einen konkreten Beitrag leisten und ihren Mitmenschen beistehen. Diese ganze Solidarität und der Zusammenhalt in solchen Momenten zeigen, was wirklich zählt. Und ich bin froh, dass die Lilienthaler das leben.“
Ein besseres Miteinander wünsche sie sich auch für die Zukunft: „Ich habe in diesem Jahr viel Dünnhäutigkeit gesehen und erlebt. Ganz besonders in den sozialen Medien, in denen jeder seine Meinung kundtun kann. Dort scheint die Toleranz immer geringer zu werden.“ Das gelte leider auch für das reale Leben, meint Vogelsang und führt Bedrohungen und Angriffe auf Einsatzkräfte oder Beschäftigte im öffentlichen Dienst - seien es Kitas oder Krankenhäuser - an. „Krisen machen uns müde, dünnhäutig und wohl auch ein wenig egoistisch“, sagt Vogelsang. „Dabei wollen alle mehr Miteinander, aber gefühlt gibt es immer mehr Gegeneinander. Es muss klar sein, dass es nicht die eine Person geben wird, die uns den Weg durch die großen Veränderungen weist und fertige Lösungen präsentieren wird. Es geht nur gemeinsam – mit Mitgefühl und Offenheit, Sensibilität und einem respektvollen und konstruktiven Dialog. Das wünsche ich mir!“
Unser „Ja“ zum Leben
Matthias Jäger ist Vorsitzender des Worpsweder Museumsverbunds. Er gibt offen zu, dass ihm die Suche nach guten und schönen Dingen im Jahr 2024 schwer gefallen ist. „Ich glaube, dass wir mit dem Wiedereinzug Trumps ins Weiße Haus vor einem Epochenbruch stehen, der in seinen - nicht zwingenden aber möglichen - historischen Implikationen gravierende, nicht abzusehende Auswirkungen auf die Weltpolitik und auch auf unser Leben haben wird.“ Deshalb habe er sich die Frage gestellt, „aus welchen Quellen wir Sinn und Zuversicht schöpfen können, wenn die Zeiten schwierig werden und Dinge wegbrechen, die wir lange für selbstverständlich gehalten haben.“
Man könne sagen, im „freien Europa“ betreffe uns die Hinwendung der amerikanischen Wähler:innen zur „autoritären Verführung“ nur am Rande - „aber auch wir Deutschen haben eine Wahl vor uns, bei der viel auf dem Spiel steht.“ Der Tech-Milliardär Elon Musk werbe auf seiner Plattform X für die AfD. „Die internationale Allianz der Populisten und Autokraten hat die politische Weltbühne erklommen, und sie ist fest entschlossen, auch den Rest der Welt einzunehmen“, so Jäger. Dennoch brauche es Zuversicht, Hoffnung und Freude, „um unser Leben sinnvoll leben zu können.“
Eine mögliche Quelle fand Jäger in der „Concession Speech“ von Kamala Harris am Tag nach ihrer Niederlage bei der Präsidentschaftswahl - sein politisches Highlight des Jahres. Die Rede sei „ein starkes, bewegendes Plädoyer für den Mut, an den eigenen Überzeugungen auch dann festzuhalten, wenn diese keine Mehrheit finden oder sogar geächtet und unterdrückt werden“ und habe viel zu wenig Beachtung gefunden. Wer sie noch nicht gehört habe, sollte sie sich unbedingt anschauen, meint Jäger.
„Ich persönlich finde die wichtigsten Quellen für Zuversicht in meinem direkten Umfeld: in meinen Beziehungen, in der Natur und in der Kunst. Ich bin umgeben von Menschen, die sich mit Ernsthaftigkeit und großem Engagement dafür einsetzen, dem Leben auf positive Weise zu dienen“, sagt Jäger weiter. In persönlichen und auch beruflichen Beziehungen finde er das, was er im politischen Diskurs vermisse: „Respekt und Großzügigkeit, Vertrauen und Gemeinschaft, miteinander arbeiten und füreinander da sein.“
Ein bevorstehendes Highlight seien die zwei Ausstellungen zu Paula Modersohn-Becker im Rahmen des „Zeitenwende“-Projekts der Worpsweder Museen. In der Person der jung verstorbenen Künstlerin sieht Jäger ein „leuchtendes Beispiel, wie wir unserem eigenen Leben Sinn geben und persönliche Erfüllung finden können. Sie erkämpfte sich gegen alle gesellschaftlichen Widerstände eine freie Existenz als Künstlerin, und obwohl sie zeit ihres Lebens keine öffentliche Anerkennung fand, ging sie selbstbewusst ihren Weg.“
„Es ist unser praktisch und konkret gelebtes ‚Ja zum Leben‘, unser ‚Ja zu uns selbst‘, das – wie klein oder groß, wie laut oder leise es auch immer ausfallen mag – den Unterschied macht und uns auch in schwierigen Zeiten wie diesen Mut, Kraft und Zuversicht geben kann“, so Jäger abschließend.