
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Ich gebe es zu: Ich bin ein großer, wirklich großer Freund von Weihnachten. Und nein, ich bin nicht religiös. Ich denke zwar, dass der christliche Glaube in einer kalten Welt wie der unseren seine moralische, säkulare Berechtigung hat. Aber das Glück gehört grundsätzlich nicht ins Jenseits geschoben, sondern ins Diesseits geholt. Entsprechend ist der Grund für meine Freude an Weihnachten ganz profan: Es ist der allseitige Konsum von allerhand Schönem und Behaglichem: von dekorierten, gemütlichen und nach Spekulatiuskeksen duftenden Wohnzimmern; der Wiederholungen von Kevin - Allein zu Haus, den Glücksrittern und Stirb langsam; gutem Essen, ausgewähltem Wein, pointiert gemixten Drinks und allem voran: von Geschenken. Alles natürlich im Kreis geliebter Menschen.
Diese weltliche Freude an überreichten materiellen Dingen geht auf ein Glücksgefühl zurück, das mich einholt, wenn ich mich an dasjenige Weihnachten erinnere, bei dem ich herausfand, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.
Glücklich an der Erinnerung macht mich heute als Erwachsener, dass es meine Eltern waren, die mir und meinen jüngeren Geschwistern jedes Jahr - zumindest bis zur Pubertät - einen besonderen Abend voller Überraschungen, besonderen Freiheiten und leckerem Essen bereiteten; dass meine Eltern gute Stimmung verbreiteten und sich nur für uns eine besondere, dem gemeinsamen Familienalltag entfliehen lassende Geschichte ausdachten, um uns zu verzaubern. Und dass sie sich übers Jahr immer wieder die Zeit nahmen, um uns zu beobachten, damit sie sich in der Weihnachtszeit mit Fantasie in uns hineinversetzen konnten, um uns Geschenke zu bereiten, die uns glücklich machten. Kein Wunder also, dass ich denke, dass materielle Geschenke und - nun als Erwachsener - das Schenken von schönen Dingen, das Beste an Weihnachten sind. Erstens, weil beides die Anwesenheit der Liebsten, die man beschenkt, voraussetzt. Zweitens, weil ein gutes Geschenk, das mich erfreut, mehr als die bloße Sache ist. Es ist zugleich Ausdruck dessen, das mein Gegenüber in einer Welt, in der keiner Zeit für irgendwas hat, sich Zeit für mich nahm, mich kennt und mich letztlich als besonderes Individuum mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen versteht und mag. Und nicht zuletzt deshalb, weil gelingendes Schenken ausdrückt, dass mein Glück dem Schenkenden ebenso Glück bereitet. Denn das Glück des Schenkens liegt in der Imagination des Glücks des Beschenkten, wie es bei Adorno heißt.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich all jenen zu Weihnachten, die ohne Armut sagen: „Hauptsache, man ist zusammen“, oder im pseudo-aufgeklärten Brustton mit peinlich konsumkritischer Attitüde bei jeder Gelegenheit rausposaunen: „Wir schenken uns nichts“, dass sie die Freude am Schenken wiederentdecken. Denn wahres Schenken: Präsentemäßig ordentlich rauszuhauen, wie es meine Eltern trotz wiederkehrender Armut und Sozialhilfe stets taten und wofür ich ihnen immer dankbar sein werde, ist eine Ausdrucksform wahrer Beziehung. Auch die Liebe ist, da, wo sie gelingt, eine Form des Einander-Schenkens, das sich abseits des täglichen Gleich-um-Gleich des Tausches an Supermarktkassen und bei Lohnüberweisungen vollziehen kann.
Nicht zu schenken aber, ist keine kapitalismuskritische Haltung, sondern eine Rationalisierung wie Internalisierung des Effekts kapitalistischer Verhältnisse: dass einem seine Mitmenschen egal geworden sind und man zu ihnen wie zu sich selbst dasselbe Verhältnis pflegt wie zu den nutzlosen Dingen, die die Kaufhäuser füllen: nämlich das Verhältnis von leblosen Objekten. Wer es zulässt, das Schenken zu verlernen, macht sich wie die anderen genau zu jenem vorverpacktem Kram in den Regalen, an dem die Menschen mit Verachtung vorbeigehen und es liegen lassen.