Jörg Monsees

Zwischen links und Volkspartei

Die Grünen sind bei den jüngsten Wahlen aus zwei von drei Landtagen geflogen. Der Schock hatte sich kaum vollständig entfaltet, da zog der Bundesvorstand bereits personelle Konsequenzen und trat zurück. Wir haben Parteimitglieder vor Ort gefragt, wie es weitergehen soll.

Die Zeiten für die Grünen waren mal besser.

Die Zeiten für die Grünen waren mal besser.

Bild: Adobestock

Die Grünen, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit auf dem Weg zur neuen Volkspartei wähnten, stehen vor einem Scherbenhaufen: Bei den jüngsten Landtagswahlen wurde das Bündnis90 hart bestraft - unter anderem wohl für die Politik der Ampelkoalition. Omid Nouripour und Ricarda Lang reagierten prompt mit der Flucht nach vorn: Der Bundesvorstand der Grünen wird beim nächsten Parteitag im November zurücktreten - jetzt werden Nachfolger:innen gesucht.

Unterdessen bleiben die prominentesten Mitglieder der Ampel-Regierung, Robert Habeck und Annalena Baerbock im Amt - letzterer ist sogar als Kanzlerkandidat für die nächste Bundestagswahl im Gespräch. Ist das eine angemessene Reaktion auf die Krise? „Die Reaktion ist richtig“, findet Rolf Hüchting von den Grünen in Bremervörde. Alltägliche Umfragen und auch Landtagswahlen sollten die Bundespolitik nicht zu sehr beeinflussen, meint der Vorsitzende der Bremervörder Grünen. „Anders sieht das mit den Parteiämtern aus, die dürfen sich und müssen sich durchaus auf aktuelle Krisen ausrichten“, so Hüchting.

„Gerade in diesen gesamtgesellschaftlich aufwühlenden Zeiten ist verantwortungsbewusste Politik gefragt und als Partei haben wir den Anspruch uns dem zu stellen. Das bedeutet für mich auch, nicht leichtfertig eine Koalition aus parteitaktischen Gründen zu verlassen“, erklärt auch Marten König (Grüne Jugend Ritterhude). „Die Grünen Minister in der Ampel haben sicher auch Fehler gemacht. Ich denke sie wollten zu viel und zu schnell. Sie hatten allerdings auch mit besonders schwierigen Bedingungen zu kämpfen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine“, gibt Reinhard Bussenius (Grüne Bremervörde) zu bedenken. „Ein Signal für einen Neuanfang war nötig, jedoch müssen die in der Bevölkerung bekannten Gesichter weiter in der Regierung bleiben.“ So sieht es auch Brigitte Neuner-Krämer (Grüne Osterholz-Scharmbeck): „Spätestens seit den desaströsen Wahlergebnissen der letzten Wochen war klar, dass es höchste Zeit für eine Neuaufstellung der Partei ist.“

Habeck als Kanzlerkandidat

Sollte eine Partei, die in einigen Bundesländern nicht einmal mehr die 5-Prozent-Hürde erreicht, ins Rennen um den Posten des Regierungschefs einsteigen? Ob die Grünen einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollten, müsse nun die im November neu gewählte Parteispitze beraten - „und schlussendlich basisdemokratisch die Partei“, sagt Marten König. Er steht hinter dem Wirtschaftsminister als möglichem Kandidaten: „Ich finde Robert Habeck hat gezeigt, dass er Verantwortung übernehmen kann und erfolgreich die Erneuerung dieses Landes vorantreibt“,so König weiter. Er verweist unter anderem auf Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Rolf Hüchting stimmt zu: „Es wäre ein großer Fehler, das Feld der Bundespolitik und eine Kanzlerkandidatur etwa der AfD zu überlassen, weil diese in den ostdeutschen Ländern zur Zeit sehr erfolgreich ist. Für die Kandidatur zum Bundeskanzler ist ein gutes und langfristiges politisches Programm sicher wertvoller als populistische Positionen.“

Von rechts getrieben?

Wie so ein Programm aussehen sollte, ist innerhalb der Partei umstritten. Mit den realpolitischen Entscheidungen, die die Grünen innerhalb der Ampelkoalition mittragen, sind Teile der Basis nicht einverstanden. Aktuell befeuert der Rück- und Austritt des bisherigen Bundesvorstandes der Grünen Jugend die inhaltliche Debatte zusätzlich: Die Jugendorganisation hatte ihren Schritt unter anderem damit begründet, die Politik der Grünen werde „nur noch von rechts getrieben“.

„Den Austritt des Vorstands der Grünen Jugend aus unserer Partei bedauere ich sehr. Ich habe großes Verständnis für den Frust, dass wir in der Regierung nicht das erreichen, was wir uns vorgenommen haben und die notwendigen Kompromisse schmerzen auch mich“, sagt Brigitte Neuner-Krämer. „Diese Debatte – wie weit können wir dabei gehen, ohne unsere Ziele zu verraten - hätte ich gerne mit den jetzt Ausgetretenen auf dem Parteitag im November geführt.“ Marten König, selbst Mitglied der Grünen Jugend, ist derselben Meinung: „Deswegen ist es schade, wenn der Vorstand der Grünen Jugend austritt und sich nicht der innerparteilichen Auseinandersetzung stellt.“

Gewisse Vorzeichen, in welche Richtung es gehen könnte, gibt es schon: Franziska Brantner, die als enge Vertraute Robert Habecks gilt, wird wohl als Parteichefin kandidieren. „Die Ausrichtung steht offenbar schon fest: Ich denke, die Bundesgrünen rücken noch mehr in die Mitte. Da wird es auch kaum Widerspruch in der Partei geben“, glaubt Reinhard Bussenius. Rolf Hüchting hält das für den richtigen Kurs. Wichtiger als die „Bewahrung der ‚reinen‘ Lehre‘“ seien „Teilschritte zur Lösung unserer umfassenden Probleme“, so der Bremervörder Grüne.

Woher kommt der Hass?

Ob weitere Schritte Richtung Mitte auch wieder mehr Menschen dazu bewegen, die Grünen zu wählen, bleibt abzuwarten. Der Partei wird seit vielen Jahren ein Imageproblem nachgesagt: Am beliebtesten ist das Bündnis90 bei gut gebildeten Akademiker:innen in Großstädten. Ein großer Teil der übrigen Wahlberechtigten - zuletzt besonders lautstark und aggressiv: Landwirte - hält die Grünen offenbar für eine „Verbotspartei“, die sich lediglich für die Belange der „Eliten“ interessiere.

Franziska Brantner als mögliche Parteichefin dürfte - zumindest durch ihre Person - nicht viel dazu beitragen, dass sich das ändert: Die 45-Järhrige studierte Politikwissenschaften an internationalen Elite-Unis im Ausland, arbeitete kurzzeitig in der Forschung und begann 2009 als Abgeordnete des Europaparlaments ihre politische Laufbahn. Ihre Biografie ist der Prototyp des grünen Klischees.

Doch Vorurteile und Stimmungsmache seitens CDU und AfD können nicht allein verantwortlich sein für die Schlappe bei den jüngsten Wahlen - ohne inhaltliche Grundlagen verfangen die Parolen nicht. Woher kommt der Hass auf die Grünen? „Die Grünen stehen am stärksten für Veränderungen und vielleicht auch Einschränkungen, die sich aus der Aufgabe ergeben, unsere Gesellschaft nachhaltig und an die Umweltprobleme angepasst zu entwickeln. Das erzeugt Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft“, sagt Rolf Hüchting. Reinhard Bussenius nennt einen strittigen Punkt beim Namen: „Ich denke, einige Dinge müssen auch inhaltlich auf den Prüfstand. In der Frage der Migration muss ein klarer Kurs her – wir merken selbst hier vor Ort in einer ländlichen Region, dass das eben nicht mehr zu schaffen ist.“

„Es ist notwendig mit guter Politik, die erklärt und im Tempo der Menschen Veränderung angeht, zu überzeugen“, sagt Marten König. Ob die Grünen ihr Tempo so weit drosseln können, dass die Menschen es akzeptieren, wird sich zeigen.


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