Das „Schwäche“ fürchtende Geschlecht
(red). Ein zentrales Anliegen ist auch die Sensibilisierung für Themen wie Depressionen, die höhere Suizidrate unter Männern, beruflichen und gesellschaftlichen Druck sowie Ungleichheiten im Gesundheitssystem. Gleichzeitig soll der Tag den Dialog über Geschlechterrollen und Männlichkeit anregen, um schädliche Stereotype aufzubrechen. Denn Stereotype und strenge Rollenerwarten an Männer können zu psychischen Problemen führen; die Vorstellung, der Mann sei das starke Geschlecht, setzt unter Männer unnötig unter Druck, führt zu Enttäuschungen, Selbstzweifeln Wut und Aggressionen.
Im ersten Halbjahr 2024 erreichte der Anteil der Männer, die wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben wurden, einen Höchststand. Laut KKH Kaufmännische Krankenkasse kamen auf 100 Berufstätige 388 Fehltage, davon über ein Drittel (35,5 Prozent) aufgrund von Krankschreibungen bei Männern. Besonders betroffen: Männer mit depressiven Episoden im Beruf, deren Ausfallzeiten auf 39,2 Prozent gestiegen sind.
Das anhaltende Tabu
Obwohl das Bewusstsein für psychische Gesundheit in der Gesellschaft zunimmt, bleibt das Thema für Männer oft mit Stigmata und Scham besetzt. Männer gelten in sexistischen Gesellschaften als stark, belastbar und emotional gefasst. Diese Vorstellung eines „idealen Mannes“ hat historische Wurzeln, reproduziert sich in der heutigen Gesellschaft aber stets von Neuem: Ein Mann, der offen über seine psychischen Probleme spricht, setzt sich dem Risiko aus, als schwach wahrgenommen zu werden, was in einer leistungsorientierten Gesellschaft als Makel gilt.
In der Tat wird Stress oft als Zeichen von Stärke und Durchhaltevermögen betrachtet, besonders bei Männern. Die Vorstellung, unter Druck erfolgreich zu sein und alles unter Kontrolle zu haben, ist tief verankert und lässt wenig Raum für das Eingeständnis von Schwäche. Männer fühlen sich verpflichtet, den Erwartungen von Familie und Arbeit gleichermaßen gerecht zu werden. Die Folge: Viele unterdrücken ihre Emotionen, was das Risiko für Depressionen und andere psychische Erkrankungen erhöhen kann.
Das Zögern, über Depressionen zu sprechen, hat bei Männern häufig tiefe psychologische Wurzeln. Viele Männer sind es nicht gewohnt, ihre Emotionen zu zeigen oder nach Hilfe zu fragen. Dies liegt teilweise daran, dass sie früh lernen, ihre Gefühle zu kontrollieren und nicht nach außen zu tragen. Ein Mann, der seine Sorgen und Ängste mitteilt, läuft Gefahr, gegen das Rollenklischee zu verstoßen und als „schwach“ abgestempelt zu werden. So bleiben viele Männer in einem Teufelskreis der Isolation gefangen, da die Angst vor Ablehnung und Unverständnis sie daran hindert, Unterstützung zu suchen.
Formen Depressionen
Depressionen bei Männern äußern sich oft anders als bei Frauen. Statt Traurigkeit und Rückzug zeigen sich Depressionen bei Männern eher in Form von Reizbarkeit, Aggression und erhöhtem Konsum von Alkohol oder anderen Suchtmitteln. Diese „maskierten Depressionen“ können auch in vermehrtem Arbeitsaufwand oder extremen Freizeitaktivitäten sichtbar werden - Männer lenken sich oft ab, statt ihre Probleme direkt anzugehen. Während Frauen bei Depressionen eher geneigt sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen, setzen Männer auf Selbstdisziplin und den Versuch, allein damit klarzukommen.
Ursachen und Auslöser
Der steigende Druck in der heutigen Leistungsgesellschaft ist einer der Hauptfaktoren für Depressionen bei Männern. Die Erwartung, in allen Lebensbereichen zu funktionieren, ist allgegenwärtig: Männer müssen beruflich erfolgreich, privat engagiert und in der Familie präsent sein. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer stärker, was den Stress zusätzlich verstärkt.
Eine forsa-Umfrage der KKH verdeutlicht die Belastung bei Familienvätern: Über die Hälfte (56 Prozent) der Väter mit Kindern unter 18 Jahren berichtet von hohem Druck und zunehmenden Herausforderungen in Kindererziehung und Haushaltsführung. Die Anforderungen, die früher oft als „Frauenaufgabe“ gesehen wurden, tragen heute auch Männer, und das vermehrte Engagement in Familie und Beruf bringt viele an ihre psychischen Grenzen.
Depression und Beruf
Bestimmte Berufsgruppen sind von Depressionen stärker betroffen als andere. Besonders Männer in Berufen mit hoher Verantwortung und großem Zeitdruck, wie im Management, der Finanzwelt, aber auch in Pflege- und Sozialberufen, sind anfälliger für psychische Erkrankungen. Der ständige Druck, Entscheidungen treffen und belastende Situationen meistern zu müssen, erhöht das Risiko für Depressionen deutlich. Auch Berufe, in denen ein hohes Maß an körperlicher Anstrengung oder fehlender sozialer Interaktion vorkommt, wie Bauarbeiter oder LKW-Fahrer, sind häufiger von psychischen Leiden betroffen.
Partnerschaft und Einsamkeit
Es gibt Hinweise darauf, dass depressive Männer häufiger Single sind, was mit einem Mangel an sozialem Rückhalt zusammenhängen könnte. Männer, die in Beziehungen leben, haben im Allgemeinen einen stärkeren Anreiz, über ihre Gefühle zu sprechen und Unterstützung zu finden. Dennoch bedeutet eine Partnerschaft nicht automatisch, dass Männer ihre Depressionen offenbaren. Viele Männer in Beziehungen empfinden einen zusätzlichen Druck, die Rolle des „starken Partners“ zu erfüllen und ihre Probleme für sich zu behalten, was die innere Zerrissenheit verstärken kann.
Die Kluft zwischen dem Wunsch, stark und belastbar zu wirken, und dem inneren Empfinden von Überforderung führt oft zu einem tiefen Konflikt. Das Resultat: Männer fühlen sich isoliert und gefangen in einem System, das weder Schwäche noch den Wunsch nach Unterstützung toleriert.
Stephanie Engelmann, Vorständin der Kaufmännischen Krankenkasse, sieht die zunehmende Bereitschaft von Männern, über psychische Probleme zu sprechen, als wichtigen Schritt an: „Unsere Daten zeigen, dass Männer zunehmend belastet sind, mittlerweile aber auch offener über psychische Probleme sprechen können und sich professionelle Hilfe suchen. Diese Enttabuisierung ist ein wichtiges Signal.“ Denn die wachsenden psychischen Belastungen sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das keinen Platz für Stigmatisierungen und Rollenklischees bieten sollte.