Benjamin Moldenhauer

Perfektion, die Ekel gebärt

Benjamin Moldenhauer empfiehlt zum internationalen Frauenkampftag Coralie Fargeats Bodyhorror-Film „The Substance“, der das Terrorpotenzial von Schönheitsidealen in Bildern ausagiert.

Demi Moore in The Substance.

Demi Moore in The Substance.

Bild: MUBI Deutschland

Es ist, wenn man es in Ruhe bedenkt, wieder einmal zum Reinschlagen. Während Männer im Alter ohne Weiteres aussehen können wie der Blob, droht Frauen spätestens ab 40, wenn Altersspuren nicht mehr zu übersehen sind, die gesellschaftliche Abwertung: unsexy, nicht mehr begehrenswert. Und gerade in der Film- und generell der Welt der populären Künste findet man sehr, sehr wenige Frauen, die erfolgreich und älter als dreißig sind. Wenn sich dann einmal eine qua verbrieftem Megastar-Status einfach weitermacht, wie zum Beispiel Madonna, sind schnell zahlreiche, im Zweifelsfall mit strammen Bierbäuchen ausgestattete Jürgens oder Mikes zur Stelle und erklären im Internet, wie eklig es sei, eine angeblich alte Frau auf der Bühne zu sehen.

Dieser Aspekt der herrschenden Geschlechtermatrix ist nicht nur besonders bescheuert, sondern auch destruktiv. Denn zu ihm gehört die implizite, an junge Frauen gerichtete Drohung, die sie wissen lässt, dass ihr Wert verbunden ist mit ihrer von Männern wahrgenommenen, konstatierten und bewerteten Attraktivität. Die Folgen sind unter anderem Selbstzweifel und -hass, Essstörungen und andere Formen der Selbstzurichtung für den Blick der anderen.

Im Showbusiness zeigt sich all das in besonderer Schärfe und Klarheit. Hier ist Angeschaut- und Begehrtwerden Kern des Berufsbilds. Und wer die Altersgrenze überschreitet, muss in den meisten Fällen von der Bühne verschwinden. Wenn man also etwas über den Terror erzählen will, der mit Selbstwertgefühl und Wertzuschreibungen verknüpften Schönheitsidealen innewohnt, liegt das Setting nahe.

Im Mittelpunkt von Coralie Fargeats The Substance stehen zwei Frauen, die eigentlich eine sind – einmal jung und hübsch, einmal alt und aussortiert. Die ehemalige Schauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) bekommt an ihrem fünfzigsten Geburtstag mitgeteilt, dass sie ihre Fitness-Show, die jahrelang im linearen Fernsehen lief, aufgeben muss. Schon vor diesem eigentlich erwartbaren Schlag wirkt das Leben des B-Stars eher trist. Freunde, Verwandte, irgendeine Art von sozialem Leben scheint es in der dystopischen Welt von The Substance nicht zu geben. Was die rudimentären sozialen Beziehungen hier strukturiert, sind Karriereüberlegungen und Leistungsdruck.

Elisabeth fährt, verzweifelt über den Verlust ihrer Sendung, ihr Auto zu Schrott. Im Krankenhaus wird ihr ein Mittel angeboten, das den Alterungsprozess aufhalten und sie verjüngen soll. Nach kurzem Zögern jagt sich Elisabeth das Zeug in den Körper – doch dieser wird daraufhin nicht jung, sondern gebiert eine junge Frau: Sue (Margaret Qualley). Elisabeth und Sue teilen sich ihre Lebenszeit: eine Woche lang ist Elisabeth aktiv, während Sue in der Abstellkammer schläft; in der nächsten Woche tritt Sue als Nachfolgerin Elisabeths in ihrer Aerobic-Show auf. Immer wenn die eine wach ist, ist die andere auf Standby.

Sue wird erfolgreich in Elisabeths ehemaligem Job, berühmt und angehimmelt. Als sie beginnt, die vereinbarten Zeitfenster zu überschreiten, gerät das fragile Gleichgewicht aus den Fugen – und der ohnehin von Anfang an hochtourig fahrende The Substance dreht noch einmal richtig auf. „Es ist wieder einmal zum Reinschlagen“ ist dabei nicht nur eine markige Einleitung zu einer Filmrezension, sondern auch das ästhetische Prinzip des Films selbst: Coralie Fargeat geht in ihrer Inszenierung mit dem Dreschflegel vor, und die Montagen in The Substance sind befeuert von spürbarer Wut. Von der ersten Minute an werden die unwirklich glatten und perfektionierten Körper vor den Fernsehkameras körperlichen Ekelpotenzialen gegenübergestellt: Close-ups auf Münder, in denen ölige Meeresfrüchte verschwinden, in nächster Nähe ins Bild genommene Poren, verzerrte Gesichter. Körperlichkeit ist hier nichts Schönes mehr, sondern wird durch die Zurichtung gleichsam aufgesplittet: Der Anspruch auf Perfektion hat als Gegenbild den Ekel.

Diese Dichotomie radikalisiert der Film in seiner weiteren Verkehrung von Schönheitsidealen ins komplett Widerliche – dies jedoch mit großer Lust an der Inszenierung. Es geht in The Substance nicht um Subtilitäten oder einen analytischen filmischen Zugang zu der Frage, welches Terrorpotenzial der Anspruch auf ewige Jugend und Schönheit besitzt. Es geht vielmehr um das Ausagieren dieses Potenzials in Bildern.

Die finale Eskalation ist in ihrem Ausmaß an Groteskheit tatsächlich ungewohnt widerwärtig. Es bleibt am Ende nichts Positives – Elisabeth ist nicht einmal ein Opfer, mit dem man sich empathisch verbinden könnte. Ihr Leid, das im handfesten Kampf gegen die junge, perfekte Version ihrer selbst und schließlich in der Auflösung ihres Körpers resultiert, ist selbstverschuldet. Oder besser: Sie ist das Opfer, das die Gewalt, die sie als Notwendigkeit internalisiert hat, selbst gegen sich ausübt. In diesem Sinne – in seiner Freude an der Negativität, seiner bewussten Plakativität und der Lust an einer Ästhetik der Zerstörung – ist der mit Oscars für den besten Film und die beste Hauptdarstellerin nominierte The Substance nicht zuletzt auch einfach filmischer Punk.

„The Substance“ läuft am Dienstag, 11. März, um 20 Uhr im Filmpalast Schwanewede und kann bei prime gestreamt werden.


UNTERNEHMEN DER REGION