Das Uncanny Valley der Stepford Wives

Lara Myller 341
Unheimlicher Trend auf tiktok: Unter dem hashtag #tradwife inszenieren sich junge Frauen als traditionelle Ehefrauen, um rigide Geschlechterrollen des frühen 20. Jahrhunderts als natürlich zu verklären.

 

Kümmern, kochen, putzen und warten bis der Mann nach Hause kommt: das Leben einer Tradwife.

Kümmern, kochen, putzen und warten bis der Mann nach Hause kommt: das Leben einer Tradwife.

Bild: pibi37.studio/adobestock

Tradwife ist die Abkürzung für „traditional housewife“ (traditionelle Hausfrau) und bezeichnet eine Social-Media-Community, die auf Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube Content in einer Ästhetik veröffentlicht, die an eine Persil-Werbung aus den 1950er Jahren erinnert.

Die Trad-Fluencerinnen haben scheinbar eine Marketing-Nische gefunden: Die Vermarktung traditioneller Geschlechterrollen. Mit Ihren Videos zelebrieren die Tradwives die ultrakonservative Hausfrauenehe vergangener Zeiten und wenden sich gegen die - wie es in den Videos heißt - „Künstlichkeit“ auf dem freien Markt wirtschaftender Frauen. Wer das feministische Scifi-Horror Buch „The Stepford Wives“ von Ira Levin oder dessen Verfilmung mit Nicole Kidman kennt, in dem auf das Grauen hinter der Fassade technisch perfektionierter Vorstadtehefrauen geblickt wird, ereilt beim Tradwife-Content ein ähnlich beunruhigendes Gefühl.

 

Abseits beruflicher Ambitionen

Die Mehrheit der Trad-Fluencerinnen ist weiß. Allerdings gibt es eine wachsende Zahl schwarzer Frauen, die Werbung für die traditionelle Ehe machen, wobei sie den Begriff Tradwife nicht explizit verwenden, sondern ihre Identität mit einer „unterwürfigen“ oder „biblischen“ Ehe verbinden. Diese schwarzen Frauen behaupten, dass „die traditionelle Ehe der Schlüssel zur Befreiung von Überarbeitung, wirtschaftlicher Unsicherheit und dem Stress ist, in einer Welt zu überleben, die unserem Überleben und unserer Existenz feindlich gesinnt ist“.

Im Weltbild der Tradwives gibt die ideale Frau ihre beruflichen Ambitionen spätestens nach der Geburt des ersten Kindes zugunsten der Pflege „heimischer“ Beziehungen und der Sorge für die biologischen Angehörigen auf. Kochen, Kümmern, Wäschewaschen und immer wieder von vorn. Und dabei immer top gestylt für den Mann, dessen Bedürfnisse zu erfüllen das Leben der Tradwife erfüllt.

Vertreten wird eine biologistische Bindungstheorie, in der die Frau die primäre Bezugsperson für die Kinder ist und quasi lebenslang als erweiterter Körper ihrer Nachkommen fungiert.

 

Performativer Widerspruch der Tradwives

In der Hyperrealität von Social Media bröckeln die Grenzen zwischen Realität und Spiel, Privatem und öffentlichem Raum. Jede:r kann im Hyperrealen Raum ein Abbild seines Innenlebens entwerfen, für die Veröffentlichung muss die Einbauküche nicht verlassen werden. In der Tradwife Hyperrealität existieren Frauen nicht mehr als echte Individuen, sondern als überstilisierte Versionen von Weiblichkeit. Diese Simulationen prägen die Vorstellung von Weiblichkeit und beeinflussen sowohl Männer als auch Frauen. Währenddessen vertieft sich die Tradwife-Community in die offensichtlichste Lüge des postbürgerlichen, warenproduzierenden Patriarchats: in die Lüge vom männlichen Ernährermodell. Obwohl es sich bei dem bereits in den 1950er mehr um eine mediale Inszenierung als um die Realität der meisten Familien handelte.

Weniger offensichtlich ist der performative Widerspruch der Tradwives, also der Widerspruch von Message und Tätigkeit.

Während die traditionellen Hausfrauen eine antifeministische Welt performen, in welcher wahre Frauen sich glücklich in die finanzielle Abhängigkeit von Männern begeben und ihren angestammten Platz im Heim an Herd und Kind finden, verwirklichen diese Hochglanzküchenstars wie Nara Smith mit über 14 Millionen Followern für sich eine zentrale feministische Forderung aus den 70er Jahren: Sie bekommen „Lohn für Hausarbeit“. Während sie den Mann als natürlichen Ernährer verklären, sind sie finanziell unabhängige und für jeden auf der Welt sichtbare Unternehmerinnen. Die Herdprämie zahlen der Algorithmus, Sponsoren oder das Product-Placement.

 

Arbeit für die extreme Rechte

Das ist natürlich die Freiheit, die die neoliberale Hyperrealität von Social Media für jede Frau bereithält: die Grenzen zwischen privat und öffentlich, Fiktion und Realität einzureißen. In der bürgerlichen Gesellschaft ist nach Schiller das Spiel das einzige Moment, in dem das Ich „sein“ kann. Und wenn sie will, ist es jeder Frau überlassen in das Uncanny Valley der Stepford Wives herabzusteigen, um damit ihr Auskommen zu bestreiten. Das wohlweislich selten vielen, sondern den wenigsten gelingt. Aber: Nur wer finanziell unabhängig ist, kann sich aus einer (gewalttätigen) Beziehung lösen.

Wer aber, wie die ultrakonservativen, christlichen Tradwives, die Frau als abhängiges verklärt, arbeitet einem - von Ira Levin mit ihrem Buch kritisiertem - Geschlechterverhältnis zu, aus dem stets Gewalt gegen Frauen entsteht. Denn mit der Abhängigkeit geht nicht selten die zu Gewalt animierende Vorstellung einher, die Frau sei Eigentum des Mannes, mit dem nach männlichem Belieben verfahren werden könne.

Darüber hinaus romantisieren die Tradwives mit den 50er Jahren eine Zeit, in der Vergewaltigung in der Ehe kein Verbrechen war und Frauen ihre Männer um Erlaubnis bitten mussten, wenn sie arbeiten gehen wollten. Und nicht zu vergessen die Tatsache, dass die patriarchalische Kleinfamilie des 19. und 20. Jahrhunderts die Keimzelle des Faschismus darstellt.

So liefern die Tradwives retraditionalisierenden Kräften den Content, den sie brauchen: Im Ethnopluralismus der (extremen-)Rechten ist die Diversifizierung von Lebensformen, die größte „Bedrohung“. Ideologisch rechts-konservative beneiden den traditionellen Islam für die rigide Familien- und Geschlechter-Ordnung und genau für diese Kräfte lassen sich die Trad-Fluencerinnen mit ihrem Content einspannen, sofern sie sich weiterhin als „explizit unpolitisch“ gerieren.

Das Uncanny Valley der mit neuester Technik die Vergangenheit aufleben lassen wollenden Stepford Wives ist weniger fiktiv als es auf den ersten Blick erscheint.