Demokratie in Gefahr
Platjenwerbe. Anfang des Jahres gründete sich in Ritterhude das Bündnis für Demokratie und Vielfalt, um ein deutliches Zeichen gegen Extremismus jeder Art zu setzen. Als Initiative „Ritterhude ist bunt“ klärt man regelmäßig über rechte Hetze auf, damit Bürger:innen vor Ort wachsam bleiben und faschistische Propaganda schneller erkennen. Am vergangenen Dienstag lud die Initiative zum Impulsvortrag der deutschen Journalistin und Politologin Andrea Röpke ins Dorfgemeinschaftshaus Platjenwerbe.
Rund ums Themengebiet „Rechtsextremismus“ forscht die 59-Jährige bereits seit den frühen 90er-Jahren, wird für ihre investigative Recherche sogar mehrfach ausgezeichnet. 2019 schrieb sie - gemeinsam mit Kollege Andreas Speit - das Buch „Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos“, indem die Journalisten junge Rechtsextreme in ländlichen Regionen unter die Lupe nehmen.
Unter welchen Deckmänteln Rechtsextreme häufig agieren, wie man sich vor rechter Hetze schützt und welche Rolle soziale Medien und Netzwerke dabei spielen, beantwortete Röpke im Rahmen des Vortrages ‚´“Demokratie in Gefahr“.
Für das Thema sensibilisieren
Als Einstieg präsentierte Röpke einen dreiminütigen Film, der rechte Proteste in Niedersachsen zeigt, die immer häufiger von gewaltsamen Übergriffen gegen Journalisten begleitet werden. Nicht nur in Syke oder Verden kommt es zu rechten Ausschreitungen, sondern auch im Landkreis Osterholz. Eine Gruppe aus Ritterhude verkündete: „Ritterhuder auf der Straße, gegen jede Zwangsmaßnahme“, und rief damit aktiv zum zivilen Ungehorsam auf. Mit dem Vortragsabend richte man sich deshalb an alle Bewohner:innen des Landkreises, besonders Familien und Jugendliche, um für versteckten Rechtsextremismus zu sensibilisieren, betonte das Bündnis für Demokratie.
Querdenker und Rechtsextreme
„Die Querdenker-Demonstrationen sind und waren nie sachliche Proteste, die sich lediglich der konstruktiven Kritik politischer Maßnahmen verschrieben haben“, so Röpke. Schon früh habe sich der aggressive Charakter der Strömung offenbart, indem man Virologen zum öffentlichen Feindbild deklariert und auf Demoplakaten in Haftkleidung dargestellt habe. „Anfangs motiviert durch die gemeinsame Ablehnung der eingeführten Coronamaßnahmen, hat sich zunehmend ein rechtes Netzwerk entwickelt, das bewusst friedlich-demokratische Veranstaltungen stört, Politiker:innen bedroht und dabei auf Kontakte in die radikale rechte Szene zurückgreift“, sagte die Politologin. Molotow-Anschläge oder die Inszenierung von Politiker:innen an tödlichen Galgen stünden nur stellvertretend für zahlreiche Gewaltfantasien der Querdenker-Bewegung, bemerkt Röpke.
Als besonders gefährlich identifiziert sie die Heterogenität der Gruppierungen, die nach rechts offen und vom politischen System meist stark entfremdet seien. „Ziel vieler Rechtsextremer ist die Durchsetzung eines libertär-autoritären Systems, um dem Staat möglichst viel Handlungsmacht zu entziehen“, erörterte die Vortragende. Donald Trump inszeniere man deshalb als Freiheitskämpfer, der als Vorbild gegen Demokratie und für die Macht des Einzelnen kämpfe. „Ein extrem-rechtes Beispiel sind die ‚Freien Niedersachsen‘, die sich der bekannten Montagsdemonstrationen aus dem Osten bedienen und über soziale Medien wie Instagram und Telegram zu öffentlichen Hassmärschen aufrufen“, so Andrea Röpke.
Auch unsere Region ist betroffen
Ähnlich agiere auch Jo C. aus Osterholz-Scharmbeck, der sich als Sprachrohr der Protestbewegung versteht und mit seinem Internetkanal „Bewusst TV“ eines der größten verschwörungsideologischen Netzwerke des Landes geschaffen habe. Regelmäßig schauen über 36.000 Zuschauer:innen seine rechtspopulistischen Videos, die C. in einem Wohnhaus in Worpswede produziere.
Julian M. aus Osterholz-Scharmbeck nutze derweil einen YouTube-Kanal, um als Prepper Sorgen und Zukunftsängste zu schüren. „Häufig wird oberflächlich das Stimmungsbild eines permanenten Dauerkrieges erzeugt, aus dem sich Deutschland nur als Volksgemeinschaft retten könne“, erklärt Journalistin Röpke.
Oft schwinge dabei aber das Verbreiten antisemitischen Gedankgutes und eine Verherrlichung des Holocausts mit, indem die eigene politische Lage mit der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt werde. „Mithilfe von rechter Kampfrhetorik und Gewalt wollen die Rechtsextremen zu einem deutschen Reich zurückkehren, indem Andersdenkende keinen Platz haben“, warnte die Politologin. Gefährlich sei auch das Netzwerk „Königreich Deutschland“ aus Niedersachsen und Bremen, welches unter anderem in Osterholz-Scharmbeck aktiv ist. „Indem sie mit günstigem Essen, Wanderungen und Vorträgen wirbt, versucht Helga H. die Vereinigung im Landkreis zu etablieren“, berichtete Andrea Röpke. Zudem habe es vor wenigen Monaten ein Reichsbürger-Treffen mit 80 Teilnehmenden, rund um Aktivist Matthes Haug, in Bramstedt gegeben. „Um rechter Hetze nicht auf den Leim zu gehen, gilt es deshalb stets die Augen offen zu halten und die Motive aufkeimender Vereinigungen kritisch zu hinterfragen“, mahnte die Journalistin und Politologin abschließend.