Interview: Hopfen und Malz sind nicht verloren

Ralf G. Poppe 98

Der 23. April steht in Deutschland traditionell im Zeichen des Bieres. Zu diesem Anlass hat sich Ralf G. Poppe mit zwei Brauereien in unserer Region beschäftigt.

Auch in der Grasberger Brauerei wird mit großen Gefäßen gearbeitet.

Auch in der Grasberger Brauerei wird mit großen Gefäßen gearbeitet.

Bild: Rgp

Selsingen/Grasberg. Vor mehr als 500 Jahren, am 23. April 1516, wurde in Deutschland das Reinheitsgebot für Bier verkündet. Seitdem kommt hierzulande nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe ins Bier. Heute gibt es in Deutschland mehr als 6.000 verschiedenen Biersorten. Dass sie alle unterschiedlich schmecken, liegt an der jeweiligen Rezeptur, am Brauwasser, an der Art, wie das Getreide gemälzt wurde, an den Aromen sowie am Fingerspitzengefühl des Braumeisters.

Im Verbreitungsgebiet des Anzeigers gibt es kleine aber professionelle Brauereien in Grasberg und Selsingen. Der ANZEIGER befragte Christian Voßgröße (CV) von der Grasberger Brauerei GmbH und Holger Gehrmann (HG) vom Hotel Selsinger Hof über die Kunst des Bierbrauens.

Was bedeutet der Tag des Bieres für Sie persönlich - als Brauer, aber auch als Teil einer regionalen Kultur?

HG: „Für mich persönlich sehr viel, aber leider ist das Interesse hier im Norden nicht so ausgeprägt wie im Süden. Wir haben anfangs zum Tag des Bieres viele Aktionen im Haus gemacht, diese wurden aber leider nicht angenommen.“

CV: „Am Muttertag ehrt man seine Mutter, am Vatertag den Vater, am Weltkindertag die Kinder. Am Tag des Bieres sollte man auf seine Brauerei anstoßen - und dem Brauer einen freien Tag wünschen.“

Welche Rolle spielt Bier in der lokalen Identität Ihrer Region?

CV: „Mein Heimatort Grasberg in Niedersachsen ist landwirtschaftlich geprägt und liegt zwischen Fischerhude und Worpswede - beides zugegebenermaßen sehr beschauliche und bekannte Dörfer. Dennoch: Weder hier noch dort habe ich die Worpsweder Brauerei oder die Fischerhuder Brauerei gegründet. Ich glaube schon, dass man in Grasberg bei einer Einladung zum Grillen beispielsweise gerne auch ein Grasberger Bier mitbringt.“

HG: „Eigentlich ein sehr große. Hier im Norden aber eher die Industriebiere. In Süddeutschland ist jedes Dorf stolz auf das eigene Bier. Ich werde von wenigen Einheimischen gefragt, ob ich nicht mal so was wie Astra machen könnte…“

Wie hat sich das Verhältnis der Menschen zum Bier und zum Biertrinken in den letzten Jahrzehnten verändert?

HG: „Durch uns Kleinbrauer ist die Vielfalt auf dem regionalen Markt angekommen. Bis auf ein paar wenige Kunden sind die unterschiedlichen Sorten, die ich mache, eine Erfolgsgeschichte. Ich mache ständig neue Sorten. Ein paar wenige Kunden möchten, dass es immer gleich schmeckt. Den meisten ist das aber zu langweilig.“

CV: „Ich kann das nur aus meiner persönlichen Erfahrung berichten: Vor zwanzig Jahren war immer klar, dass wir uns zum Feiern mit den Freunden Beck’s gekauft haben. Dann wurde die Brauerei Beck & Co. verkauft und bei uns setzte das Bewusstsein für Biergenuss und -vielfalt ein. Es fasziniert mich heute immer noch, wie viele verschiedene Biere, Geschmäcker und Gerüche - auch innerhalb des Reinheitsgebotes - möglich sind. Ich sehe das heute sehr gesellig: Lieber mit netten Menschen ein gutes als drei billige Biere trinken.“

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für handwerklich arbeitende Brauereien - insbesondere im Vergleich zu Großkonzernen?

HG: „Eigentlich keine. Wir sind viel flexibler und können kleinste Mengen herstellen und so auf individuelle Kundenwünsche eingehen.“

CV: „Die Chance für handwerklich arbeitende Brauereien ist der Wunsch vieler Kunden nach regionalen Produkten, deren Herkunft klar ist und zu denen ein persönlicher Bezug hergestellt werden kann. Die Industriebrauereien können aber effizienter und kostengünstiger produzieren, auch deren Marketing bedient sich der emotionalen Bindung des Kunden an die Marke - das ist aber nur Fassade. Leider ist Bier dadurch am Markt sehr billig und viele Menschen wissen gar nicht, wie viel Arbeit in diesem Produkt steckt - insbesondere, wenn es handwerklich hergestellt wird.“

Wie beeinflussen Energiepreise, Rohstoffverfügbarkeit oder Bürokratie Ihre Produktion?

CV: „Direkt. Ich verwende Strom als Primärenergieträger. Schwankungen des Strompreises zeigen sich sehr schnell in veränderten Produktionskosten. Die übrigen benötigten Rohstoffe - Wasser, Malz, Hopfen und Hefe - sind marktgängig und über verlässliche Lieferanten verfügbar. Bei der Bürokratie ist das Problem nicht, dass es Regeln gibt, die einzuhalten sind. Brandschutzregeln und Lebensmittelkontrollen haben beispielsweise definitiv ihre Berechtigung. Problematisch ist, dass die Regeln häufig eher auf Industriebetriebe ausgerichtet sind. Auf einen produzierenden Kleinstbetrieb angewendet, erscheint mir das übertrieben. Zuständige Behörden verkennen meines Ermessens hierbei die Notwendigkeit zu Kompromissen mit gesundem Menschenverstand. Ein Kleinstbetrieb kann es sich nicht leisten, diverse Gutachter und Anwälte zu beauftragen, bevor er überhaupt am Markt mit seinen Produkten angekommen ist.“

HG: „Energie und Rohstoffe machen einen kleinen Teil aus. Aber Bürokratie ist eine Katastrophe. Das Schreiben ist fast so aufwendig wie das Produzieren.“

Würden Sie heute, unter den aktuellen Bedingungen, nochmal eine Brauerei gründen?

CV: „Meine Brauerei habe ich vor etwa drei Jahren gegründet, die damaligen Bedingungen haben sich zu heute nicht wesentlich verändert. Allerdings kenne ich die Bedingungen für eine Brauereigründung heute viel besser, denn mein Gründungsprojekt war von Anfang an durch ‚Lernen auf dem Weg‘ geprägt. Die Bereicherung im menschlichen und im gesellschaftlichen, die mir das Brauereiprojekt gebracht hat, ist unersetzlich. Eine neuerliche Gründung könnte ich mir aber nur mit Partnern, nicht noch einmal im Alleingang, vorstellen. Obwohl es sich ‚nur‘ um einen produzierenden Kleinstbetrieb handelt, sind die Anforderungen sehr komplex.“

HG: „Ganz klar, ja. Wir haben unseren Bierumsatz verdreifacht. Unser Bier gibt es nur bei uns - nirgendwo anders. Wir machen circa 15 Brauerei-Führungen im Jahr. Was kann es Besseres geben, als eine Gruppe von Gästen einen ganzen Abend zu begleiten, mit leckeren 4-Gang-Menü und drei Sorten Bier…“

Wie gehen Sie mit dem Spannungsverhältnis von Tradition und Innovation um?

HG: „Da sehe ich keine Spannung. Circa 400 Malzsorten, über 400 Hopfenarten und fast 4.000 Hefesorten. Daraus kann man Tradition und Innovation Brauen - je nach Bedarf.“

CV: „Tradition und Innovation geht es nicht anders, als uns allen: Jeder muss sich ein wenig zurücknehmen und den Bestand, die Berechtigung und den Bedarf der anderen berücksichtigen. Bier ist ein Traditionsgetränk - mit allem, was daran hängt. Angefangen beim Schützenfest, dem Feierabendbier oder gar dem Reinheitsgebot. Das alles funktioniert aber nicht, wenn beispielsweise Tradition die wirtschaftliche Herstellung verhindern würde. Ich sehe es eher so, dass auch Tradition Veränderung unterliegt. Der eine trinkt seit fünfzig Jahren dieselbe Biersorte, der andere probiert gerne eine neue Marke. Es ist wichtig, dass uns Innovation nicht überfordert und auch Tradition Veränderung zulässt.“

Gibt es Sorten oder Verfahren, die Sie bewusst wiederbeleben - oder bewusst vermeiden?

HG: „Nein. Wie schon gesagt: Ich probiere gerne aus und habe etwas gegen Langeweile.“

CV: „Ich braue bodenständige Landbiere, die sich durch Fülle und Vielfalt von Geschmack und Farbe auszeichnen. Es gibt in meinem Sortiment untergärige Biere und obergärige, bittere und milde, helle und dunkle. Als Kleinstbetrieb verfüge ich nicht über ein Labor, nicht über eine Filtrationsanlage und nutze auch keine anderen Lebensmitteltechniken zur Haltbarkeitssteigerung. Meine Biere sind durch Kälte und Geduld ausgeklart. Sie sind unfiltriert und frei von Zusatzstoffen.“

Spielt Nachhaltigkeit in Ihrem Betrieb eine Rolle, und wenn ja, wie konkret?

CV: „Dass in einem guten Herstellungsprozess auf den wirtschaftlichen Einsatz von Material und Ressourcen geachtet wird, ist selbstverständlich. Nachhaltigkeit zeigt sich aber auch in Lieferanten- und Kundenbeziehungen. Das Grasberger Bier gibt es nur bei wenigen Vertriebspartnern (insbesondere Edeka Ernst in Grasberg, HolAb‘ Lilienthal und dem Schützenhof Hüttenbusch) und in meinem Werksverkauf (donnerstags 16-18 Uhr - außer an Feiertagen). Mit meinen Handelspartnern und Einzelkunden versuche ich langfristige Geschäftsbeziehungen einzurichten. Es gibt beispielsweise eine Männergruppe, es müssen so 10 bis 15 Personen sein, die alle zwei Wochen ein Fass Bier von mir kaufen und gemeinsam gesellig leeren. Das ist absolut nachhaltig: Die Fässer können umweltfreundlich neu befüllt werden, die Brauerei kann verlässlich und wirtschaftlich planen und die Männergruppe ist gut versorgt - dafür gibt es auch mal gratis ein Pro-Bier.“

HG: „Nachhaltiger als eine Kleinbrauerei geht nicht. Das Einzige, was geliefert wird sind einmal im Jahr Hopfen, Hefe und Malz. Trinkwasser zum Brauen. Flaschen kaufen die Gäste und lassen sie regelmäßig bei uns auffüllen. Wie früher, als man die Milch noch vom Bauern von nebenan geholt hat.