Kommentar: Die Wahrheit im Dazwischen

Lara Myller 580

Das „Nordische Modell“ und ein Sexkaufverbot verkennt sowohl die gesellschaftliche Realität wie die unauflösbare Ambiguität von Sexualität.

Mit der Forderung nach einer Einführung des „Nordischen Modells“ befindet sich die Bremer Bürgerschaftspräsidentin (SPD) auf Linie der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Auch das Europaparlament sprach sich im Herbst 2023 für die Einführung des sogenannten Sexkaufverbots aus, „mit der Empfehlung, die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen nach Vorbild des ‚Nordischen Modells‘ in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu kriminalisieren“. Das Nordische Modell sieht eine ‚Umkehr der Politik‘ vor: Freier und Zuhälter werden bestraft, Bordelle, Laufhäuser oder „Verrichtungsboxen“ verboten.

Die Argumentationen für ein Verbot der Prostitution muten allerdings streckenweise moralisierend-konservativ an. Verkannt wird die Ambiguität von Sexualität sowie die Tatsache, dass Prostitution eine gesellschaftliche (Lebens-)Realität in der Gegenwart ist.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG) ist im Jahr 2001 erstmalig in der Rechtsgeschichte die Chance auf ein seriöses Erscheinungsbild und eine Absicherung auf sozialer und gewerblicher Ebene für die Beteiligten geschaffen worden. Mit der Anerkennung von Prostitution als einer Lebensrealität, wird die Möglichkeit geschaffen, dass sich Käufer:in und Verkäufer:in als (scheinbar) gleiche begegnen, von beiden Parteien wird das bürgerliche Recht anerkannt, das bedeutet im Falle eines Vertragsbruchs - nicht-konsensuelle Handlungen, Ausübung von Gewalt - kann Strafanzeige gestellt werden.

Diese vertragliche Grundlage bildet die notwendige Voraussetzung für eine konsequente juristische Verfolgung von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Vergewaltigungen und sexueller Ausbeutung.

Die impliziten Zielsetzungen des „Nordischen Modells“ dagegen, sexuelles Handeln rationalisieren und reglementieren zu wollen, ist in der christlich geprägten Kultur historisch gewachsen. Hergestellt werden soll ein homogener Charakter sexuellen Handelns, der den Menschen Sicherheit und Orientierung gibt. Alles was diesen Charakter zerstört, wird abgelehnt, abgetrennt, moralisch verurteilt.

Die Wahrheit liegt wohl dazwischen: Sexualität ist ambivalent und mitunter abgründig. Der Austausch von Körperflüssigkeiten kann skurril, eklig und unsauber sein. Die (zeitweise) Auflösung eigener Grenzen, das Zueignen, Eindringen und (konsensuelle) Überschreiten von Komfort-Zonen sind Vorgänge die unauflöslich mit (erwünschten) Machtverhältnissen und archaischen Affekten verwoben sind und niemals in Gänze erfass- und rationalisierbar sein werden.