Menschen im Caps-Lock Modus

Ralf G. Poppe 310
Der aus Bremervörde stammende und auf internationalen Bühnen auftretende Musiker Nils Finkeisen hat im Interview mit Ralf G. Poppe über Rechtsradikalismus, Trump und das Ende der Ampelkoalition gesprochen.

 

Nils Finkeisen hat Mitte der 90er den Anzeiger ausgetragen und sich vom Lohn eine E-Gitarre gekauft und wurde dann berühmt.

Nils Finkeisen hat Mitte der 90er den Anzeiger ausgetragen und sich vom Lohn eine E-Gitarre gekauft und wurde dann berühmt.

Bild: Gosia Budig

Hallo, Nils. Du bist in Bremervörde aufgewachsen, und hast hier dein Abitur gemacht. Richtig?

Ja, ich bin in Bremervörde geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe im Jahr 2002 mein Abitur am Gymnasium Bremervörde gemacht. Einige unserer damaligen Lehrer am `gelben Gym´ waren sehr aktiv in der Kommunalpolitik und haben ganz sicher einen bleibenden Eindruck bei uns Schülern hinterlassen. Themen rund um politische Bildung, Ethik, Werte und Normen wurden ausführlich unterrichtet und ich habe erst sehr viel später in meinem Leben verstanden, wie gut die unterrichtenden Studienräte und Oberstudienräte – ich denke dabei beispielsweise an Rudi Selke, Rolf Hüchting, Herrn und Frau Althaus und viele andere Lehrer aus der Zeit – tatsächlich waren und wieviel wir damals gelernt haben. Das hatte Klasse und Qualität. Meinen Abi-Schnitt habe ich mir dennoch versaut. Ich habe viel Gitarre gespielt und vernachlässigte daher die Hausaufgaben.

 

Als Musiker bist Du mit den Bands Die Krupps und Kingdom Come durch die USA getourt als Donald Trump dort erstmals Präsident war. Wie hast Du sein Wirken damals wahrgenommen? Was könnte sich aktuell verändern?

Tatsächlich bin ich mit ‚Kingdom Come‘ vor der Ära Trump und mit ‚Die Krupps‘ während seiner ersten Amtszeit für Shows in den USA gewesen. Zudem bin ich als einer der Geschäftsführer des No.1 Guitar Centers in Hamburg mindestens einmal im Jahr (als Fachbesucher der NAMM Show) in Kalifornien. Bei diesen Besuchen erfahre ich auch, welche Stimmung im Land herrscht. Meine Perspektive beschränkt sich also nicht auf befreundete Musiker, Fans, Booker, lokale Promoter und Bands. Viel Feedback kommt auch aus der Industrie. Bei Bandproben in Miami wurde mir bereits im Jahr 2015 im Gespräch - sogar mit Mitmusikern, die in den USA leben - klar: Die wollen Trump unbedingt an der Macht.

Neun Jahre später ist Stimmung nicht anders. Die Trump-Fanbase ist riesig und das, was sich bereits seit einigen Monaten abgezeichnet hat, wird jetzt erneut Realität. Ein verurteilter Verbrecher, Rassist, Sexist und Populist, der den Sturm auf das Capitol gutheißt und Wahlergebnisse zu seinen Ungunsten nicht akzeptiert, wurde erneut gewählt und wird in seiner zweiten Amtszeit nochmals intensiver versuchen, demokratische Prozesse zu umgehen und die Demokratie im Staat ein gutes Stück weit abzuschaffen. Kurzfristig wird Trumps Wiederwahl vermutlich nicht zu dramatischen Veränderungen im sowieso schon reichlich derangierten Verhältnis zwischen Europa und den USA führen, denn auch Joe Biden konnte in den vergangen vier Jahren die bilateralen Beziehungen nicht auf dem gleichen Level gestalten, wie die US-Präsidenten vor Trump. ‚Ich bin ein Berliner‘ kommt da aus keinem Munde und das wird wahrscheinlich auch in Zukunft nicht passieren. Ganz aktuell hat die Wiederwahl Trumps sich eindrucksvoll in den Aktienkursen niedergeschlagen. Die haben sich allerdings schnell wieder normalisiert. Das war kein Erdbeben.

 

Wie erklärst Du dir die Begeisterung für Donald Trump?

Die Ärzte singen seit 2007 kritisch über die Berichterstattung der Bild Zeitung ‚Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht‘ - das trifft. In den USA und auch in großen Teilen Europas wirkt seit nunmehr über zwei Jahrzehnten die ungesunde Mischung aus Ignoranz, mangelnder Medienkompetenz und Politikverdrossenheit, gepaart mit Neid- und Angst-Phänomenen, die die sozialen Medien verursachen. Jeder Zweite User bei Instagram ist vermeintlich Millionär. Überall und ständig gibt es Berichte über Kriege und ähnlich schlechte Nachrichten, die sich sowohl in modernen Medien wie auch im Fernsehen, Radio oder Print schneller verbreiten und viel mehr Aufmerksamkeit erregen als gute Nachrichten.

Da kann man schon mal sauer werden, es mit der Angst bekommen und die Schuld beim System suchen. Wenn ich das System ‚Demokratie‘ allerdings nicht ganz genau verstanden habe, mich mit den Themen, die gerade in den Nachrichten stattfinden, nicht umfangreich befasse, ich mich nicht mit den Hintergründen beschäftigen kann oder will, weil ich gar nicht die Zeit oder Ambition habe zu einem Experten zu werden… Ja, dann wird mein Weltbild zwangsläufig schwarz-weiß kleinkariert. Diese Unwissenheit und Unsicherheit wird von Populisten seit Jahrhunderten instrumentalisiert und zur Machtgewinnung genutzt.

 

Doch nicht nur die USA, sondern Europa, und ganz besonders Deutschland, hat mit einem Rechtsruck zu kämpfen.

Natürlich. Populismus ist ein globales Phänomen und führt in demokratischen Staaten oftmals zu einer Stärkung der extremen Rechten. Das darf nicht verwundern, denn Antipluralismus, Autoritarismus und Ethnizismus in den Wahlprogrammen der Höckes und Le Pens, lässt sich innerhalb einer Gesellschaft, die heimlich von der Instagram-Millionen träumt, supergut verkaufen. Das Spielchen lässt sich allerdings auch mit linksradikalen Gedanken treiben. Das liegt total im Trend im ‚Underground‘ und könnte bei uns in Deutschland in den nächsten Jahren noch für etwas Spannung bei Polit-Talkshows sorgen. Mit einfachster Rhetorik wird eine enorme Emotionalisierung bewirkt: ‚Benzinpreis zu teuer!‘ Jetzt noch fix den Schuldigen finden! ‚Die Jud… ääähhm die Grünen waren es! …und wenn Euch das nicht passt, war es halt Söder, Merz oder Scholz. Kannst Du Dir aussuchen!‘, und dann noch einen #hashtag drunter. Fertig ist die Wahlkampagne. Die billigen Schuldzuweisungen kommen allerdings nicht von ungefähr. SPD und CDU führen ihren Wahlkampf gegeneinander gar nicht selten auf vergleichbar niedrigem Niveau. So manches Mal hat da der eine oder andere Sprecher einer der etablierten Parteien den Caps-Lock auf der Tastatur betätigt und ‚spricht‘ ausschließlich IN GROSSBUCHSTABEN!!! EINSELF!!! Politiker Tourette. Daher brauchen sich die ‚Volksparteien‘ auch nicht darüber zu wundern, dass dieser Jargon salonfähig wurde.

 

Merkst Du diesen Ruck auch in der Heavy Metal-/Musik-Szene?

Ich freue mich immer wieder darüber, wie selten das in der Metal-, Rock- und vor allem Gothic-Szene thematisiert wird. Bei den sehr regelmäßigen Treffen der Fans der Bands in den Clubs und bei Festivals, wird Politik nur gelegentlich zum Thema und tatsächlich sind sich viele Die Krupps-Fans und auch etliche Joachim WITT-Fans sehr einig. Die wählen fast alle sehr klassisch die politische Mitte. Vermutlich liegt das daran, dass der typische Festivalbesucher ein kontaktfreudiger, sozialer Typ Mensch ist und sich nicht nahezu ausschließlich über soziale Medien mitteilt, sondern ‚face to face‘ den Dialog sucht.

 

Wie hoch schätzt Du die Möglichkeit ein, dass nach dem Ende der Ampel-Koalition auch die Regierungsbildung mit den Neuwahlen einen gewaltigen Ruck nach rechts erfährt?

Die Gefahr ist definitiv da. Ich habe allerdings den Eindruck, dass das Thema ‚Brandmauer‘ unter Demokraten sehr viel ernster genommen wird als das Thema ‚Jargon‘. 51 Prozent wird die AFD bei einer Wahl am 23. Februar 2025 nicht erreichen.

Wahlergebnisse in Deutschland zeigen, dass immer mehrMenschen Parteien aus dem rechten bis rechtspopulistischenParteienspektrum wählen. Was aber machen die anderen Parteien falsch, dass ihnen die Wähler weglaufen?

Wenn ich darauf eine Antwort hätte, wäre ich nicht Musiker und Gitarrenhändler geworden, sondern Politiker. Meine subjektive Sicht auf die Dinge ist nicht einfach und schnell erklärt. Das will doch heutzutage keiner mehr lesen. Ganz stark vereinfacht, kann ich lediglich daran appellieren, das Bildungssystem zu überarbeiten und im Lehrplan der jungen Menschen den Themenkomplex `Medienkompetenz´ sehr viel stärker zu priorisieren. `Bild Dir Deine eigene Meinung!´ - Nur bitte nicht durch Informationen aus der Bildzeitung und aus dem Facebook. Das würde schon helfen – aber leider nicht kurzfristig.