Zwischen Atelier und Alltag

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Ein neues Projekt in Worpswede lädt dazu ein, Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern gemeinsam zu leben – jenseits von Klischees und Kunstmythen.
In der jüngeren Geschichte ist es einmalig, dass so viele Institutionen gemeinsam für das Künstlerdorf arbeiten.

In der jüngeren Geschichte ist es einmalig, dass so viele Institutionen gemeinsam für das Künstlerdorf arbeiten.

Bild: Christoph Geiger

Die ersten Impulse zu den „Beziehungsweisen Worpswede“ kamen vom örtlichen Heimat- und Geschichtsverein, der im vergangenen Jahr die Hochschule für Künste im Sozialen als Partnerin gewann. „Gemeinsam möchten wir mit dem Projekt eine Wir-Erzählung schaffen, die Worpswede nicht nur aus künstlerischer Perspektive, sondern vor allem aus einem alltäglichen Blickwinkel betrachtet“, erklärt Projektleiter Michael Uhl. Geplant ist eine alternative Form des Geschichtensammelns – realisiert durch Interviews, Erzählcafés, Workshops und Vorträge bis Mitte 2026.

„Inspiriert wurden wir durch die Arbeiten von Walter Niemann und seiner Frau“, sagt Hans-Hermann Hubert, Vorsitzender des Heimatvereins. Charlotte Niemann begründete einst den Kinderfunk bei Radio Bremen, während Walter Niemann als Maler und später als Illustrator für die Kinderbücher von Ursula Ziebarth bekannt wurde. „Stück für Stück entstand im Künstlerdorf ein Beziehungsgeflecht, das uns besonders in seinem Verhältnis zwischen Künstlern und der übrigen Bevölkerung interessierte“, so der Leiter des Ortsarchivs.

Einmalige Zusammenarbeit

Auch die Hochschule für Künste im Sozialen sucht gezielt nach solchen Alltagsbezügen. „Das Projektteam besteht unter anderem aus Studierenden, mit denen wir regelmäßig in Worpswede unterwegs sind, um Besonderheiten und Alltäglichkeiten zu entdecken“, erläutert Prof. Dr. phil. Ralf Rummel-Suhrcke. In Exkursionen gehe es darum, das gegenwärtige Leben im Ort zu erkunden – und herauszufinden, was die Menschen bewegt. Die narrative Recherche im Ort brachte schnell ein Netzwerk sozialer Einrichtungen zusammen, das das knapp zweijährige Projektvorhaben unterstützt. Neben Gemeinde, Jugendzentrum „Die Scheune“, den Künstler: innen Häusern, der Kunstschule Paula, dem Schützenverein und dem Worpsweder FC beteiligen sich auch die Erntefestfreunde und der Museumsverbund. Ziel ist es, möglichst viele Perspektiven auf das Dorfleben zu eröffnen. „In der jüngeren Geschichte ist es einmalig, dass so viele Institutionen gemeinsam für das Künstlerdorf arbeiten“, sagt Hubert. Nur so lasse sich ein breites Spektrum an Geschichten – von der Bergstraße bis aufs Land – mit all seinen Widersprüchen abbilden, ergänzt Uhl.

Zuhörer im Mittelpunkt

Das erste Begegnungsformat startet am 8. Mai mit einem Erzählcafé im „Haus 6“. „Anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren geht es darum, wie das Friedensereignis in Worpswede erlebt wurde“, erläutert der Künstlerische Leiter. Eingeladen sind nicht nur Zeitzeug:innen – vielmehr soll „Haus 6“ ein kreativer Freiraum sein, in dem kleinen Erzählungen und persönlichen Erinnerungen Raum gegeben wird. Den Abschluss des Projekts bildet ein Theater-Hörspiel-Kunst-Erlebnis, das Besucher:innen auf eine audiovisuelle Reise durch Worpswede mitnimmt. „Die Zuhörer rücken selbst in den Mittelpunkt und entdecken den Ort durch die Augen anderer“, sagt Uhl.

Nähere Informationen

Weitere Informationen, Termine und Einblicke in den Projektverlauf gibt es unter www.Beziehungsweisen-Worpswede.de Unterstützt wird das Vorhaben vom Landesverband Soziokultur Niedersachsen, dem Ministerium für Wirtschaft und Kultur, dem Landesverband Stade, der Stiftung Niedersachsen, der VGH Stiftung mit der ÖVB/VGH Regionaldirektion Bremen, dem Landkreis Osterholz, der EWE Stiftung sowie dem Verein zur Kunst- und Kulturförderung Worpswede.