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Das Ende und der Anfang

Anlässlich des Jahrestages zum Warschauer Aufstand vom 1. August 1944, hat in der Gedenkstätte Lager Sandbostel eine neue Ausstellung eröffnet, die bis Montag, 30. September, angeschaut werden kann.

Sandbostel. Am 1. August 1944 - vor 80 Jahren- begannen 43.500 Männer und 11.500 Frauen der polnischen Heimatarmee Armia Krajowa unter Führung der polnischen Exilregierung in London einen Aufstand gegen die deutsche Besetzung Warschaus. Aus diesem Anlass eröffnete die Gedenkstätte Lager Sandbostel die Sonderausstellung „Das Ende und der Anfang. Warschauer Aufständische in deutscher Gefangenschaft“ des zentralen Museums der Kriegsgefangenen in Lambinowice-Opole.

Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann und Gedenkstätten-Mitarbeiter Jan Dohrmann eröffneten die Sonderausstellung mit informativen Reden vor vielen Gästen im neuen sogenannten Kinoanbau. Die Ausstellung wird bis Montag, 30. September, im Bernard Le Godais-Saal zu sehen sein.

 

Erweiterte Veranstaltungsmöglichkeiten

 

Für den neuen Veranstaltungsraum, der für diese Veranstaltung erstmals offiziell genutzt wurde, sei man den ehrenamtlichen Kollegen des Gedenkstättenvereins Sandbostel e.V. sehr dankbar, so Ehresmann. Ein „Bauteam“ um Jürgen Wiegand habe in zahlreichen Stunden den besagten Raum nicht nur renoviert, sondern regelrecht saniert. Dank einer Förderung des Landkreises konnte ein neues Dach sowie eine neue Heizung eingebaut werden. Die Kosten für Fenster und Fußboden wurden von der Gedenkstätte übernommen. Dank einer Crowdfunding-Sammlung des Gedenkstättenvereins konnten zudem neue Stühle, Seminartische und die Veranstaltungstechnik angeschafft werden.

 

Kinder in Kriegsgefangenschaft

 

Der besagte Aufstand würde manchmal mit dem Warschauer Ghettoaufstand, einem sehr wichtigen Erinnerungstopos in der jüdischen Erinnerung, bei dem sich bereits am 19. April 1943 unzureichend bewaffnete polnische Jüdinnen und Juden gegen ihre Deportation in deutsche Vernichtungslager erhoben, verwechselt, sagte Ehresmann in seinem Vortrag. Der in der Ausstellung thematisierte Aufstand sei wiederum sehr bedeutend in der polnischen Erinnerung. Der Aufstand der Armia Krajowa (AK) wurde nach 63 Tagen mit Kapitulation beendet. Bis zum 2. Oktober 1944 hatten die Deutschen den Aufstand blutig niedergeschlagen. Mehr als 200.000 Warschauer:innen wurden getötet, fast die gesamte Stadt zerstört. Die Aufständischen unterzeichneten ein Kapitulationsabkommen, das die ehemaligen Kämpfenden vor KZ-Haft oder Zwangsarbeit bewahren und ihnen den Schutz des Genfer Abkommens in deutscher Kriegsgefangenschaft garantieren sollte. Die Wehrmacht begann daraufhin mit dem Abtransport von etwa 17.000 Kombattant:innen, darunter 3.000 Frauen, in die Stalags und Oflags. Die Kämpfer:innen wurden als Soldaten anerkannt. In das Lager Stalag X B nach Sandbostel gelangten im Oktober 1944 etwa 5.000 männliche sowie 550 weibliche Angehörige der AK. Darunter befanden sich zahlreiche Kinder, die auf Seiten der Aufständischen gekämpft hatten.

 

Tagebucheinträge einer Gefangenen

 

Dohrmann fasste nach der Einleitung des Gedenkstättenleiters die historischen Daten zur Ausstellung in weitere ergreifende Worte. Eingeleitet wurde sein Vortrag mit einem Auszug aus dem Tagebuch von Cecylia Jordan-Rozwadowska. Sie beschrieb darin sehr eindrücklich „das Ende“ und „den Anfang“ des 63 Tage andauernden Warschauer Aufstands, in dem sie einen der zahlreichen Frauenverbände anführte, sowie den Anfang ihrer mehr als sechsmonatigen Kriegsgefangenschaft, die sie unter anderem in Sandbostel verbrachte. Nach vier Tagen Fahrt erreichte Jordan-Rozwadowskas Transport das Stalag X B Sandbostel am 10. Oktober 1944: „Abends Ankunft in Bremervörde. Unsere Fahrt geht nach Sandbostel, einem ca. 12 Km entfernten Barackenstädtchen inmitten von Sand, Drähten und bedrohlichen Scheinwerfern, in hoffnungsloser Einöde. Hier werden wir eine unbestimmte Zeit verbringen. Tage, Wochen, Monate?“ Neben dem Stalag in Lamsdorf, polnisch Lambinowice, wo sich heute das zentrale Museum der Kriegsgefangenen befindet, wurde Sandbostel so zu einem der Lager, in denen die meisten der Warschauer Aufständischen nach der Kapitulation von der Wehrmacht untergebracht wurden. „Ich bin jetzt Kriegsgefangene Nr. 224513. Meine zerrissene zivile Kennkarte wird zu den Akten gelegt und als einziger Ausweis bleibt mir diese nummerierte Marke, die im Todesfall halbiert wird. Die eine Hälfte kommt mit dem kalten Leichnam ins Grab, die andere Hälfte geht mit den Dokumenten zu den Akten“ schrieb Jordan-Rozwadowska am 25. Oktober 1944. Der Eindruck, im Lagersystem nicht mehr als Mensch, sondern als Nummer gegolten zu haben, sei, so Dohrmann, ein wiederkehrendes Motiv in den Erinnerungen ehemaliger Kriegsgefangener, wie auch beispielsweise bei Überlebenden von Konzentrationslagern. Im April 1945 verlegte die Wehrmacht dann polnische Offiziere aus Sandbostel nach Lübeck. Auf dem Weg dorthin wurden zwei von ihnen in der Nähe von Stade erschossen. Sie liegen bis heute auf dem Garnisonsfriedhof in Stade und in Steinkirchen begraben. Grund für die Verlegung waren die Transporte mit Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern, die teilweise bereits auf dem Weg in das Stalag X B Sandbostel waren. Am 29. April 1945 erlebten die in Sandbostel verbliebenen Warschauer Aufständischen die Befreiung durch britische Truppen.

 

Schicksale der gefangenen Frauen

 

Am 12. April 1945 wurde das Lager Oberlangen im Emsland mit mehr als 1.700 internierten Frauen durch die polnische Panzerdivision unter General Stanislaw Maczek befreit. Wenige Kilometer entfernt wurde von den britischen Besatzungsbehörden danach ein sogenanntes DP-Camp eingerichtet, ein Lager für polnische Displaced Persons. Das waren befreite Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter:innen. Von 1945 bis 1948 musste die deutsche Bevölkerung den Ort Haren an der Ems räumen, und ein polnisches Städtchen entstand: Maczków, benannt nach General Stanislaw Maczek. Hier lebten auch ehemalige Kriegsgefangene aus Sandbostel. Beispielsweise wurde hier die erste Tochter von Zofia Ruzga und Ignacy Narewski, die im Stalag X B in Sandbostel heirateten, geboren, bevor die Familie nach England auswanderte. Nach dem Abzug der DPs wurde das Thema jahrzehntelang auf deutscher Seite tabuisiert. Heute widmet sich ein Dokumentationszentrum diesem Abschnitt der Nachkriegsgeschichte.


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