Mütter unter Druck
Während die Koalitionsverhandlungen der künftigen Bundesregierung in Berlin auf Hochtouren laufen, sind Mütter in eine doppelte Zange geraten: Sogenannte Wirtschaftsexperten kritisieren die geplante Ausweitung der Mütterrente als zu teures Wahlgeschenk. Und der Ökonom Clemens Fuest vom Münchner ifo-Institut und die Journalistin Julia Löhr haben das Elterngeld als verzichtbaren Luxus bezeichnet, den man abschaffen sollte. Rund acht Milliarden Euro ließen sich so einsparen – eine Summe, die angesichts der Haushaltslage verlockend klingt. Entsprechend schlugen Sozialverbände Alarm.
„Ein fataler Rückschritt“
Stefanie Jäkel, Landespressesprecherin des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Niedersachsen, hat gegenüber dem Anzeiger eine mögliche Kürzung oder Streichung des Elterngeldes eine Gefahr für die Stabilität vieler Familien bezeichnet: „Familien und gerade auch Alleinerziehende hätten weniger finanzielle Sicherheit nach der Geburt eines Kindes. Besonders betroffen wären Familien mit mittleren Einkommen.“
Auch die symbolische Wirkung einer Streichung wäre fatal gewesen: Das Elterngeld sei bei seiner Einführung ein Bekenntnis zu moderner Familienpolitik gewesen – für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Eine Abschaffung oder Kürzung wäre daher ein fataler Rückschritt im Bereich der Familienpolitik“, gewesen so Jäkel.
Gunda Menkens, Landesfrauenvertreterin des Sozialverbands VdK, hat gegenüber dem Anzeiger ebenfalls vor den Folgen für die Gleichstellung gewarnt: „Nach wie vor beziehen hauptsächlich Frauen Elterngeld. Dementsprechend wären sie jetzt und auch im Alter besonders stark von einer Streichung betroffen.“ Gerade der langsam gestiegene Anteil der Väter zeige, dass sich gesellschaftlich etwas bewegt habe – was durch Einschnitte gefährdet werden würde. Eine Kürzung hätte „die unbedingt notwendige gleichberechtigte Aufteilung der Sorgetätigkeit wieder in alte Rollenmuster“ zurückgeworfen.
Verborgene Entwertung
Doch wie es nun aussieht, haben sich die künftigen Koalitionspartner darauf geeinigt, das Elterngeld nicht nur nicht abzuschaffen, sondern sogar zu erhöhen. Das ist eine gute Nachricht. Tatsächlich wurde das Elterngeld in den letzten 17 Jahren nicht an die Inflation angepasst. Die Kaufkraft des Höchstsatzes von 1.800 Euro liegt heute real nur noch bei rund 1.270 Euro. Der Mindestbetrag von 300 Euro entspricht inflationsbereinigt gerade einmal noch gut 210 Euro. Jetzt sollen die Einkommensgrenze und der Mindest- und Höchstbetrag spürbar angehoben werden, wie es in einem Text der Koalitionspartner heißt. Was das konkret heißen soll, steht dort leider nicht.
„Längst überfällig“
Bei der Mütterrente geht es um die Rentenansprüche von Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Für sie wurden bislang nur zweieinhalb Jahre Kindererziehungszeit angerechnet – für jüngere Mütter hingegen drei Jahre. SPD und Union wollen diesen Unterschied nun abschaffen. Das sehen führende Ökonominnen wie Monika Schnitzer und Veronika Grimm kritisch. Die Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, hält das Vorhaben für „nicht mehr zeitgemäß“.
Für Sozialverbände ist die Reform hingegen überfällig. „Die geplante Ausweitung der Mütterrente ist eine längst überfällige Anerkennung und Gleichstellung von unbezahlter Sorgearbeit für alle Müttergenerationen – egal, in welchem Jahrzehnt sie sich um ihre Kinder gekümmert haben“, betont Stefanie Jäkel vom SoVD.
Auch Gunda Menkens vom VdK sieht in der Reform ein notwendiges Signal: „Das kommt zugegeben spät, ist aber immer noch notwendig, denn Altersarmut ist überwiegend weiblich.“ Wichtig sei dabei auch, dass die Finanzierung nicht aus Rentenbeiträgen, sondern aus Steuermitteln erfolgt – als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Sorgearbeit sichtbar machen
Beide Verbände fordern eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung und strukturelle Absicherung unbezahlter Sorgearbeit – etwa durch bessere Rentenregelungen, eine verlässliche Kinderbetreuung und eine gerechtere Steuerpolitik.
„Geschlechtergerechtigkeit beginnt mit der fairen Verteilung unbezahlter Sorgearbeit“, sagt Jäkel. Um strukturelle Ungleichheit zu bekämpfen, brauche es mehr als symbolische Reformen: „Unterschiedliche Personengruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
Menkens verweist auf einen weiteren Aspekt: die Pflege. Schon heute werden rund 85 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt – größtenteils von Frauen. „Hier braucht es dringend finanzielle und sozialversicherungsrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger, um deren Armutsrisiko effektiv zu bekämpfen.“
Ein System am Kipppunkt
Die Infragestellung des Elterngelds und die Debatte über die Kosten der Mütterrente offenbaren eine grundsätzliche Schieflage: Die Arbeit, die Eltern – insbesondere Mütter – für die Gesellschaft leisten, wird von jenen, die für Wirtschaftswachstum eintreten, entwertet und übersehen. Dabei stellt diese Sorgearbeit das Backup der Wirtschaft dar. Aber es gibt auch andere Ökonomen wie Maurice Höfgen, der schreibt: „Statt den Müttern in die Tasche zu greifen, sollten Wirtschaftsweise und Journalisten über echte Privilegien und Ungerechtigkeit reden.“ Gemeint sind Steuerprivilegien für Erbschaften, legale Tricks der Superreichen, Milliardenlöcher durch Steuerhinterziehung.
Die Frage kann also nicht sein, ob der Sozialstaat sich Elterngeld und Mütterrente leisten kann. Die Frage ist, welche Arbeit diese Gesellschaft als wertvoll betrachtet – und welche sie systematisch unsichtbar macht.