50 Jahre Punk: „Wir schubsen Rentner vors Auto“
„Stört das Festival. Klaut die Kasse!“ - Mit dem No Fun-Festival wollte das gleichnamige Plattenlabel die Hannoveraner Punkszene dokumentieren. Für zwei Tage waren im März 1980 lokale Bands wie Hans-A-Plast, Die Cretins, Der Moderne Mann oder Rotzkotz angekündigt. Ein Livemitschnitt sollte später auf Vinyl veröffentlicht und mit den Eintrittsgeldern finanziert werden.
Drei Jahre zuvor fand das erste Punkkonzert in Hannover statt: The Vibrators aus England spielten im UJZ Glocksee, in derselben Venue, in dem No Fun ein Stück Hannoveraner Punkgeschichte dokumentieren wollte. Die lokale Szene war da bereits in Nord- und Südstadt gespalten. Die Nordstadt, das Ballungsgebiet von No Fun Records, war traditionell von Künstlern und Studenten besiedelt. Die Südstadt galt als Arbeiterterrain.
Flugblätter, die den Südstadt-Punks zugeordnet wurden, riefen zum Boykott auf: „Spätestens mit diesem Festival/Sampler wird endgültig die Trennung zwischen der Straße und diesen verhinderten Profimusikern gezogen.“ Die angekündigten Bands, so die Kritik, bräuchten keine weiteren Veröffentlichungen. Das Geld wäre in der Finanzierung von Strukturen besser investiert. Daher der Aufruf, die Kasse zu klauen. „Euer Bild kommt in die Sounds, unsere Bilder in die Polizeiakten!“
Geburt der Chaostage
Die Kasse wurde nicht geklaut, das Festival verlief störungsfrei und der Livemitschnitt erschien unter dem Titel „HanNover Fun Fun Fun“. Die Gegner des Festivals sollten dennoch Recht behalten: Hans-A-Plast schaffte es auf das Cover des Musikmagazins Sounds, und die Polizei der Landeshauptstadt wurde angewiesen „alle Erkenntnisse über sogenannter Punker unverzüglich der zentralen Nachrichten- und Auswertungsstelle der KFI 7 formlos schriftlich mitzuteilen“.
Die Taz deckte 1982 die sogenannte Punkerkartei auf, in der die Polizei Hannover gezielt Jugendliche mit auffälligem Aussehen registrierte, auch ohne dass die in Straftaten verwickelt waren. Ein paar Punks initiierten daraufhin einen „Chaos-Tag“. Durch das Zusammenkommen etlicher Punks und Nicht-Punks, die sich aber als Punks verkleiden sollten, so die Idee, wollte man den Datenbestand unbrauchbar machen. Etwa 800 Punks kamen daraufhin am 18. Dezember nach Hannover. Die Polizei versuchte, die Versammlung aufzulösen, es folgten Auseinandersetzungen. Die „Chaostage“ von Hannover waren geboren.
Polizei eskalierte
Ab 1985 blieb es weitgehend ruhig. Erst 1994 gab es ein Revival; nicht weil man ein politisches Programm verfolgt habe, sondern aus nostalgischen Gründen, erinnert sich Karl Nagel, einer der Initiatoren. Die Polizei sah das anders und verbreitete die Legende, die Punks hätten angekündigt, die ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen. Belegen konnte sie die Behauptung nicht.
Für die Punks war klar: jetzt wird zurückgelogen. Also verbreiteten sie im darauffolgenden Jahr Flugblätter mit Nachrichten wie „Giftgas in Tokio – Chaos-Tage in Hannover“ oder „Wir schubsen Rentner vors Auto“. Obwohl die Flugblätter explizit auf ihren satirischen Charakter hinwiesen, wurden die Aussagen als Vorhaben der Punks zitiert. Was 1995 folgte, war somit vorprogrammiert.
Die Polizei hatte eigenen Angaben zufolge eine Deeskalationsstrategie entwickelt. Die Praxis zeigte indes das Gegenteil: Sie räumte willkürlich Plätze und sprach Stadtverbote nicht nach Taten, sondern nach der äußeren Erscheinung aus. Als der letzte Rückzugsort der Punks, das Sprengelgelände, ein ehemaliges Fabrikgelände in der Nordstadt, geräumt werden sollte, eskalierte die Situation.
Was geblieben ist
Mehrere Tage lieferten sich Punks, aber auch Jugendliche ohne Szenebezug, Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen Barrikaden gebaut und sowohl von den Punks als auch von der Polizei Steine geschmissen wurden. Supermärkte wurden – zur Freude einiger Anwohner – kollektiviert. Ein Polizeiführer sprach später von bürgerkriegsähnlichen Zuständen und musste sich eingestehen, die Strategie der Deeskalation war misslungen.
Die Bilanz: Etwa 1200 Punks wurden in Gewahrsam gebracht, es gab mehr als 400 Verletzte auf beiden Seiten und einen Sachschaden von schätzungsweise 700.000 D-Mark. Zur Aufarbeitung wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet und die Landtagsfraktion der Grünen kritisierte Grundrechtseinschränkungen durch Aufenthaltsverbote und massenhafte Ingewahrsamnahmen. Das Amtsgericht Hannover stufte letzteres in den meisten Fällen später als rechtswidrig ein.
Von den Chaostagen geblieben ist lediglich der Konzertort „Kopi“, der inzwischen um seinen Erhalt kämpft. Die Stadt hatte den örtlichen Punks 1996 die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, um die Konflikte in der Nordstadt zu befrieden. Zwar gab es weitere Versuche erneuter Zusammenkünfte, aber die Polizei machte die Anreise von Punks nahezu unmöglich. Die stand in vielen Stadtteilen buchstäblich an jeder Ecke. Die Chaostage mussten den Ordnungstagen weichen.