Arbeitsrecht und Corona
Osterholz-Scharmbeck (jm). Die Corona-Krise hält die Wirtschaft weiter in Atem. Der ANZEIGER hat mit dem Rechtsanwalt und Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management Bremen über arbeitsrechtliche Fragen gesprochen. Die Corona-Pandemie beschäftigt nicht nur die Arbeitswelt seit mehr als einem halben Jahr. Herr Professor Jesgarzewski, mit welchen Fragen wenden sich Ihre Klient*innen an Sie? Haben die Menschen heute, im zweiten Lockdown, andere Fragen, als noch im März? Viele Unternehmer haben, genau wie die meisten Arbeitnehmer, nicht mehr damit gerechnet, dass eine so starke zweite Welle kommen würde. Weil aber das Wissen und der Vorbereitungsstand heute deutlich größer sind als vor einem halben Jahr, sind die Betriebe weitestgehend am Laufen. Schlimm ist die Lage aber natürlich in den betroffenen Branchen wie Luftfahrt, Gastronomie, Tourismus oder Veranstaltungen. Müssen die Arbeitnehmer*innen mit Kündigungswellen rechnen? Stimmt es, dass Kurzarbeit zu einem Kündigungsverbot führt? Die erste Frage lässt sich schwer beantworten. Bisher sind noch keine Kündigungswellen zu verzeichnen. Über Kurzarbeit wird ganz viel abgefangen. Das ist auch richtig so, aber natürlich keine Dauerlösung. Ich rechne daher damit, dass Kündigungen und Aufhebungsverträge mehr werden. Und leider führt die Möglichkeit der Kurzarbeit nicht per se dazu, dass Kündigungen unzulässig sind. Arbeitgeber sollten hier jeden Einzelfall genau anschauen. Und Arbeitnehmer sollten Kündigungen nicht klaglos akzeptieren. Wer krankgeschrieben ist, bekommt bis zu sechs Wochen weiter Gehalt, das wissen die meisten Menschen bereits. Wie verhält es sich mit behördlich angeordneter Quarantäne? In diesem Fall läuft das Gehalt ganz normal weiter. Der Arbeitgeber bekommt im Regelfall aber eine Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz vom Staat. Angenommen, ich könnte meine Tätigkeit grundsätzlich auch im Homeoffice ausüben und bin zwar in Quarantäne, aber nicht krank. Bin ich verpflichtet, von zuhause aus weiterzuarbeiten, wenn meine Firma die entsprechenden Möglichkeiten schafft? Der Arbeitsort wird zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart. Es gibt weder eine gesetzliche Pflicht zum Homeoffice, noch ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers. Beide Parteien sind daher gut beraten, gemeinsam praktikable Lösungen zu erarbeiten und nicht erst den Fall der Quarantäne abzuwarten. Darf ich umgekehrt darauf bestehen, ins Homeoffice zu gehen, weil ich einfach vorsichtig sein möchte? Wie sieht es aus, wenn ich Kontakt zu einem Verdachtsfall hatte, der noch nicht durch ein Testergebnis bestätigt wurde? Einfach zu Hause bleiben geht nicht. Der Arbeitnehmer ist zur Arbeitsleistung verpflichtet, solange er nicht krank oder in angeordneter Quarantäne ist. Aber auch hier empfiehlt sich das Gespräch mit dem Chef. Was passiert, wenn mein ganzer Betrieb vorübergehend schließen muss? Bekomme ich weiter Geld? Ja, so ist es. Wenn die Arbeitnehmer arbeitsfähig und arbeitsbereit sind, aber der Arbeitgeber sie aus Gründen nicht beschäftigen kann, die in seiner betrieblichen Sphäre liegen, muss weiter bezahlt werden. Das gilt auch im Falle von Corona. Unter welchen Umständen darf ein Unternehmen Zwangsurlaub anordnen? So etwas wie Zwangsurlaub ist nicht erlaubt. Der Arbeitgeber kann nur eine Betriebsschließung vornehmen, die mit einem etwa vorhandenen Betriebsrat abzustimmen wäre. Das müsste mit einer angemessenen Ankündigungsfrist erfolgen und dürfte auch einen Teil des Urlaubs umfassen. Eltern mit kleinen Kindern stehen in der Krise vor besonderen Herausforderungen. Das Bürgerliche Gesetzbuch und auch viele Arbeitsverträge sehen sogenannte Kinderkrankentage vor: Arbeitnehmer*innen dürfen unter bestimmten Umständen zuhause bleiben, um ihr krankes Kind zu betreuen. Wie ist es nun, wenn das Kind nicht krank ist, aber wegen Kontakten in Schule oder Kita in Quarantäne muss oder die gesamte Einrichtung geschlossen ist? Das Elternteil darf zu Hause bleiben, wenn ein Kind, das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, aufgrund einer Quarantäne plötzlich betreut werden muss. Nach dem Infektionsschutzgesetz besteht ein Anspruch auf Entschädigungszahlung pro erwerbstätige Person von bis zu zehn Wochen, bei Alleinerziehenden sogar bis zu 20 Wochen. In diesem Fall erhalten erwerbstätige Eltern 67 Prozent ihres Einkommens, solange keine anderweitige Betreuungsmöglichkeit für das Kind besteht. Reisen sind seit Beginn der Pandemie ein großes Thema. Aktuell gelten große Teile Deutschlands als Risikogebiete. Kann ich mich weigern, eine Dienstreise in ein Risikogebiet anzutreten? Bekomme ich weiter Gehalt, wenn ich danach in Quarantäne muss? Trifft den Arbeitnehmer grundsätzlich eine Dienstreiseverpflichtung, so ist er grundsätzlich verpflichtet, die Dienstreise auch anzutreten. Die Dienstreise zu verweigern, wäre ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten. Eine Weisung des Arbeitgebers darf aber nicht unbillig sein. Gehört der Arbeitnehmer also beispielsweise zu einer Corona-Risikogruppe, wäre eine Weisung zur Reise in ein Risikogebiet unbillig. Wenn ich aufgrund einer Dienstreise in Quarantäne muss, bekomme ich weiter Gehalt. Gilt das auch für private Reisen in Risikogebiete? Können Arbeitgeber*innen ihren Angestellten solche Reisen verbieten? Liegt keine Infektion mit COVID-19 vor und ist der Arbeitnehmer nur in Quarantäne, wird ein Zahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber ebenfalls in aller Regel nicht gegeben sein. Wenn Arbeitnehmer die Quarantäne selbst zu verschulden haben, wie bei der Reise in ein Risikogebiet, wird in den meisten Fällen kein Zahlungsanspruch bestehen. Ein Reiseverbot darf der Arbeitgeber aber nicht aussprechen. Das deutsche Arbeitsrecht ist sehr umfangreich. Treten in der Pandemie trotzdem Fragen auf, die durch bestehende Gesetze und Gerichtsurteile noch nicht klar geregelt sind? Wie so oft im Arbeitsrecht kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an. Das Arbeitsleben schreibt jeden Tag neue Geschichten, die immer neu bewertet werden müssen. Kein Fall ist wie der andere. Es bleibt daher permanent spannend. Der Beratungsbedarf ist derzeit unverändert hoch. Und es ist auch richtig, wenn Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen lieber einmal mehr vorsorglich fachlichen Rat in Anspruch nehmen, als später vor vermeidbaren Scherbenhaufen zu stehen.