Patrick Viol

Debatte ums Bürgergeld: Versprechen gebrochen

Die Ampel will mehr Menschen in die Erwerbstätigkeit bringen - unter anderem mit drohenden Kürzungen beim Bürgergeld. Die Pläne sind umstritten.

Bild: Adobestock

Nils Bassen sitzt für die SPD im Rotenburger Kreistag und ist besorgt über die sogenannte Wachstumsinitiative der Ampelregierung. Die mit ihm einhergehenden Neuregelungen des Bürgergeldes kritisiert Bassen als eine Rückkehr zu Hartz IV.

Was ist konkret geplant? Eins der Ziele der „Wachstumsinitiative“ ist es, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Dazu will die Regierung „Erwerbsanreize im Bürgergeldbezug stärken“, indem das „Prinzip der Gegenleistung“ wieder mehr gestärkt wird, wie es in dem 31-seitigen Papier für „neue wirtschaftliche Dynamik“ heißt. Kurz gesagt: Bundeskanzler Scholz (SPD) und seine beiden Minister Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) wollen den Druck auf Arbeitslose erhöhen. Laut Bundesfinanzminister lebten in der Bundesrepublik nämlich zu viele Menschen, die arbeiten könnten, es aber aus verschiedenen Gründen nicht täten. Zu viele verstünden das Bürgergeld wahlweise als eine „Rente“, so Lindner gegenüber der „Rheinischen Post“. Oder als ein, wie er es bei Maybritt Ilner formulierte, „Netz, in das man sich fallen lässt“. Zudem sei der Regelsatz zu hoch bemessen, so dass sich Arbeit für viele nicht mehr lohne.

 

Die konkreten Maßnahmen

Bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu sechs Stunden soll eine Pendelzeit von zweieinhalb Stunden zumutbar sein. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden sollen sogar drei Stunden Hin- und Rückfahrt in Kauf genommen werden müssen.

Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, wird mit erhöhten Kürzungen des Bürgergeldes rechnen müssen. Das sei das sogenannte Gegenleistungsprinzip. Die Bundesregierung will hierzu eine einheitliche Minderungshöhe und -dauer von 30 Prozent für drei Monate einführen. Zudem sollen Langzeitarbeitslose vermehrt in Ein-Euro-Jobs vermittelt werden.

Leistungsbezieher, die dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung stehen, werden sich künftig zudem einmal im Monat persönlich bei der zuständigen Behörde melden müssen. Verstöße werden geahndet.

Wer Bürgergeld bezieht, durfte bislang Erspartes von bis zu 40.000 Euro ein Jahr lang behalten, ohne dass es Abzüge gab. Nun soll damit nach sechs Monaten bereits Schluss sein.

Zudem soll Schwarzarbeit stärker verfolgt werden. Dazu soll der Zoll den Ämtern unter die Arme greifen. Wer nebenbei schwarz arbeitet, bei dem droht der FKS, des Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls, auf der Matte zu stehen.

 

„Schritt in die richtige Richtung“

Marie Jordan von der Osterholzer CDU begrüßt die Schritte der Ampelregierung. „Durch die Einführung des Bürgergeldes ist es offenkundig zu Fehlentwicklungen gekommen, da der Eindruck entsteht, dass die Notwendigkeit zu arbeiten nicht mehr vorrangig ist, insbesondere dann, wenn die Leistungen vergleichbar sind, mit dem was bei Aufnahme einer Berufstätigkeit verdient würde.“

Die geplanten Maßnahmen seien ein Schritt in die richtige Richtung. Denn wenn „diejenigen, die arbeiten könnten, dies nicht tun, dann mindert dies einerseits die Akzeptanz unseres Sozialsystems.“ Andererseits würde dieses System - „wenn zu wenige einzahlen und die Zahl derer, die Hilfe beziehen, zu groß wird“ - nicht mehr funktionieren. Zudem gebe es genug Arbeitsplätze: „Wir verzeichnen neben dem Fachkräftemangel auch einen hohen Bedarf an Arbeitskräften für einfache Tätigkeiten, der aktuell nicht gedeckt werden kann.“

 

„Es gäbe nicht genug Jobs für alle“

Hier widerspricht Nils Bassen. Allein für den Landkreis Rotenburg (Wümme) gehe die Erzählung, dass jeder einen Arbeitsplatz finden könne, wenn er denn nur wolle, nicht auf. Im Dezember 2023 gab es dort 1.777 offene Stellen - 351 im Helferbereich, 1.026 für Fachkräfte und 400 für Experten. Dem stehen 4.519 Personen in Unterbeschäftigung gegenüber. „Diese Diskrepanz zeigt, dass es regional nicht genügend Arbeitsplätze gibt“, so Bassen.

Der Ökonom Maurice Höfgen illustriert Bassens Beispiel für die Bundesebene: Es gibt offiziell 3,6 Millionen Arbeitslose. Zählt man dazu aber 240.000 Kurzzeitbeschäftigte, ca. eine Million Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten, weil sie keinen Vollzeit-Job finden, Mütter, die mehr arbeiten würden, wäre die Betreuungssituation eine bessere, Geflüchtete und Zugewanderte , die auf Arbeitserlaubnis warten, dann gibt es ca. 5,5 Millionen Arbeitslose, die auf - laut Institut für Arbeitsmarktforschung - 1,24 Millionen sofort zu besetzende offene Stellen treffen. Entsprechend: Es treffen eine Handvoll Menschen auf jede offene Stelle.

„Selbst wenn jeder Arbeitslose bereit wäre, jeden noch so unpassenden Job zu miesen Bedingungen und mieser Bezahlung zu akzeptieren - es gäbe nicht genug Jobs für alle.“ Jeder einzelne Arbeitslose könne natürlich aus der Arbeitslosigkeit heraus. „Aber nicht alle, jeder!“ Das sei ein Unterschied, der in der Debatte überhaupt nicht diskutiert würde.

 

Wahlkampf mit populistischen Mitteln

Diese Einebnung des Unterschieds verleihe der Debatte ums Bürgergeld die entscheidende ideologische Dimension: Sie lasse Arbeitslosigkeit als individuelles Versagen und damit die Erhöhung des individuellen Drucks auf Arbeitslose als legitim erscheinen. Das aber sei mitnichten der Fall. Arbeitslosigkeit sei ein makroökonomisches Problem. Das sieht nicht nur Bassen so, auch Herbert Behrens von den Osterholzer Linken kritisiert: Anstatt wie die Rechten rhetorisch und gesetzgeberisch auf die Schwächsten der Gesellschaft einzuprügeln und Millionen von Menschen zu Außenseitern zu machen, müsse „der Bund mehr Geld für die Eingliederungsleistungen bereitstellen.“ Hier wurden dieses Jahr um die 700 Millionen Euro gekürzt. Zudem brauche es „gute Löhne und Renten, die die Nachfrage ankurbeln, existenzsichernde Arbeit für Frauen und Männer, einschließlich familienfreundlicher, kürzerer Arbeitszeiten.“ Wichtige Instrumente seien Qualifizierung und öffentlich geförderte Beschäftigung. Geld sei dafür da.

Den letzten Punkt betont auch der VdK Bremen Niedersachsen. Was hier jetzt versucht werde - Menschen durch verschärfte Sanktionsandrohung in Arbeit zu bringen - habe sich bereits als nicht nachhaltig erwiesen. Es sei das Gegenteil von Aktivierung und Eingliederung. „Die Vermittlung in Arbeit um jeden Preis hat eigentlich nur bewirkt, dass die Menschen schnell wieder beim Jobcenter waren.“ Die Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit sagten selbst, dass es ohne Qualifizierung keine erfolgreiche und dauerhafte Vermittlung in Arbeit geben könne.

Daran ändert auch die am Dienstag, 6. August, veröffentlichte Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) nichts, die belegt, dass die Sanktionsandrohungen im Hatz IV System zu vermehrten Arbeitsaufnahmen geführt haben.

Auch das von Christian Lindner nahegelegte Bild von Arbeitslosen in der sozialen Hängematte kann der Vdk so nicht stehen lassen. „Bei vielen stehen die persönlichen Umstände im Weg, um eine existenzsichernde Arbeit auszuüben, da sie entweder alleinerziehend sind, kleine Kinder betreuen oder Angehörige pflegen und es nicht ausreichend Betreuungsmöglichkeiten gibt.“

Insgesamt erscheine es dem Landesvorsitzenden Friedrich Stubbe so, als habe die Ampel mit den „Neuerungen“ zum Bürgergeld frühzeitig den Wahlkampf mit populistischen Mitteln eingeläutet. Man setze wieder auf die Entfachung von Existenzängsten.

Ob das die Ampel in die nächste Legislaturperiode retten kann, wird die Zukunft zeigen. Ihrer Geschichte jedenfalls hat sie mit ihrer „Wachstumsinitiative“ den Bruch eines weiteren Versprechungs hinzugefügt: aus Respekt Hartz IV durch ein neues Bürgergeld abzulösen, „damit die Würde des Einzelnen geachtet und gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert wird.“


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