Marcel Foltmer

Der Christopher Street Day: vom Aufstand zum weltweiten Protest

Auch wenn die queere Community auf ihrem Weg zur Gleichberechtigung viel erreicht hat - der CSD hat als Protesttag nach wie vor seine bittere Notwendigkeit.

Heute gibt es in fast jeder größeren deutschen Stadt einen Christopher Street Day, teilweise kommen Hunderttausende Menschen aus der LGBTQ+-Community (also lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Menschen) zusammen, um Sichtbarkeit zu zeigen und für mehr Rechte auf die Straße zu gehen. Auch in der näheren Umgebung gibt es viele Demonstrationen: Seit einigen Jahren wird in Bremen wieder ein CSD organisiert, Oldenburg ist auch schon länger dabei und an diesem Wochenende findet zum ersten Mal eine Parade in Bremerhaven statt. Doch auch, wenn der CSD inzwischen für viele fest zum Sommer dazugehört: Bis hierhin war es ein weiter Weg.
 
Eine Geschichte der Unterdrückung
 
Die Geschichte des CSDs (oder der „Pride“, wie es in den USA heißt) beginnt im Juni 1969. Zu dieser Zeit werden homosexuelle Menschen verfolgt und systematisch unterdrückt, nicht nur in den USA: In der Bundesrepublik Deutschland wird zu dieser Zeit der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches noch immer angewendet, der homosexuelle Handlungen unter teilweise hohe Freiheitsstrafen stellt.
In den Großstädten sucht die Community Zuflucht in Szenebars, doch auch dort sind sie nicht zwangsläufig sicher: In New York gibt es immer wieder Razzien in einschlägigen Kneipen, bei denen regelmäßig Menschen festgenommen werden.
 
Die Stonewall-Riots
 
In der Nacht auf den 28. Juni 1969 kommt es wieder zu einer dieser Razzien: Die Polizei räumt das „Stonewall Inn“ im Greenwich Village im New Yorker Stadtteil Manhattan und nimmt mehrere Gäste fest. Doch anstatt sich das gefallen zu lassen, fangen zunächst Gäste, später auch Menschen aus der Nachbarschaft an, sich zu wehren: Nach kurzer Zeit eskaliert die Razzia zu einem Aufstand, an dem mehrere hundert Protestler*innen teilnehmen. Steine und andere Gegenstände fliegen auf die Polizei, Barrikaden werden angezündet. In den nächsten Tagen flammen die Proteste in den Straßen des Greenwich Village immer und immer wieder auf. Und auch, wenn der Aufstand irgendwann wieder vorbei war: Die Idee der queeren Community, sich die Unterdrückung nicht länger gefallen zu lassen, war geboren.
 
Politischer und Gesellschaftlicher Fortschritt
 
Im darauffolgenden Jahr, am ersten Jahrestag der Aufstände, die heute oft einfach als „Stonewall“ bezeichnet und als Beginn der queeren Bewegung gesehen werden, findet zum ersten Mal ein Christopher Street Day statt. Tausende ziehen an diesem Tag durch New York, um für die Rechte der LGBT-Community zu demonstrieren. In Deutschland gibt es die ersten Paraden erst 1979: In diesem Jahr gingen Hunderte Menschen zunächst in Berlin, Köln und Bremen auf die Straße. In den folgenden Jahren wurden es jedoch schnell mehr. Und die Demonstrationen hatten Erfolg: Nicht nur wurden queere Menschen in den kommenden Jahrzehnten in der Gesellschaft immer mehr akzeptiert, auch politisch gab es Änderungen: Der Paragraph 175 wurde 1994 endgültig aufgehoben, und in den USA dürfen Bundesstaaten nach einem Urteil des Supreme Court seit 2003 homosexuelle Handlungen nicht mehr verbieten.
 
Die Situation heute
 Wer diese Änderungen sieht und mitbekommt, wie viel toleranter die Gesellschaft geworden ist, könnte sich die Frage stellen: Wofür benötigen wir den CSD überhaupt noch? Wurde nicht alles erreicht, was die queere Community erreichen wollte? Die Realität zeigt hier, dass es noch viel gibt, wofür gekämpft werden muss. Erst vor wenigen Wochen erschoss ein Attentäter zwei Besucher:innen eines queeren Clubs in Oslo, in Bremen wurde Anfang des Jahres der evangelikale Pastor Olaf Latzel freigesprochen, nachdem er sich in einem Seminar queerfeindlich geäußert hatte. Und in Amerika stehen die Rechte von queeren Menschen wieder auf der Kippe: Nachdem der Supreme Court dort das Urteil „Row v. Wade“ umkehrte, dass es Staaten verbot, Gesetze zu erlassen, die Abtreibungen verbieten, hat einer der Richter bereits angekündigt, dass auch andere Urteile überprüft werden sollen: Unter anderem jenes, laut welchem Bundesstaaten homosexuelle Handlungen nicht verbieten dürfen. Der Kampf muss also weitergehen, die queere Community ist nach wie vor nicht der heterosexuellen gleichgestellt. Und solange es diese Gründe gibt, wird auch der CSD als wichtiges Mittel bestehen bleiben, um für Rechte und gesellschaftliche Akzeptanz auf die Straße zu gehen.


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