Patrick Viol

Die verdrängten Themen

Der Redaktion erscheint die den Wahlkampf begleitende Debatte monothematisch verengt. Patrick Viol wirft daher einen Blick darauf, wie es die Parteien mit dem Thema soziale Gerechtigkeit halten.

Bild: Adobestock

Wer die mediale Aufbereitung des Wahlkampfes verfolgt, könnte annehmen, dass die Wähler vor allem das Thema Migration- und Asylpolitik umtreibt. Dieser Eindruck ist aber falsch. Laut Statista sei das Thema nur für 27 Prozent der Wählerinnen wahlentscheidend. Richtig ist, wie das ZDF-Politbarometer vom 30. Januar zeigt: Für CDU/CSU-Wähler steht Migration und die Frage, wie eine Integration gelingen kann, an erster Stelle. Bei der AfD ebenso. Festhalten kann man also zunächst: Die Union und die Alternative für Deutschland haben ihren Wählern einen guten Dienst erwiesen und deren Hauptthema ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Festhalten muss man aber auch, und das zeigte eindrücklich das thematisch verarmte „Fernsehduell“ von Friedrich Merz und Olaf Scholz, dass das mediale Einschießen auf das - Emotionen und Empörung aufkochende - Thema Migration die Themen Bildung, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz aus der Diskussion verdrängt hat. Nun liegt das Thema Klimaschutz nur 22 Prozent der Wähler am Herzen, soziale Gerechtigkeit aber 40 Prozent. Entsprechend erforderlich ist ein die Debatte erweiternder Blick auf die Themen Kinderarmut und bezahlbares Wohnen; auf Themen, die nicht nur bei der letzten Wahl, sondern auch bei der Bewertung der Ampelpolitik vor dem thematischen Verengung auf Migration eine zentrale Rolle spielten.

Was also haben die Parteien zu den für die meisten Menschen lebensgestaltenden Themen zu sagen?

Kinderarmut

SPD: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands plant, die Elterngeldmonate von derzeit 14 auf 18 Monate zu erweitern, um Familien in der frühen Phase besser zu unterstützen. Zudem setzt sie sich für ein kostenloses und gesundes Mittagessen in Kitas und Schulen ein. Ein weiteres Ziel ist die Einführung einer Kindergrundsicherung, die verschiedene Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld bündelt, um insbesondere Familien mit niedrigem Einkommen zu entlasten.

CDU/CSU: Die Union möchte das Kindergeld zu erhöhen und die Beantragung von Leistungen vereinfachen. Zudem sollen Altersvorsorgedepots für Kinder eingerichtet werden, in die der Staat monatlich einzahlt, um langfristig finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Ein Fokus liegt auch auf der Verbesserung der Betreuungsangebote in Kitas und Schulen, um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.

Bündnis 90/Die Grünen: Die Grünen wollen in hochwertige Kitas investieren und bundesweite Qualitätsstandards einführen. Sie setzen sich für eine verlässliche Ganztagsbetreuung ein und planen, Unternehmen steuerlich zu begünstigen, die Betriebskitas einrichten. Zudem streben sie die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz an.

FDP: Die Freie Demokratische Partei legt ihren Fokus auf die Reform des Bildungsföderalismus. Sie möchte die Zuständigkeit für Kitas vom Familien- ins Bildungsministerium verlagern, um frühkindliche Bildung zu stärken. Ein zentrales Element ist dabei wie bei der SPD die Einführung einer Kindergrundsicherung, die bestehende Sozialleistungen bündelt und deren Beantragung sowie Auszahlung digitalisiert und automatisiert.

Die Linke: Ein zentrales Anliegen ist die Einführung einer solidarischen Mindestsicherung, die das bisherige Bürgergeld ersetzen soll. Diese Mindestsicherung sieht eine bedarfsdeckende Unterstützung ohne Sanktionen vor, um allen Kindern und ihren Familien ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Zudem plant Die Linke, das Kindergeld auf 378 Euro pro Monat zu erhöhen. Diese Maßnahme soll direkt zur finanziellen Entlastung von Familien beitragen und insbesondere Kindern aus einkommensschwachen Haushalten zugutekommen.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bereitstellung kostenfreier Bildungs- und Betreuungsangebote. Die Linke setzt sich für gebührenfreie Kitas und Schulen ein und möchte ein kostenloses Mittagessen für alle Kinder in Bildungseinrichtungen gewährleisten.

AfD: Die Alternative für Deutschland legt in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 keinen spezifischen Fokus auf die Bekämpfung von Kinderarmut. Stattdessen betont die Partei die Stärkung der traditionellen Familie und setzt auf Eigenverantwortung. So spricht sie sich für die Betreuung von Kleinkindern im eigenen Elternhaus aus und kritisiert den Ausbau von Ganztagsbetreuungseinrichtungen.

 

Bezahlbares Wohnen

CDU/CSU: Die Union setzt auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum durch Neubau. Sie plant, Baukosten durch ein Baukostenmoratorium zu senken und den kostengünstigen Gebäudetyp „E“ einzuführen. Zudem sollen Bauland durch Innenverdichtung und die Nutzung von Brachflächen mobilisiert werden. Konkrete Maßnahmen zum Mieterschutz werden im Programm nicht detailliert benannt.

SPD: Die Sozialdemokraten streben an, den Bestand an Sozialwohnungen bis 2030 auf zwei Millionen zu erhöhen. Sie setzen auf Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und die Einrichtung einer bundeseigenen Wohnungsgesellschaft. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt und Baukosten durch Bürokratieabbau reduziert werden. Zudem soll das kommunale Vorkaufsrecht gestärkt werden.

Bündnis 90/Die Grünen: Die Grünen planen, bis 2030 insgesamt 1,6 Millionen klimafreundliche Wohnungen zu schaffen. Sie setzen auf modulares und serielles Bauen sowie den Abbau von Bürokratie, um Kosten zu senken. Zudem betonen sie die Bedeutung des Mieterschutzes und wollen Maßnahmen ergreifen, um Mieterhöhungen zu begrenzen.

FDP: Die Freien Demokraten fokussieren sich auf den Abbau von Bürokratie im Baurecht und die Reduktion von Bauauflagen auf sinnvolle Mindeststandards, um Baukosten zu senken. Sie streben die Schaffung neuer Flächen und die Nutzung digitaler Verfahren an, um den Wohnungsbau zu fördern. Konkrete Maßnahmen zum Mieterschutz werden im Programm nicht hervorgehoben.

Die Linke: Die Linke fordert einen sofortigen sechsjährigen Mietenstopp, der Mieterhöhungen ausschließt. Während dieses Zeitraums soll ein bundesweiter Mietendeckel installiert werden, um die Mietpreiserhöhungen nicht nur zu bremsen, sondern auch zu beenden. Zudem sollen jährlich 20 Milliarden Euro in den gemeinnützigen Wohnungsbau investiert und 100.000 gemeinnützige Wohnungen pro Jahr gebaut werden.

AfD: Die Alternative für Deutschland setzt auf die Förderung des Wohnungsbaus durch den Abbau gesetzlicher Vorgaben, wie dem Gebäudeenergiegesetz (GEG). Zudem fordert sie Bestandsschutz nach dem Baurecht des Erstellungszeitraums. Maßnahmen zum Mieterschutz oder zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit werden im Programm nicht thematisiert.

 

Drei Grundmodelle

Die Parteien verfolgen unterschiedliche Ansätze zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit, die sich in drei Grundmodelle unterteilen lassen. Der sozialstaatliche Ansatz (SPD, Die Linke, Grüne) setzt auf aktive staatliche Umverteilung durch höhere Steuern für Vermögende, stärkere soziale Sicherungssysteme und öffentliche Investitionen, um gleiche Chancen für alle zu gewährleisten. Der marktorientierte Ansatz (FDP, teils CDU/CSU) hingegen betont Eigenverantwortung und wirtschaftliche Freiheit. Durch Steuersenkungen, Bürokratieabbau und gezielte Sozialleistungen sollen Anreize für individuellen Aufstieg geschaffen werden, ohne umfassende Umverteilung. Der konservative Ansatz (CDU/CSU, teils AfD) sieht Gerechtigkeit vor allem in der Anerkennung von Leistung und einem stabilen Ordnungsrahmen. Soziale Sicherungssysteme sollen effizient bleiben, aber Arbeit und Familie als zentrale Säulen sozialer Teilhabe gestärkt werden. Während der sozialstaatliche Ansatz soziale Unterschiede aktiv ausgleichen will, setzten der liberale und konservative Ansatz auf Deregulierung auf dem Markt, Arbeitsverpflichtung und eine Balance zwischen Eigenverantwortung und sozialer Absicherung.


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