Sebastian Zachrau

Einbindung der Gewalt in Politik

Ist die AfD eine faschistische Partei? Sebastian Zachrau untersucht, was Faschismus historisch ausmacht, ob die AfD diesen Kriterien entspricht und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben.

Faschistisch? Wahlplakat des Thüringer Landesverbands der AfD im thüringischen zur EU-Wahl 2024.

Faschistisch? Wahlplakat des Thüringer Landesverbands der AfD im thüringischen zur EU-Wahl 2024.

Bild: Wiki commons

Seit der gemeinsamen Abstimmung von CDU und AfD hat die Rede vom kommenden Faschismus erneuten Auftrieb bekommen. Der Faschismus-Vorwurf bedeutet teilweise aber nicht viel mehr, als dass man die andere Seite irgendwie böse findet: “Ich, Faschist? Du bist doch der eigentliche Faschist!” Aber man wird nicht zum Faschisten, nur weil jemand einen so nennt. Man wird auch nicht zum Cowboy, nur weil man sich Cowboystiefel anzieht. Und genauso wird man nicht zum Faschisten, weil man sich ein Hakenkreuz tätowieren lässt. Wer so etwas tut, will vor allem erst einmal Faschist sein. Wer wie Elon Musk bei einer politischen Versammlung den rechten Arm in die Luft streckt, weiß um den Skandal, den er damit auslösen wird. Er macht das, weil die “Liberals” gegen ihn und gegen Faschismus sind. Wenn er also einen Hitlergruß macht, kann er sie “triggern”, provozieren. Über die Empörung lachen seine Anhänger sich dann kaputt. Ist das Faschismus?

Politisierung der Gewalt

Faschistische Politik, das ist historisch das Zusammengehen von reaktionär-antidemokratischen (“proto-faschistischen”) Parteien mit der radikalen Gewaltbereitschaft von mittellosen, rechtsextremen Kriegsveteranen (den namensgebenden “Fasci” in Italien bzw. den Freikorps in Deutschland). Beide Seiten gewinnen dadurch eine neue Qualität. Der Terror der “Fasci” hätte sonst den Charakter des Amoklaufs: Individuell psychologisch motiviert, mit keiner gesellschaftlichen Kraft in Berührung und daher bei aller Schrecklichkeit politisch wirkungslos. Die proto-faschistischen Parteien auf der anderen Seite brechen zwar mit den Inhalten bürgerlicher Politik, wenn sie demokratische und liberale Grundwerte angreifen. Aber solange sie nicht auch mit der Form brechen, bleibt ihre Radikalität unglaubwürdig. Faschistische Politik entwickelt die psychologische Motivation des Terrors zur Ideologie und verkauft diese Ideologie an alle, die den Hass teilen - auch wenn sie selbst nicht zur Waffe greifen würden. Die Gewalt wird dadurch im Nachhinein politisch, weil es eine Kraft gibt, die sich zu ihr bekennt. Ist den Gewalttätern ansonsten die politische Sphäre zuwider, da sie bürgerliche Züge trägt, kann sich nun zumindest ein Teil von ihnen mit der faschistischen Politik identifizieren und die eigene Gewalt nach den Bedürfnissen dieser Politik ausrichten. Faschismus ist weder auf Gewalt, noch auf Politik zu reduzieren, sondern die Einbindung der Gewalt in die Politik: die Politisierung der Gewalt und die Vergewaltigung der Politik.

Stephan Ernst war Faschist

In der AfD gibt es, das bezeugen unzählige Skandale, Möchtegern-Faschisten. Leute, die nach ein paar Bier im Keller ihrer Burschenschaft SS-Lieder anstimmen und Höcke dafür feiern, dass er die SA-Losung “Alles für Deutschland!” verwendet. So absurd und ekelhaft diese Vorfälle sind, sind es aber erst einmal nur neo-faschistische Provokationen, so wie der Hitlergruß von Elon Musk. Es gibt im Umfeld der AfD aber auch Leute wie Stephan Ernst. Ernst hat schon als Jugendlicher rassistische Gewaltverbrechen begangen, darunter eine Brandstiftung und eine lebensgefährliche Messerattacke. Er war Mitglied der NPD, aktiv in der Neo-Nazi-Szene und hatte Kontakte zum NSU-Umfeld. Bei der Landtagswahl 2018 unterstützte er nach Kräften die AfD, hing Wahlplakate für sie auf und war regelmäßig bei ihren Stammtischen. Am 1. Juni 2019 ermordete Stephan Ernst den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, weil dieser es gewagt hatte, auf einer Bürgerversammlung 2015 den dortigen Pegida-Anhängern zu widersprechen. Stephan Ernst ist ein Faschist. Dass er ein Faschist ist, liegt an der gesellschaftlichen Situation: Wenn er isoliert gehandelt hätte, ohne eine relevante politische Einbettung, dann wäre er nur ein gefährlicher Irrer, ein “Lone Wolf”. Zum Faschisten wird er dadurch, dass es eine Partei und eine Ideologie gibt, für die er töten kann.

In der AfD gibt es natürlich viele, die die Taten von Stephan Ernst ablehnen. Aber um eine faschistische Partei zu sein, muss nicht die Gewalt, sondern nur die dahinterstehende Motivation gerechtfertigt werden. Wer gegenüber faschistischem Terror dafür plädiert, auf diesen politisch zuzugehen, erfüllt eine faschistische Funktion. Denn man kann Stephan Ernst und Konsorten nicht auf halber Strecke begegnen. Keine Verschiebung der politischen Mehrheit nach rechts wird den Faschismus wieder zurück in die Mitte führen, weil die faschistische Ideologie bloße Rechtfertigung für Gewalt ist. Es kann zwischen bürgerlicher und faschistischer Politik keinen Kompromiss geben, weil ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ihnen besteht. Wer mit Faschisten zusammenarbeitet, bindet den faschistischen Terror indirekt in die Politik ein - und wird so selbst Faschist, unabhängig von der Eigenwahrnehmung.

Links und Rechts sind relativ

Solange der Faschismus keine Mehrheit hat, können die anderen Parteien natürlich ohne ihn arbeiten. Wie letzte Woche im Bundestag zu sehen war, kann die AfD aber auch aus der Minderheit heraus wirken, indem sie die Konflikte der parlamentarischen Politik ausnutzt. Aus einer bürgerlichen Mehrheit gegen eine faschistische Minderheit wird im Parlament schnell eine linke Minderheit gegen eine rechte Mehrheit. Wäre man Sozialdemokrat, könnte man nun natürlich darauf hoffen, dass bei der nächsten (und allen folgenden) Bundestagswahlen eine “linke Mehrheit” entsteht. Aber so funktioniert parlamentarische Politik nicht, “links” und “rechts” sind relative Begriffe. Gibt es eine “linke Mehrheit”, verschiebt sich die Mitte schlicht nach links. Wer gerade noch links stand, steht nun in der Mitte, und wer dort stand, steht nun rechts. Damit wird es immer eine politische Rechte geben, die auf Mehrheiten hoffen kann.

Friedrich Merz und Christian Lindner sind aktuell nicht bereit, mit der Partei Stephan Ernsts zu koalieren. Aber solange die AfD nicht verboten wird, hätten sie diese Option.


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