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Osterholz-Scharmbeck. „Eine bessere Welt wird nicht gewählt!“ - so lautet das ernüchternde Fazit der rund 25 Mitglieder des Osterholzer Kollektivs „Morgenrot“. Bei einer Veranstaltung am vergangenen Mittwochabend analysierten sie die kapitalistischen Strukturen hinter dem aktuellen Wahlkampf der großen Parteien und luden zur kritischen Diskussion ein.
„Meine ersten Erfahrungen mit politischem Aktivismus habe ich während der Fridays for Future-Demonstrationen gesammelt“, erinnert sich Sprecher Jerik Dikkerboom. Damals sei die Hoffnung groß gewesen, dass eine Ampelkoalition in den Bereichen Bildung, Demokratie und Klimaschutz echten Fortschritt bringen würde. Heute fällt sein Urteil ernüchternd aus: „Diese Zukunftsvorstellung ist richtig beschissen gealtert.“ Statt der versprochenen Friedenspolitik erlebe man die größte militärische Aufrüstung seit dem Dritten Reich, und Klimaschutz habe sich als zweitrangig erwiesen – relevant nur dann, wenn er wirtschaftlichen Interessen diene.
Dikkerboom sieht in den Programmen der Parteien eine fatale Entwicklung: „Anstelle sozialer und menschlicher Ziele geht es längst nur noch darum, wer am effizientesten abschiebt und wer am schnellsten aufrüstet.“ Dies fördere eine weit verbreitete politische Resignation in der Gesellschaft: Die Wahl erscheine vielen nur noch als Entscheidung zwischen dem kleineren und dem größeren Übel. Ein Trugschluss, so Dikkerboom, der auf einer strukturellen Fehlentwicklung basiere: „Die Wahl geht nicht vom Volk, sondern vom Staat aus. Jede Stimmabgabe an eine Partei ist ein Schritt weg von echter Eigenverantwortung.“
Demokratie und Kapitalismus
Politikerinnen und Politiker seien daher primär bemüht, bestehende Machtstrukturen zu erhalten, statt die versprochenen gesellschaftlichen Veränderungen herbeizuführen, argumentiert das Kollektiv. Die millionenfache Abgabe von Wählerstimmen führe zu einer Verallgemeinerung der politischen Anliegen, wodurch die individuellen Beweggründe der Wählerschaft weitgehend verloren gingen. „Am Ende sind es die Parteien, die definieren, was ihre Wählerinnen und Wähler wollen“, so Dikkerboom.
Grundlegend sei das gesamte System in einem kapitalistischen Rahmen verankert - mit einem Staat, dessen Institutionen nicht das Wohl der Menschen, sondern die Aufrechterhaltung von Wirtschaft und Markt priorisierten. „Unternehmen nutzen ihre Kräfte nicht, um den Arbeitenden eine bessere Lebensgrundlage zu bieten, sondern vor allem zur eigenen Bereicherung“, kritisiert Dikkerboom. Die Folge sei eine Konkurrenzgesellschaft, in der Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen zwar Unternehmensgewinne maximierten, für die Beschäftigten aber oft kaum zum Leben reichten. „Sozialpolitik darf eben nur so weit gehen, wie sie den Wirtschaftsstandort nicht gefährdet“, resümiert er.
Politik, Kapital und Kriege
Darüber hinaus zeige sich die Logik dieses Systems auch in der internationalen Politik. Staaten agierten primär nach ökonomischem Eigennutz und ließen politisches Handeln nur dann zu, wenn es ihren eigenen Interessen diene. „Widersetzt sich ein Land – wie die Ukraine – solchen Machtstrukturen, bleibt am Ende doch nur der militärische Weg“, erläutert der „Morgenrot“-Sprecher. Von diesen Entwicklungen profitierten insbesondere große Unternehmen, die aus Kriegen und geopolitischen Konflikten wirtschaftlichen Nutzen zögen.
Demokratie sei dabei eine „ideale Staatsform für den Kapitalismus“, denn im Wahlkampf gehe es weniger um Lösungen als um die strategische Nutzung von Unzufriedenheit. „Es wird geschaut, wo aktuell die größten Probleme liegen – nicht, um sie zu lösen, sondern um eine Partei zu finden, die am besten zur jeweiligen Unzufriedenheit passt“, fasst Dikkerboom zusammen.
Gibt es einen Ausweg?
Trotz aller Kritik will das Kollektiv den Fatalismus nicht als Antwort akzeptieren. „Resignation bringt uns nicht weiter - wir müssen die wirklichen Ursachen gesellschaftlicher Unzufriedenheit hinterfragen und uns von scheinbaren Sachzwängen lösen“, so Dikkerbooms abschließender Appell.