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Globalisten in der Zombie-Apokalypse: Die mangelnde Integrität von „Spaziergänger:innen“

Zur Förderung der öffentlichen Debatte diskutiert Patrick Viol mit Leser:innen, die Briefe zum Stück „Solidarität statt Querdenken“ (Nr. 1) verfassten und montags gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren. Teil  II
Das alte Bild hinter dem neuen Wort: Wer von "Globalisten" spricht, bedient das antisemitische Klischee vom raffenden, die Welt unterjochenden Juden. Die Karikatur erschien auf der Titelseite von Édouard Drumonts antisemitischer Zeitschrift La Libre Parole (1893). Dargestellt ist ein Jude, Hände und Füße voller Geld, der sich an die Erdkugel klammert. (Bild: wiki commons)

Das alte Bild hinter dem neuen Wort: Wer von "Globalisten" spricht, bedient das antisemitische Klischee vom raffenden, die Welt unterjochenden Juden. Die Karikatur erschien auf der Titelseite von Édouard Drumonts antisemitischer Zeitschrift La Libre Parole (1893). Dargestellt ist ein Jude, Hände und Füße voller Geld, der sich an die Erdkugel klammert. (Bild: wiki commons)

Gegen eine Impfnötigung
 
Auch Regina Wittkopf, Hanna Flakus und ein paar „nachdenkende Spaziergäner:innen“ haben sich nach dem Titelstück „Solidarität statt Querdenken“ an die Redaktion gewandt. Auch Ihnen ging es darum, die Titelgeschichte zu kritisieren und gleichsam ihre Gründe, warum sie montags an unangemeldeten Demonstrationen teilnehmen, darzulegen.
Regina Wittkopf schreibt: „In Ihrem Artikel wird - stellvertretend für die gesamte Gruppe der Spaziergänger/innen - ein extremer Leserbrief zitiert. Er wird dazu benutzt, um die Bewegung der Spaziergänger/innen an sich zu diffamieren, die dann als Ansammlung von lauter Rechtsextremen, Holocaustleugnern und Verschwörungstheoretikern dargestellt wird. Er wirkt volksverhetzend, weil er alle, die einem Impfstoff (der noch nicht einmal regulär zugelassen ist) skeptisch gegenüberstehen, pauschal als rechtsextrem verunglimpft. Es gibt inzwischen übrigens mehr und mehr geimpfte „Impfskeptiker“, will man die auch alle pauschal verurteilen?“
Sie sei hingegen weder Antisemitin noch leugne sie den Holocaust. Für sie gelte „NIE WIEDER“ und für sie ginge es bei der Teilnahme an den „Spaziergängen“ zum einen darum, dass wieder „Meinungsfreiheit, echte Debattierfreude, echte Toleranz und Ehrlichkeit“ in Politik und Medien einziehen. Denn die Meinungsfreiheit sei „in den Medien bereits zu eingeschränkt“. Und Politiker wie z. B. Markus Söder und Peter Tschentscher nähmen „es mit der Wahrheit nicht so genau“. Haben sie doch „90% der Corona-Patienten in den Krankenhäusern den Ungeimpften zugerechnet - was sich inzwischen auch dank der Recherche des Journalisten Tim Röhn von der Welt als haltlos herausgestellt hat und durchaus als Volksverhetzung gelten kann.“
Zum anderen gehe es Wittkopf darum, sich einer Nötigung zur Impfung zu erwehren und Kritik an der Diskriminierung von Ungeimpften zu üben. Denn - so formuliert Wittkopf mit einem Zitat von Oskar Lafontaine: „Jeder, der sagt, er wisse, dass nichts passiert, ist für mich auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ein Scharlatan.“ Man „wisse längerfristig nicht, was das Impfen mit dieser neuen Technik bewirkt.“
Und schließlich fürchtet Wittkopf die Beschädigung des Grundgesetzes durch die Bundesregierung, da Olaf Scholz sagte, sie kenne im Kampf gegen die Pandemie keine „rote „Linie“. - „Das Grundgesetz aber ist die rote Linie, und wenn es die nicht mehr gibt – eine bedenkliche Annäherung unserer Regierung an die Vorgehensweise totalitärer Staaten - ist auch das ein Grund, warum die Leute auf die Straße gehen“, so Wittkopf.
 
Gegen Verunglimpfung
 
Hanna Flakus teilt der Redaktion mit, sie und eine „Gruppe mehrerer Senioren“, die erst durch das Titelstück auf die „Spaziergänge“ aufmerksam wurden, würden den Artikel zum Anlass nehmen, um über das Thema „Hass und Hetze in den Medien, wie man versucht, die Gesellschaft zu spalten, zu reden.“ Hinterher schickte sie noch ein Video des Internetsenders AUF, das ein Interview mit einem Corona-Maßnahmen kritisierenden Arzt zeigt.
Und die „nachdenkenden Spaziergänger:innen“ drücken in ihrem Schreiben, dem ein Text aus dem Magazin Laufpass beigefügt ist, zunächst ihre Verwunderung aus und fragen, ob ich, der ja „mehrfach auf die zum Teil katastrophalen Folgen der teilweise widersprüchlichen Corona Maßnahmen hingewiesen“ hat, auch „rechtsextremes Gedankengut“ hege, da ich es mit dem Artikel „pauschal den Spaziergänger:innen vorwerfen“ würde. Die Frage ist natürlich rhetorisch intendiert, um zu sagen, dass vor Ort in Schwanewede keine Rechten bzw. keine erkennbaren, sondern „teilweise linksalternative“ Menschen und welche „mit Migrationshintergrund“ demonstrierten. Und dass es den Menschen nicht darum gehe, Verschwörungstheorien zu verbreiten, sondern Kritik an der Politik zu üben. Denn: „Fakt ist doch, dass die Impfung bei Weitem nicht das hält, was uns versprochen wurde und deswegen auch Mitbürger:innen unzufrieden sind, die geimpft sind. Noch vor einem Jahr wurde ein Impfzwang durch die Hintertür als böse Verschwörungstheorie abgetan und eine allgemeine Impfpflicht komplett ausgeschlossen. Jetzt haben wir bereits die Impfpflicht für die Pflegekräfte, wobei eine Testpflicht viel sinnvoller wäre. Dass so das Vertrauen in die Politik verloren geht, ist nicht verwunderlich. Selbst auf der Seite des RKI kann man seit 02.11.2011 lesen: ...‘in welchem Maß die Impfung die Übertragung des Virus reduziert, kann derzeit nicht genau quantifiziert werden.‘ Warum wird dann überhaupt zwischen ungeimpft und geimpft unterschieden.“
Und zum Abschluss weisen die „Spaziergänger:innen“ zum einen darauf hin, dass die pauschale Bezeichnung „Impfgegner“ nicht zutreffe. „Bei den allermeisten Menschen handelt es sich nicht um eine generelle Ablehnung von Impfungen, sondern es handelt sich um eine Skepsis gegenüber der neuartigen - bei Licht betrachtet ziemlich wirkungslosen - mRNA Technik, die aber bereits zu sehr vielen, auch schweren, Nebenwirkungen mit einer großen Dunkelziffer geführt hat. Wenn überhaupt wäre also das Wort ‚Impfzwanggegner“ korrekt. Zum anderen wünschen sie sich mehr „Toleranz und Wertschätzung“, weniger „Hofberichterstattung“ und ein „Ende von pauschalen Verunglimpfungen von Minderheiten und urdemokratischem Protest.“
 
Zweifelhafte Zweifel
 
Den Briefschreibenden geht es um zwei Dinge: Sie wollen nicht mit Rechten pauschal in einen Topf geworfen werden und wünschen sich, dass ihr Protest von der Politik, der Öffentlichkeit und den Medien als demokratischer verstanden wird, der sich gegen Impfzwang, hetzende, die Realität verzerrende und in der Meinungsfreiheit eingeschränkte Medien und unehrliche, uneinsehbare Politik richtet, die sich am Grundgesetz vergreife. Das sind auf den ersten Blick in der Tat Dinge, für die man auf die Straße gehen könnte und sollte. Und klar, die Kommunikation der Regierung - der alten wie der neuen - ist teilweise eine Katastrophe und „Impfzwang“ keine gute Idee.
Doch betrachtet man die Ausführungen der Briefschreiber:innen genauer, wird man zumindest stutzig, was deren persönliche Integrität betrifft, wodurch ihre Motive zumindest so weit problematisch werden, als dass nachvollziehbar wird, dass andere Menschen sich ihnen entgegenstellen. Oder etwas Kritisches über sie schreiben. Das hat dann aber nichts mit Verunglimpfung zu tun, sondern ist Ausdruck begründeter Zweifel. Denn wenn es so ist, dass für einen „NIE WIEDER“ ein kategorischer Imperativ ist; wenn man nicht mit Rechtsextremen oder Verschwörungstheoretiker:innen in einen Topf geworfen werden will, dann würde man doch nicht mit ihnen oder mit Menschen, die sich ihre Informationen und Stichworte für ihre Kritik bei ihnen abholen, demonstrieren. Oder doch? Zugegeben, der von mir zitierte Leserbrief im Titelstück war extrem. (Was aber nicht heißt, dass solche Leute nicht auch auf den Demos mitlaufen). Aber sowohl die spazierende Frau Flakus und ihre Seniorengruppe als auch die „nachdenken Spaziergänger:innen“ scheinen „rechtsextremes Gedankengut“ zumindest nicht kategorisch als Stichwortgeber abzulehnen. Denn andernfalls hätte Frau Flakus mir kein Video des Senders AUF1 gesendet, dessen Gründer Stefan Magnet ehemaliges Mitglied des rechtsextremen Bund freier Jugend ist und der 2020 das mit einem antisemitischen Codewort betitelte Buch: Nach Corona: Warum die Globalisten scheitern werden und die Menschheit erwacht veröffentlichte. Hinter dem Begriff „Globalist“ verschanzt sich das alte Feindbild: „der Jude“ und ihm liegt die antisemitische Vorstellung zugrunde, die Welt sei „längst privatisiert“ und dass „Behörden und Parlamente ... zu willfährigen Handlangern der Globalisten geworden“ seien. Den Begriff benutzt auch gern Wolfgang Jeschke, der Herausgeber des Magazins Laufpass, das mir die „nachdenkenden Spaziergänger:innen“ als Lektüre empfahlen. Von ihm stammt auch das Zitat, dass die Welt in den Händen von Globalisten sei. Er spricht aber auch gern von einer „Plandemie“, deren „Täter“ die erkrankten Geimpften bald in einer „Art Zombie-Apokalypse ... zur Rechenschaft ziehen“ werden.
Ist es konsequent, Hass und Hetze in Medien zu kritisieren und zugleich Medien zu zitieren, die das älteste antisemitische Klischee verbreiten?
Und ist es integer, einerseits Pauschalisierungen zu verurteilen und von Totalisierungstendenzen unserer Gesellschaft zu sprechen, also davon, dass „die Medien“ in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt seien und man „der Politik“ nicht mehr vertrauen könne, während man - wie Wittkopf - andrerseits zur Untermauerung eigener Argumente auf die Aussagen eines Journalisten der etablierten Medien und eines Politikers verweist? Anscheinend kann man zumindest denjenigen trauen, die die eigene Meinung unterstützen. Das macht aber das absolute Urteil über Politik und Medien zu einer falschen Aussage. Aber kritisiert man nicht Medien und Politik wegen falscher Aussagen? Und hat eine falsche absolute Verurteilung der Politik und der Medien nicht ihrerseits etwas Hetzerisches? Etwas Unehrliches?
Und ist es ehrlich, zu behaupten, eine Impfpflicht durch die Hintertür habe man vor einem Jahr als Verschwörungstheorie abgetan, während der Vorwurf ein valider Kritikpunkt von Medien- wie Parteivertreter:innen war - auch der jetzigen Regierung.
Und wenn die „Spaziergänger:innen“ auf RKI-Informationen verweisen, um zu behaupten, es gebe keinen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften, gleichzeitig aber die anderen den Unterschied zwischen beiden Gruppen offenlegenden Informationen der zitierten Meldung unterschlagen - dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, signifikant vermindert ist und die Virusausscheidung bei Personen, die trotz Impfung eine SARS-CoV-2 Infektion haben, kürzer ist als bei ungeimpften Personen -, versuchen sie dann nicht Zustimmung zur eigenen Meinung durch das Verschweigen oder Verzerren von Informationen zu erreichen? Bedienen sie sich damit nicht des gleichen Mittels der Täuschung, das zu nutzen sie den Politiker:innen vorwerfen?
Ich denke, die aufgeworfenen Fragen machen es zumindest schwer, den Spaziergänger:innen abzukaufen, es ginge ihnen bloß um Meinungsfreiheit und Ehrlichkeit. Aber das ist nur meine Meinung.
 Lesen Sie die kompletten Briefe unser Leserschaft: Hass und Hetze in den Medien und Man wird zur Impfung genötigt .


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