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Inhalte bleiben auf der Strecke

Vom „TV-Quadrell“ der Bundestagskandidaten hätten sich viele Zuschauer mehr erhofft - das gilt auch für zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure aus der Region.
Ohne Waffen aber mit scharfen Worten gingen sich die vier Kanzlerkandidaten in der Fernseharena an den Kragen. Einige Zuschauer haben jedoch wichtige Inhalte vermisst.

Ohne Waffen aber mit scharfen Worten gingen sich die vier Kanzlerkandidaten in der Fernseharena an den Kragen. Einige Zuschauer haben jedoch wichtige Inhalte vermisst.

Bild: Mühlberg/wiki commons

Die Fernseh-Diskussion der Bundestagskandidaten bei RTL hielt wenige Überraschungen bereit - bekannte Gesichter sprachen in gewohnter Weise über bekannte Wahlkampfthemen. Wirklich Neues kam hier nicht zutage - entsprechend ähnelten die Zustimmungswerte zur Performance der einzelnen Kandidaten dann auch den Umfrageergebnissen ihrer Parteien im Vorfeld der Wahl. Kanzler Olaf Scholz war laut Forsa allerdings deutlich beliebter als seine SPD. Ebenso, wenn auch in geringerem Ausmaß, Robert Habeck von den Grünen. Die Linke, das Bündnis Sarah Wagenknecht und die FDP waren nicht zum Hauptteil der Sendung, dem Schlagabtausch der Kanzlerkandidaten, eingeladen und konnten sich dem Vergleich nicht stellen.

 

Soziale Themen gehen unter

Stimmen aus der Region zeigen sich wenig begeistert über die RTL-Diskussionsrunde. Vor allem vermissen sie Inhalte abseits von Migration und Ukraine-Krieg: „Es wurde viel zu wenig über die Themen gesprochen, die die Menschen wirklich bewegen, nämlich ausreichend hohe Renten sowie ein funktionierendes und bezahlbares Gesundheits- und Pflegesystem“, sagt etwa Friedrich Stubbe, Vorsitzender des VdK Bremen-Niedersachsen. Soziale Themen wie die Bekämpfung von Armut und eine Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft seien im Wahlkampf untergegangen, bemängelt Stubbe. „Dabei brauchen wir dringend einen starken Sozialstaat mit leistungsfähigen Sozialversicherungen, die auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sind.“ Der VdK sei letztlich ein politisch neutraler Verband, so Stubbe, deshalb spreche man sich nicht für oder gegen einen konkreten Kandidaten aus.

 

Minimalkonsens der Demokraten

Katharina Hanstein-Moldenhauer von der Initiative „Nie Wieder - Erinnern für die Zukunft - Gemeinsam gegen rechts“ wünschte sich neben anderen Inhalten vor allem auch mehr Haltung gegenüber der AfD, die ihrer Meinung nach nicht hätte teilnehmen dürfen: „Formate wie TV-Diskussionen von Spitzenpolitikern könnten ein Beitrag zur politischen Aufklärung sein, wenn sie am Minimalkonsens aller Demokraten festhielten, dass die extreme Rechte niemals die Politik und die öffentliche Meinung bestimmen darf“, sagt Hanstein-Moldenhauer. Außerdem müssten sie „Gründe und Folgen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Deutschland“ ernsthaft diskutieren. „Das leisten das Format und die Art, wie solche Diskussionen moderiert werden, nicht“, findet sie.

„Ich halte Robert Habeck trotz einiger Bedenken - zum Beispiel eine immense Steigerung der Rüstungsausgaben - für einen ernstzunehmenden, geeigneten Kanzlerkandidaten“, sagt Hanstein-Moldenhauer. Der Grünen-Kandidat sei der einzige gewesen, der „das dringendst zu lösende Problem des menschengemachten Klimawandels“ und die Notwendigkeit einer „Umverteilung von oben nach unten“ erwähnt habe. Mit seinem Beharren auf der Zusammenarbeit der demokratischen Parteien nach der Wahl habe er ebenfalls Punkte gesammelt.

 

Klimakrise vergessen

Dr. Hans-Gerhard Kulp teilt diese Einschätzung zu den Inhalten der Sendung: „Leider haben weder die Moderatoren noch die Kandidaten den Umwelt- und Klimaschutz ausreichend thematisiert. Dabei ist doch klar, dass mittel- bis langfristig die Klimakrise uns vor noch viel größere Probleme als heute in Bezug auf Migration, Gesundheitskosten, Lebensmittelsicherheit, Wassermangel, Deichsicherheit stellen wird“, sagt der Vorstandssprecher der Biologischen Station in Osterholz-Scharmbeck.

„Als Person finde ich Robert Habeck am glaubwürdigsten, weil er die Probleme, vor denen wir stehen, differenziert betrachtet. Scholz oder Merz suggerieren ohne erkennbaren Selbstzweifel, dass sie schon alle Lösungen haben“, so Kulp weiter. Allerdings habe er von Habeck erwartet, „dass er den Klimaschutz offensiver vertritt und auch begründet, dass sozial gerechter Natur- und Klimaschutz für uns alle ein besseres Leben ermöglicht.“ Alice Weidel sei „völlig indiskutabel, weil sie die Klimakrise leugnet“, sagt Kulp abschließend.

 

Verlässlichkeit statt Spaltung

Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, will sicht nicht für eine spezifische Partei aussprechen, macht aber klar, was aus Sicht der Handwerkskammer in der nächsten Legislaturperiode wichtig ist: „Für das Handwerk ist entscheidend, dass der Veränderungsnotstand ein Ende hat und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland erhalten bleibt. Das heißt Bürokratie abbauen, Steuern und Abgaben senken, Energie bezahlbar halten, die berufliche Bildung stärken.“ Es dürfe hier nicht bei Versprechen bleiben. Wirtschaftliche Stärke brauche politische Stabilität, gibt Bade zu bedenken: „Wer die Demokratie aushöhlt, Menschen gegeneinander aufbringt oder aus der EU will, riskiert unseren Wohlstand. Handwerk und Wirtschaft brauchen Verlässlichkeit, keine Spaltung.“

Eine ähnliche Linie - wenn auch aus anderen inhaltlichen Gründen - vertritt Dr. Ernesto Harder, Vorsitzender des DGB Bremen. Er lässt keinen Zweifel daran, welchen der vier Kandidaten er ungern im Kanzleramt sehen würde: „Wir rufen alle Menschen dazu auf, die Parteien zu wählen, die sich für faire Löhne, Jobsicherheit, Investitionen und den Sozialstaat einsetzen. Beim Quadrell wurde zumindest deutlich, welche Partei diese Haltung nicht teilt. Die Grundwerte der AfD sind mit denen einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar.“


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