Kein Fußball ohne Politik
Ist Fußball politisch? Eine Frage, die im Zuge der EM anhand der Regenbogenfarben diskutiert wurde, die Nationalkeeper Manuel Neuer um den Arm trug. Ein Blick in die Geschichte des Weserstadions, dessen Mannschaft an diesem Wochenende zum ersten Mal seit 1980 in der 2. Bundesliga antritt, präsentiert eine eigene Antwort: Jedes Stadion ist ein politischer Raum.
Eingebettet zwischen Weser und Anwohnerschaft, fungiert das Weserstadion seit dem Jahr 1930 als Austragungsort der Bremer Heimspiele. Bereits 1926 wurden eine erste große Tribüne, Umkleidekabinen und ein Restaurant installiert.
Bereits ab 1927 veranstalteten hier Gewerkschaften, zusammen mit KPD und SPD mehrere Maikundgebungen. Programminhalte waren neben Musik-, Gesangs- und Turneinlagen vor allem inhaltliche Vorträge zur Situation in der Weimarer Republik.
Parallel zur Etablierung der NSDAP entschied der Bremer Senat 1934, den damaligen Stadionnamen „ABTS-Kampfbahn“ in „Bremer Kampfbahn“ umzubenennen. Ein Jahr später veranstalteten die Nationalsozialisten unter dem Titel „Tag der Wehrmacht“ die erste öffentliche Rekrutenvereinigung in Bremen. Arbeitersportvereine wurden zerschlagen, dem jüdischen Turn- und Sportverein „Bar Kochba“ die Nutzung der Sportanlage verboten.
Bis zur Kapitulation Deutschlands 1945 nutzten die Nazis die „Bremer Kampfbahn“ neben dem Auftritt von Propagandaminister Joseph Goebbels im Juni 1934 für zahlreiche militärische Massenveranstaltungen und als Flakstandort.
Bundeswehr und Friedensbewegung
Die in der Bundesrepublik befürchtete Zuspitzung des Kalten Krieges und der NATO-Doppelbeschluss von 1979 veränderte die Rolle der Bundeswehr innerhalb der Gesellschaft. Und neben der von der Politik konzipierten Vorstellung des Soldaten als „Bürger in Uniform“ erstarkte die Friedensbewegung, auch in Bremen.
Zum 25-jährigen Bestehen der Bundeswehr wurde am 6. Mai 1980 die zweite öffentliche Rekrutenvereinigung im Weserstadion nach 1935 durchgeführt. Die Überlegungen der Bundeswehr im Vorfeld, die Prozedur mit einer militärischen Feldparade, Panzern und Kampfflugzeugen zu begleiten führten zu einer großen Mobilisierung von Gegendemonstrant:innen. Bereits vor Veranstaltungsbeginn versammelten sich ca. 10.000 Personen rund um das Stadion. Die große Entschlossenheit und die für die Polizei bis dato unbekannte Militanz sorgten für eine wahrnehmbare Störung des Ablaufs sowie eine bundesweite Berichterstattung.
Nazi Hooligans und linke Ultras
Neben der Friedensbewegung wuchs in den 80er und 90er Jahren auch die rechte Szene. Und auch im Weserstadion waren rechte Symboliken und Personen präsent und etabliert. Das Klima war rau und die Gesänge nicht selten diskriminierend. Ab 2003 begann in Reaktion auf Bremer Nazi Hooligans eine antifaschistische Politisierung junger Ultragruppen und ein langwieriger Konflikt mit den im Stadion etablierten rechten Hooligan-Strukturen nahm seinen Lauf. Im Jahr 2007 beispielsweise griffen Bremer Nazi-Hooligans die Geburtstagsparty einer jungen Ultragruppe im Ostkurvensaal des Stadions an und verletzten mehrere Menschen schwer. Es war eine Machtdemonstration und der Versuch die linken Ultras einzuschüchtern.
Rückblickend gilt dieser Angriff als ausschlaggebend für die weitere Entwicklung des Sportvereins sowie dessen Fanszene. Die Stadionordnung wurde in Bezug auf die Verbote rechter Symboliken und Modemarken angepasst. Fans gründeten mithilfe des Fanprojekts die „AntiDiskriminierungs-AG“, führten Choreos und Veranstaltungen durch. Werder erkannte schlussendlich die Relevanz einer eindeutigen politischen Positionierung gegen menschenfeindliche Ideologien.
Kein Fußball ohne Politik
Trotzdem wird der Slogan „Fußball ist Fußball und Politik ist Politik“, der vor allem durch die rechte Bremer Hooligan-Band „Kategorie C“ bekannt wurde, immer wieder hörbar.
Doch die Geschichte des Weserstadions, die seit Beginn politisch geprägt ist und stets in die Stadtgesellschaft hineinwirkte, zeigt vielmehr, dass sich und sportliches Amüsement und Politik aufgrund des Raumes, in dem Letzteres stattfindet, durchkreuzen. Diese auf große Massenspektakel ausgelegten Räume für vermeintlich unpolitischen Freizeitspaß sind von politischen Akteuren jedweder Couleur immer umkämpft. Sie gelten ihnen als bester Verstärker ihrer politischen Botschaften.
Darüber hinaus treffen in jedem Stadion ebenso die Positionen und Interessen von Zuschauer:innen, der Polizei, von Verbänden und Wirtschaft aufeinander. Und wie auf dem Rasen geht es auch bei diesen Auseinandersetzungen darum, wer sich durchsetzt. Kurzum: Fußball ist ohne Politik nicht zu haben. Der Mythos vom unpolitischen hingegen hat eine Funktion. So lassen sich antisemitische, rassistische und sexistische Äußerungen z. B. in Gesängen immer als Teil des Spaßes ausgeben, da sie ja nicht politisch gemeint seien.
Der Verein Werder Bremen tut entsprechend gut daran, mit diesem Mythos gebrochen und somit politisch Stellung bezogen zu haben und dadurch allen Fans ganz gleich welcher Herkunft oder Sexualität zu ermöglichen, ein sportliches Ereignis mit Vergnügen genießen zu können.