Kein Lindner ist auch keine Lösung
Zu oft habe er sein Vertrauen gebrochen - zuletzt mit dem wirtschaftspolitischen Positionspapier, das im offenen Widerspruch zum Koalitionsvertrag stand -, so begründete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Entscheidung, Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu entlassen. Streit hatte es in den letzten Jahren eigentlich ununterbrochen gegeben, meistens ging es dabei um Geld. Der ehemalige Finanzminister pochte auf einen Sparkurs, um die Schuldenbremse einzuhalten. Dafür schlug er Kürzungen beim Bürgergeld vor, im jüngst veröffentlichten Positionspapier fordert Lindner auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für Menschen mit hohem Einkommen.
Nach den nicht enden wollenden, oftmals öffentlich ausgetragenen Diskussionen um unterschiedliche Ansichten in der Finanzpolitik kommt der Bruch eigentlich nicht überraschend - schließlich stand die zerstrittene Regierung gerade vor der Aufgabe, den Bundeshaushalt für 2025 zu erarbeiten. Eine Frage, die in der aktuellen Konstellation, in der ein Wirtschaftsminister einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Wachstumsfonds fordert, während der Finanzminister an der schwarzen Null festhält, kaum lösbar erschien.
Haushalt liegt auf Eis
Olaf Scholz will im Januar die Vertrauensfrage stellen, womit voraussichtlich der Weg für Neuwahlen geebnet wird. Den Haushalt für 2025 zu beschließen, wird damit quasi unmöglich: Für den aktuellen Entwurf dürfte es ohne den Koalitionspartner FDP keine Mehrheit geben. Sollte im kommenden Jahr eine neue Regierung gewählt werden, kann diese nicht einfach den Haushaltsentwurf ihrer Vorgängerin beschließen - so sieht es das Diskontinuitätsprinzip vor.
Das bedeutet in der Praxis eine Haushaltssperre für den Rest des Jahres und eine vorläufige Haushaltsführung ab dem 1. Januar 2025. Weil Haushaltsberatungen in der Regel langwierig und kompliziert sind, ist es nicht ungewöhnlich, dass es zu solchen Phasen kommt. Erst Anfang dieses Jahres führte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einer solchen Situation.
Die Förderbank KfW musste deshalb vorübergehend die Auszahlung von Fördermitteln stoppen, denn bei einer vorläufigen Haushaltsführung gilt: Nur staatliche Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, werden weiter gezahlt. Darunter fallen etwa das Bürger- oder Wohngeld. Bereits laufende Förderprogramm unterliegen einer Ausgabenbremse. Die Regierung darf ansonsten nur Geld ausgeben, um die Weiterführung dringender Staatsgeschäfte zu gewährleisten. Neue Verpflichtungen einzugehen, ist in dieser Phase tabu. Investitionsprogramme und ähnliche Vorhaben könnten also erst geplant werden, wenn eine neue Regierung gefunden ist - und das kann erfahrungsgemäß dauern.
Verbände: FDP blockiert wichtige Reformen
Kurzfristig sind das schlechte Nachrichten für alle, die sich von der Regierung Investitionen unterschiedlicher Art wünschen. Dazu gehören auch die Sozialverbände in Deutschland, die stets Kritik an der Ampel-Regierung und insbesondere Christian Lindner geübt haben. Jetzt hoffen die Verbände auf einen Kurswechsel in Berlin. Die Präsidentin des VdK, Verena Bentele, meldete sich umgehend zu Wort und äußerte Verständnis für die Entscheidung des Bundeskanzlers: Die FDP habe wichtige Reformen, wie die Kindergrundsicherung oder das Rentenpaket blockiert. Olaf Scholz habe jetzt die Weichen für eine sozial gerechte Zukunft gestellt, so Bentele.
„Nach Lindners kurzfristiger Entlassung durch den Bundeskanzler hoffen wir als VdK nun auf mehr Flexibilität im Bundeshaushalt – gerade mit Blick auf eine sozial gerechtere Zukunft“, sagt auch Friedrich Stubbe, Vorsitzender des VdK Bremen-Niedersachsen. „Die Menschen brauchen eine solide soziale Absicherung, etwa durch die Kindergrundsicherung, das Rentenpaket II, das Bürgergeld und auch das Behindertengleichstellungsgesetz.“
Pflegekassen warten auf ihr Geld
Ein dringendes Problem, auf das auch die Sozialverbände hingewiesen haben, dürfte sich kurzfristig allerdings nicht mehr lösen lassen: Die Pflegekassen warten auf eine Rückerstattung von Mehrkosten, die sie während der Pandemie vorgestreckt haben. Die Bundesregierung hatte damals auf Beitragsmittel zurückgegriffen, um unter anderem Kosten für Corona-Tests und den Pflegebonus zu decken - verbunden mit der Zusage, diese aus Steuermitteln zu finanzieren und zurückzuzahlen.
Bisher haben die Kassen, die ohnehin in tiefe Löcher starren, nur einen Teil des Geldes erhalten. Rund sechs Milliarden Euro fehlen noch. Ein Rechtsgutachten, das die DAK in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluss, dass die Bundesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet sei, die Mittel zu erstatten. Es handele sich dabei um versicherungsfremde Leistungen, die aus Steuermitteln zu finanzieren seien.
Im jüngsten Entwurf des Haushalts war die Zahlung nicht vorgesehen. Die Kassen warnten bereits vor Beitragserhöhungen, falls das Defizit nicht anders gedeckt werden könne. „Mit ihrem Verhalten lässt die Bundesregierung die Pflegeversicherung ausbluten“, kritisiert Stefanie Jäkel, Landespressesprecherin des SoVD Niedersachsen. Der Verband fordert die Regierung auf, das Geld zurückzuzahlen und „ihren Haushalt nicht auf dem Rücken der Pflegeversicherung zu sanieren.“ Eine weitere Belastung der Versicherten durch höhere Beiträge sei nicht hinnehmbar. „Viele Pflegebedürftige können bestimmte Kosten schon jetzt nicht alleine stemmen“, so Jäkel. Sowohl SoVD als auch VdK fordern darüber hinaus, dass in Zukunft alle Bürger:innen, also auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete, in die Pflegeversicherung einzahlen sollen.