Kommentar: Menschenverachtende Toleranz
Syriens De-facto-Herrscher Ahamed al-Scharaa hat der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Damaskus zur Begrüßung nicht die Hand gegeben, sondern sie auf seine Brust gelegt. Ihren männlichen Kollegen gab der Islamist, der seine Karriere bei Al-Qaida begann und als Anführer der Hayat Tahrir al-Sham für Tod, Folter, Verfolgung und für Versklavung und Vergewaltigung von Frauen verantwortlich ist, natürlich die Hand. Entsprechend groß war die Aufregung hierzulande.
Abgesehen von den üblichen Rassisten, die solche Bilder nutzen, um ihren Hass auf arabisch-muslimische Menschen freie Bahn zu lassen, wiesen Menschenrechtsaktivisten wie z.B. Düzen Tekkal darauf hin, dass solches Gebaren Ausdruck islamistischer Misogynie sei, die Grund gebe, an der Mäßigung der Islamisten zu zweifeln. Nicht nur verlautbarten auch die Taliban nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan zunächst, sie würden Frauenrechte achten wollen. Und nun sind Frauen vollverschleiert, dürfen weder öffentlich sprechen noch in ihrer eigenen Wohnung durch das Fenster von außen gesehen werden. Auch lassen die Schariagesetzgebung und die Äußerungen der syrischen Übergangsregierung – es wird sich zeigen müssen, ob diese Bezeichnung ihre Richtigkeit hat – an der Abkehr vom Islamismus zweifeln. So sagte laut Medienberichten das einzige weibliche Regierungsmitglied, Aisha al-Dibs, die für Frauenangelegenheiten zuständig ist, dass Frauen die „Prioritäten ihrer gottgegebenen Natur nicht überschreiten“ und sich ihrer „erzieherischen Rolle in der Familie“ bewusst sein sollten. Und der Regierungssprecher Obaida Arnaout sprach zuvor von der „biologischen Natur“ der Frau, die sich für gewisse Berufe unfähiger mache als Männer.
Die RTL-Korrespondentin Sophia Maier und ihr WDR-Kollege Ilias Hamdani hingegen könnten beim besten Willen keine islamistische Frauenverachtung erkennen. Maier schreibt – die Biografie al-Scharaas vollständig ignorierend – auf ihrem Instagramkanal: „Ein muslimischer Mann, der nicht die Hand gibt, ist weder ein Frauenhasser noch ein Islamist“. Es sei in muslimischen Ländern „so üblich, als ‚Zeichen des Respekts vor dem Gegenüber‘ die Hand auf das Herz zu legen. Dieses Verhalten beruhe „auf den Konzepten von Reinheit oder Geschlechtertrennung“. Hamdani erzählt in einem Video des jungen Menschen ansprechenden öffentlich-rechtlichen Instagram-Accounts „tickr“: „Einer Frau nicht die Hand zu geben, hat nicht unbedingt etwas mit Respektlosigkeit zu tun, sondern mit Kultur.“ Das müsse „man hinnehmen“, „andere Länder, andere Regeln“. Die Kritik am verweigerten Handschlag zeige nur, „wie überheblich wir sind“.
Dem ist nur zu widersprechen. Überheblich sind nicht die Kritiker, die al-Scharaas Handschlagsverweigerung als Frauenverachtung deuten, sondern Maier und Hamdani, die Frauenhass als kulturelle Praxis zu relativieren versuchen. Die Berührung verbietende Vorstellung von der Reinheit der Frau, die zum einen nicht für die Frau, sondern für den späteren Ehemann zu bewahren ist und die zum anderen dem dschihadistischen Jungfrauenwahn und der Überzeugung zugrunde liegt, „berührte“ Frauen wie Dreck und als Sklavinnen behandeln zu dürfen, degradiert Frauen auf ein bloßes Sexualobjekt. Wäre sie mehr als das, könnte man sie doch problemlos berühren und würde „berührte“, also sexuell aktive Frauen, mit Respekt behandeln.
Wer überheblich ist, dem geht die Fähigkeit ab, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, und Maiers und Hamdanis Andere-Länder-andere-Regeln-Argument ist nichts anderes als eine Weigerung, sich kritisch mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. „Kultur“ oder der bloße Verweis darauf, dass etwas „so üblich“ sei, ist kein Argument dagegen, dass das Übliche frauenverachtend ist. Wenn dem so wäre, müsste auch die Kritik an Frauen schlagenden Männern verstummen. Ist ja so üblich, dass in Deutschland fast jeden Tag eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Partners stirbt. Auch Genitalverstümmelung von Frauen mit rostigen Messern ist in vielen Teilen der Welt kulturelle Praxis. Deswegen gut? Natürlich nicht, auch wenn hofierte Kulturwissenschaftlerinnen wie Christina von Braun und Bettina Mathes in ihrem Buch „Verschleierte Wirklichkeit“ das Leid von über 200 Millionen Frauen ignorierend behaupten, dass Orgasmusfähigkeit nicht unbedingt zu weiblicher Lust dazugehören muss.
Das zeigt zweierlei. Zum einen, dass Kultur unterdrückende und barbarische Praktiken zelebrieren kann. Zum anderen, dass Kulturrelativismus eine Ideologie ist, die Menschenverachtung in Toleranz verkleidet, um sich über andere moralisch zu erhöhen.
Journalisten wie Hamdani und Maier sind aber nicht nur überheblich und ideologisch verblendet, sondern gefährlich, weil sie Verständnis für Islamisten verbreiten, die sich allen moderaten Bekundungen zum Trotz im Krieg mit einer freiheitlichen Lebensweise befinden.