Ralf G. Poppe

Punks in der Provinz

Vor 50 Jahren starteten Bands wie The Damned, Dead Kennedys und Sex Pistols in London und New York, was später als Punk bekannt wurde. In der norddeutschen Flachebene kam die provokative Musik ab 1976 bei einem knapp 12jährigen Teenager in Klenkendorf gut an.

Richtige Konzerte von bekannten Punk-Bands ließen in der Region etwas auf sich warten. Aber keine fünf Jahre, nachdem in London die Sex Pistols ihr erstes Konzert gaben, schlug der kulturell befreiende Urknall am 17. Oktober 1980 in die damals recht neue und verschalfene Kreisstadt Rotenburg (Wümme) ein.

Bis es so weit war, kauften und tauschten wir in Gnarrenburg Vinyl-LPs untereinander. Wir, das waren Jürgen Burfeind, Michael Cordes und Hartwig Schröder. Punkscheiben konnte man in Gnarrenburger und Bremervörder Geschäften kaum bekommen. Darum bestellten wir beim Plattenversand Govi. Dort bekamen wir fast alles von The Damned (die erste englische Punk-Band, die eine Single und ein Album veröffentlichte), von den Sex Pistols, den Plasmatics und den Dead Kennedys zusammen.

Letztere tourten im Herbst 1980 erstmals durch den deutschsprachigen Raum - damals hatten wir zu viert gerade eine Band namens Ausdruckskraft gegründet, mit der wir Stücke der Hannoveraner Punkband Hans-A-Plast zu covern versuchten. Als Instrumente hatten wir nur Gitarren. Dafür machten wir „Krach“ mit dem, was wir hatten. Burfeind, Cordes und Schröder gründeten wenig später mit Alke Wamas und Torsten Wendelken die Formation Hetzjagd, und gingen sogar auf eine kleine Deutschland-Tour.

Punks in der Realschule

„Krach“ machten auch die Dead Kennedys, vor dem im Vorfeld des Konzerts in Rotenburg in einer lokalen Zeitung gewarnt wurde: Die Songs der Band seien „bösartig“ und: „Allen Leuten, die diesen harten Sound nicht mögen, sei es zu empfehlen, nicht zu dieser Gruppe zu gehen...“ Was letztlich nur unseren Wunsch vergrößerte, unbedingt dabei sein zu wollen.

Das Konzert sollte in der Aula der örtlichen Realschule. Es war die Zeit, in der der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) bei der Bundestagswahl am 5. Oktober mit seiner Sozialliberalen Koalition gerade seinen Herausforderer, den CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß, in die Opposition verwiesen hatte, und Ex-Beatle John Lennon kurz davorstand, am 17. November sein Comeback-Album „Double Fantasy“ zu veröffentlichen. Einen Monat vorher, also am Freitag-Nachmittag des 17. Oktobers, standen der Bäckerlehrling Schröder und ich, der Zehntklässler Poppe mit selbst gemaltem Ausdruckskraft T-Shirt, dessen Logo mit ADK an das DK der Dead Kennedys erinnert, an der Straße der circa 50 Kilometer entfernt liegenden alten Kreisstadt Bremervörde, um zum Konzert der Dead Kennedys zu trampen. Trampen war auch Punk. Elterntaxis gab es damals nicht. Aber dennoch fuschten mir meine Eltern dazwischen. Sie verboten mir, zu Fremden ins Auto zu steigen. Ich war 15. Aber mein sehr geschätzter Freund Wolfgang Wiggers (aus Ottersberg; gründete später mit Katrin Achinger und Matthias Arfmann - heute Manager von Jan Delay- die Kastrierten Philosophen) dokumentierte den Abend mit wunderbaren Fotos und berichtete mir vom Konzert.

Punks der Provinz

In der grellen Pausenhalle hatten sich alle möglichen Punks versammelt. Das Bier war angeblich bereits sehr früh aufgebraucht gewesen, von circa 400 Leuten, die allesamt weite Anreisewege hinter sich gebracht hatten. Das Konzert fand in der viel zu großen Halle nebenan statt. Es soll sehr fremdartig gewesen sein, eine Punkband wie die Dead Kennedys, die zuvor in Welt- oder zumindest Hauptstädten gastiert hatte, in einem Schulgebäude einer Kreisstadt der niedersächsischen Provinz spielen zu sehen. Für die Band war es sicher nicht weniger fremdartig, dort zu sein, wo sie waren. Vor allem als vor dem Sänger Biafra auf einmal Fascho-Kids anfingen, zu „California Über Alles“ Nazi-Posen einzunehmen. Deren „Schulenglisch“ hatte wohl nicht ausgereicht, den Aussagen des Songs zu folgen. Oder sie wollten - wie richtige Punks halt - die etablierten Punks nur provozieren.


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