Benjamin Moldenhauer

Verschwitzt und romantisch

Benjamin Moldenhauer stellt seinen persönlichen Film des Jahres 2024 vor: Love Lies Bleeding ist ein explosiver Genremix der britischen Regisseurin Rose Glass.

Müssen den Weg für ihre Liebe gewaltsam freiräumen: Jackie (Katy O‘Brian) und Lou (Kristen Stewart) in Love Lies Bleeding.

Müssen den Weg für ihre Liebe gewaltsam freiräumen: Jackie (Katy O‘Brian) und Lou (Kristen Stewart) in Love Lies Bleeding.

Bild: A24

Im Wikipedia-Eintrag zum Film »Love Lies Beeding« findet sich schon einmal eine sehr gute Genreverortung: »a neo-noir romantic thriller dark comedy film«. Nimmt man noch die Ausgangsidee der Regisseurin Rose Glass und die Vorbereitung am Set dazu, bekommt man eine recht gute Vorstellung davon, was einen erwartet: Sie habe, erzählt Glass im Interview mit dem Magazin »Little White Lies«, einen »verschwitzten Film« machen wollen, der in der US-Bodybuilder-Szene spielt. Und ihrem Team habe sie zur Vorbereitung »Crash« von David Cronenberg und Paul Verhoevens »Showgirls« gezeigt. Wir haben also einen recht eklektischen Genremix, der schwarzen Humor, ein eher düsterliches Weltbild, verschwitzte Körper und Body Horror zusammenschraubt und alles von einem Cast spielen oder besser ausagieren lässt, der affektiv konstant an der Kante unterwegs ist.

 

Leinwand in Brand

Das Ganze noch einmal in Form einer Plot-Zusammenfassung: Jackie (Katy O’Brian) macht auf dem Weg zu einem Bodybuilding-Wettbewerb in Las Vegas Stopp in der Wüste von New Mexiko. Im örtlichen Bodybuilding-Center lernt sie Lou (Kristen Stewart) kennen, die die Mitgliedschaftsausweise laminiert und die verstopften Klos wieder zum Laufen bringt. Die beiden landen schnell miteinander im Bett, ziehen zusammen und setzen in den Sexszenen, aber auch sonst, in einer Frühstücksszene, die Leinwand in Brand. »Love Lies Bleeding« ist nicht nur ein romantischer Neo-Noir mit Thriller- und schwarzhumorigen Comedy-Elementen, sondern auch queer bis über beide Ohren. Ein Film nicht zuletzt, der auch männliche, heterosexuelle Zuschauer in Trauer darüber stürzen kann, dass sie in diesem Leben nicht mehr lesbisch werden können.

Jackie fängt an, Muskelaufbaupräparate zu spritzen. Lous Schwager (Dave Franco), ein Vokuhila-Sleazebag, wie man ihn auch ansonsten im 80er-Jahre-Retro-Kino nur selten findet, schlägt immer wieder Lous Schwester (Jena Malone) zusammen. Als er sie ins Krankenhaus prügelt, geht es los mit der in »Love Lies Bleeding« an den Leinwandkörpern durchexerzierten Eskalation.

Jackies Affektkontrolle geht über Bord und sie zertrümmert den Kopf des Schwagers ihrer Freundin auf dem Wohnzimmerboden, zur Freude aller Zuschauer:innen, die wissen, was häusliche Gewalt bedeutet. Der Schwager ist also kaputt, wird in eine Schlucht in der Wüste gekippt und verbrannt. In der Folge gibt es Probleme mit dem FBI, der korrupten Polizei des Ortes und vor allem mit Lous Gangstervater (Ed Harris), der die Ermordung seines Schwiegersohns nicht so gelungen findet.

 

Formvollendete Dauerintensität

Die Bilder von »Love Lies Bleeding« sind überhitzt und strahlen eine formvollendet inszenierte Dauerintensität aus. Die Tonalität der punktuell sehr drastischen Gewaltsequenzen erinnert an die Exzesse in David Lynchs »Wild at Heart«. Von David Cronenbergs Body Horror leiht Rose Glass sich mindestens zwei What-the-fuck-Momente. Der erste ist noch als muskelaufbaupräparatinduzierte Halluzination gekennzeichnet. Mit dem zweiten springt »Love Lies Bleeding« mit Anlauf ins Fantastische und schreitet dann mit buchstäblich großen Schritten in Richtung seines grimmigen Happy Ends. Aber auch in den Momenten, in denen der Film sich selbst lustvoll aus der Kurve trägt, wirkt er nie selbstzweckhaft oder verliebt in die eigene Krassheit. Dazu sind die Genrebezüge und Registerwechsel viel zu souverän gebaut.

 

Trotz allem Schmerz für die Liebe

Kristen Stewart hat in einem mit offensiven Porträtfotos bebilderten Interview des »Rolling Stone« verkündet, sie wolle alsbald »the gayest fucking thing you’ve ever seen in your life« tun, und ob das Projekt in ihren Augen mit »Love Lies Bleeding« schon abgeschlossen ist, bleibt unklar. Aber ein Riesenschritt in diese Richtung wäre der Film in jedem Fall. Nicht zuletzt ist »Love Lies Bleeding« eine unverhohlene Hommage an die destruktiven Potenziale von Queerness. Was hier zerstört wird, wird vorher immer als zerstörungswürdig gekennzeichnet.

Er solle sich nicht verlieben, empfiehlt Jackie im fortwährenden Ausnahmezustand ihrem Stiefbruder, es sei zu schmerzhaft. Am Ende votiert »Love Lies Bleeding« dann aber doch, trotz allem Schmerz, für die Liebe. Für die allerdings einiges erst mal mit der Knarre oder einem beherzten Tritt aus dem Weg geräumt werden muss: patriarchale Überväter, manipulative Nebenbuhlerinnen, toxische Familienmänner, die ihre Frauen verprügeln. »Love Lies Bleeding« ist am Ende vor allem ein ungemein romantischer Film, ein Film des Jahres, und ein unfassbar verschwitzter außerdem.


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