Patrick Viol

Wer kann Bürgermeister?

Die Interessengemeinschaft Ritterhuder Betriebe hat die Ritterhuder Bürgermeisterkandidaten am Donnerstag zur Diskussion ins Hamme Forum geladen, um sich dort den Fragen des Publikums zu stellen, die die IRB zuvor gesammelt hat.
Sie wollen sich für ihre Gemeinde an führender Stelle einsetzen: Marco Begerow (Bürgerfraktion), Wolfgang Goltsche (Grüne), Timo Koschnik (FDP) und Jürgen Kuck (SPD).  Fotos. pvio

Sie wollen sich für ihre Gemeinde an führender Stelle einsetzen: Marco Begerow (Bürgerfraktion), Wolfgang Goltsche (Grüne), Timo Koschnik (FDP) und Jürgen Kuck (SPD). Fotos. pvio

Ein objektives Bild von jedem einzelnen Kandidaten soll das Publikum an diesem Abend gewinnen können, so die IRB-Vorsitzende Susanne Schröter, die gemeinsam mit Axel Schäfer den Abend moderiert. Entsprechend sind die Fragen nach verschiedenen Themenblöcken sortiert, wobei nicht allen Kandidaten dieselben Fragen gestellt wurden. Damit seien die Kandidaten aber einverstanden gewesen, um den Rahmen de Veranstaltung nicht zu sprengen. Auch persönliche Fragen wurden gestellt.
 
Motivation und Ziele
 
Marco Begerow, tätig in der Werbebranche und Kandidat für die Bürgerfraktion, will als Bürgermeister mit „Fleiß und Ausdauer“ Kindern mehr Sicherheit, der Wirtschaft mehr Halt in Ritterhude und den Vereinen mehr Anerkennung für ihre wichtige Arbeit verschaffen. Sein Ziel sei, stets so gute Ideen einzubringen, dass der Rat ihnen nur zustimmen kann.
Den für die Grünen kandidierende Wolfgang Goltsche, der als Projektleiter im IT-Bereich arbeitet, motiviert, eine gute Zukunft für seinen Enkel in Ritterhude zu schaffen. Eine Zukunft, in der dieser mit dem Fahrrad nicht über schlechte Kieselwege zur Schule fahren muss und dort eine digitale Infrastruktur vorfindet, in der er gut lernen kann. Sein Ziel sei es, den „Servicegedanken in der Verwaltung offensiver nach außen zu tragen.“
Timo Koschnick, der für die FDP antritt und „vom Herzen Dienstleister“, sei, treibt an, ein guter „Dienstleister der Gemeinschaft“ zu sein. Seine Ziele: für die Menschen, die in der Gemeindeverwaltung arbeiten, ein guter Teamleiter sein, damit sie gut arbeiten können und Ritterhude als Standort für Co-Working-Spaces etablieren, um flexibles Arbeiten zu ermöglichen.
Der für die SPD kandidierende Jürgen Kuck sei stets bestrebt davon, seinen „Heimatort zu gestalten“. Das will er nun an „führender Stelle“ tun. Seine Ziele seien die Schaffung von bezahlbarem Wohnen und einer guten Daseinsfürsorge.
 
Freizeit und Tourismus
 
Wie umgehen mit dem ehemaligen Freibadgelände? Dazu hat Koschnik eine Idee, wenn auch keine konkrete: Da soll sich etwas entwickeln, das „nachhaltig“ ist und „uns vorantreibt“. Konkreter, was die Verbesserung der Freizeitgestaltung angeht, wird Kuck. Er will einen Rundweg um die Hamme samt Gastronomie schaffen. Dazu müssen aber noch die Besitzverhältnisse geklärt und Gastronomen gefunden werden, die überhaupt Lust haben, an der Hamme einen Betrieb zu führen.
 
Umwelt und Klimaschutz
 
Hinsichtlich Klima- und Umweltschutz setzt Goltsche auf mehr Fahrradfahren. Als Bürgermeister will er das vorliegende Fahrradkonzept umsetzen, aber auch die Sichtweise auf den Verkehr ändern, sodass bei künftigen Planungen an mehr Sicherheit für Fahrradfahrer:innen gedacht wird. Kuck hingegen, der gerne einen Klimamanager einsetzen wollen würde, findet den motorisierten Individualverkehr zentral. An dem hänge auch die Wirtschaftskraft. Aber man müsse mehr E-Mobilität schaffen und stärker auf alternative Kraftstoffe setzen.
Die findet Goltsche übrigens nicht gut. Weil sich durch deren Herstellung die Gesamtemission nicht verringere. Was Kuck nicht so recht glauben kann.
Begerow ist selbst e-mobil unterwegs, denkt aber, dass man, dass man das nicht vorschreiben könne. Klima- und Umweltschutz muss in den Köpfen anfangen. Am besten damit, dass man seinen Müll in den Mülleimer und nicht in die Hamme werfe.
 
Finanzen und Gewerbe
 
Alle Kandidaten sind sich einig, dass der Hebesatz der Gewerbesteuer von 470 Prozent (höher als Bremen) gesenkt werden müsse und Ritterhude mehr Gewerbe brauche. Aber wo soll dann das Geld für die Kommune herkommen? Begerow sei offen für eine „Neuverschuldung“. Und wo sollen die Gewerbe angesiedelt werden? Die Flächen sind voll. Koschnik sieht hier die Möglichkeit, umsatzstarke Unternehmen zu finden, die wenig Fläche brauchen. Goltsche hat einen anderen Ansatz. Man müsse sich gemeinsam fragen, welche Gewerbe man in Ritterhude überhaupt haben will, um die „kostbaren Flächen“ nicht zu verschwenden.
Streitpunkt unter den Kandidaten ist die Verwendung von jährlich einer Millionen Euro für den Straßenbau aus der Grundsteuer. Während z. B. Kuck dieses per Ratsentscheidung festgelegte Vorgehen fair findet, wonach alle an der Verbesserung der zu 50 Prozent schlechten Straßen beteiligt werden, wendet Begerow ein, dass „Fairness eine Frage des Standorts sei“. Wer für eine Straßenerneuerung bezahlen muss, an der er nicht wohne, finde das „unfair“. Koschnik findet, es müssten hier mehr Gelder vom Land fließen.
 
Wohnraum und bezahlbares Wohnen
 
Der Wohnungsmarkt in Ritterhude ist angespannt. Mieten steigen und Wohnraum wird knapp. Einig sind sich alle Kandidaten, dass dem Abhilfe geschaffen werden soll. Koschnik und Goltsche finden, man müsse mehr über alternative Wohnformen nachdenken. Mehr Mehrgenerationenhäuser und kleinere Grundstücke seien Ideen. Apropos klein: Begerow denkt über Bau von mehr „Tiny Houses“ nach, in die Best Ager ziehen könnten, um ihre großen Immobilien an junge Familien abzugeben.
Kuck setzt den Akzent vor allem darauf, dass Mietwohnungen bezahlbar sind. So soll in künftige Bauplanungen vermehrt eine Quotierung (derzeit 25 Prozent) von förderungsfähigem Wohnungsbau einfließen. Eine Überlegung Kucks ist auch, gemeindeeigene Firmen mit dem Bau zu beauftragen, um niedrige Mietpreise zu garantieren.
 
Bürgerbeteiligung
 
Um mehr Bürger:innen aktiv an der Politik zu beteiligen, will Begerow ein Open-Antrag-Verfahren auf den Weg bringen, das ermöglichen soll, das Bürger:innen niedrigschwellig und online ihre Anliegen direkt an Abgeordnete und Fraktionen herantragen können.
Goltsche möchte Bürgerbeteiligung gerne institutionalisieren und Verwaltung, Rat und Bürgerschaft näher zueinander bringen. Zudem will er Bürger:innen bereits in die Entwicklung von Gemeindeplänen einbeziehen und sie nicht bloß aufgestellte Pläne kommentieren lassen.
Koschnik setzt vor allem drauf, die Bürger:innen besser mit Informationen zu versorgen. Stichwort Barrierefreiheit. Viele Webseiten müssten hier noch einen langen Weg gehen.
Kuck will - mit Willy Brandt - „mehr Demokratie wagen“ und „Bürgerräte“ einsetzen, die über Losverfahren zusammengesetzt werden und in denen Bürger:innen über kommunale Themen diskutieren. Die Ergebnisse sollen dann in die politische Entscheidungsfindungen einfließen. Auch müsse es bessere Onlineplattformen zur Eingabe von Bürger:innenideen geben.
Über ihre unterschiedlichen Ansätze hinaus wollen alle Kandidaten die Jugend verbindlicher an politischen Prozessen beteiligen.
 
Wer kann Bürgermeister?
 
Was man abgesehen von den konkreten Inhalten erfahren hat, das sind auch die charakterlichen Stärken und Schwächen der Kandidaten.
Aufgefallen ist vor allem, dass Goltsche und Kuck Politprofis sind. Sie sprechen weniger in inhaltslosen Phrasen und bieten konkretere Ansätze als ihre Mitbewerber Koschnik und Begerow. Während diese sehr stark einen Jargon der neuen und flexiblen Arbeitswelt sprechen, lassen jene aber auch eine gewisse Lockerheit vermissen, die es ermöglichen könnte, aus beschrittenen Fahrwassern herauszutreten. Weswegen Goltsche und Kuck vor allem in der Bewertung der bisherigen Politik auf der Bühne in Streit geraten sind. Dabei ging es ihnen aber weniger um Inhalte, sondern vor allem darum, dass sie sich oder die Arbeit ihrer Partei vom anderen falsch dargestellt fühlten. Ob beide in der Lage sind, verschiedene Meinungen und Interessen zu vermitteln, kann man, obwohl sie es von sich selbst behaupten, zumindest nach dem Umgang miteinander etwas bezweifeln.
Und während die einen Durchsetzungskraft beweisen wollten, fehlte es den anderen beiden daran. Koschnik punktete zwar zwischendurch mit ganz einfachen, aber kritischen Nachfragen, weshalb man ihm abkauft, dass er auch auf eingefahrene Prozesse in der Verwaltung einen kritischen Blick werfen könnte. Es könnte aber auch sein, dass seine Dienstleistereigenschaft auch ein Ausdruck von zu wenig souveräner Eigeninitiative ist.
Begerow wirkte die ganze Diskussion über nicht wirklich souverän. Das versuchte er zwar mit der einen oder anderen persönlichen witzigen Anekdote wettzumachen, doch zündeten seine Pointen nicht. Dass ihm persönlich aber sehr an der Arbeit der Vereine gelegen ist, die vor Ort wichtige Arbeit machen und ohne die er als Jugendlicher in einer Situation wie heute „viel Blödsinn“ gemacht hätte, kann man ihm glauben. Er scheint sehr ehrlich zu sein.


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