

Vorurteile gegenüber dem Feminismus
Feminismus sei nur etwas für Frauen und diskriminiere Männer - so lautet ein verbreitetes Vorurteil, besonders in den Kommentarspalten sozialer Medien. Ein aktuelles Beispiel für diese Diskussion ist ein Video, das in den letzten Wochen in den sozialen Netzwerken hohe Aufmerksamkeit erregte. Die Kulturwissenschaftlerin und Content Creatorin Tara-Louise Wittwer sowie der Coach und Content Creator Ozan Tas trafen sich im ZDF-Format „Auf die Couch“, um über Gleichberechtigung zu sprechen. Die zentrale Frage lautete: Fordern Frauen zu viel von Männern?
Wittwer betonte, dass sich Männer ihrer Privilegien bewusst werden sollten, und fragte, in welchen Bereichen Männer aktiv diskriminiert würden. Tas verwies auf die gesellschaftliche Scheu von Männern, psychische Probleme einzugestehen und offen zu kommunizieren. Zudem sei die Suizidrate bei Männern deutlich höher als bei Frauen.
Patriarchale Strukturen als Grundproblem
Dass viele Männer Schwierigkeiten haben, über ihre Gefühle zu sprechen, liegt an alten, sich aber reproduzierenden gesellschaftlichen Strukturen. Diese sogenannte toxische Männlichkeit ist ein Produkt des Patriarchats, also einer Gesellschaftsform, in der Männer historisch dominieren und systematisch bevorzugt werden. Patriarchale Strukturen zeigen sich bis heute in vielen Lebensbereichen:
Wirtschaft und Beruf: Männer besetzen nach wie vor überwiegend die Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft, während Frauen häufiger in schlechter bezahlten Berufen oder in Teilzeit arbeiten.
Familienstrukturen: Die Erwartung, dass Frauen sich primär um die Kindererziehung kümmern, bleibt weit verbreitet, während von Männern erwartet wird, die Hauptverdiener zu sein.
Gesellschaftliche Normen: Von Jungen wird oft verlangt, stark und emotionslos zu sein, während Sensibilität oder Verletzlichkeit als unmännlich gelten.
Diese Strukturen setzen sowohl Frauen als auch Männer unter Druck und verhindern individuelle Entfaltung. Wer nun denkt, dass sie mit den neuen Generationen verschwinden, irrt. Stattdessen werden sie in der Erziehung aber auch im Arbeitsleben reproduziert, was einen Kreislauf schafft. Um diesen zu durchbrechen, braucht es Menschen, die sich aktiv gegen das Patriarchat einsetzen - und hier kommt der Feminismus ins Spiel.
Was will der Feminismus erreichen?
Feminismus bedeutet nicht die Unterdrückung von Männern oder eine Bevorzugung von Frauen. Es geht um Gleichstellung - nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der gesellschaftlichen Praxis. Dabei geht es um mehr als Frauenquoten in hoch bezahlten Berufen oder die Anerkennung von Care-Arbeit. Feminismus zielt grundsätzlich darauf ab, dass Frauen sich in ihrem Alltag sicher fühlen und nicht in permanenter Angst vor Gewalt leben müssen.
Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem
Dass Frauen diese Sicherheit nicht haben, belegen Statistiken des Bundesministeriums für Inneres und Sicherheit: Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Frauen steigt kontinuierlich. Während einige Männer fürchten, durch den Feminismus etwas zu verlieren, haben viele Frauen Angst, allein im Dunkeln unterwegs zu sein oder nach Hause zu einem potenziell gewalttätigen Partner zu kommen. Wie Gillian Anderson es in der Serie „The Fall“ formuliert: Männer haben Angst davor, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst davor, dass Männer sie töten.
Der Sozialpsychologe Ralf Pohl erklärt in einem Interview mit der taz, dass Gewalt gegen Frauen oft ein Versuch sei, Kontrolle zurückzugewinnen: „Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft der männlichen Vorherrschaft und Dominanz. Das setzt jeden Mann unter Druck, dieser Rolle gerecht zu werden. Unbewusst dient Gewalt auch dazu, Frauen zu entmenschlichen und sie auf einen Objektstatus zu reduzieren.“ Hinzukomme, das jeder Mann an sich weiblich konnotierte Anteile bemerke. Unter dem Männlichkeitsdruck aber würden diese Anteile auf Frauen projiziert und an ihnen gewalttätig bekämpft.
Was können Männer tun?
Laut dem aktuellen Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums von 2024 ist die weltweite Geschlechterkluft zu 68,5 Prozent geschlossen. Bei gleichbleibendem Tempo würde es jedoch noch 134 Jahre - also fünf Generationen - dauern, bis die volle Gleichstellung erreicht ist. Das setzt natürlich einen linearen Geschichtsverlauf voraus, was in Anbetracht des Erfolgs antifeministischer Bewegungen offensichtlich falsch wäre. So braucht es zur Verteidigung und Beschleunigung des Gleichberechtigungsprozesses auch männliche Unterstützer des Feminismus.
Doch was können Männer konkret tun?
Bewusstsein für eigene Privilegien schaffen: Dazu gehört etwa, dass Männer im Durchschnitt höhere Löhne erhalten und weniger Angst vor Übergriffen haben müssen.
Gespräche suchen: Frauen von ihren Erfahrungen erzählen zu lassen, hilft, ihre Perspektive zu verstehen.
Positive Vorbilder fördern: Kindern sollten männlich-feministische Vorbilder begegnen, um nicht in die Falle der toxischen Männlichkeit zu geraten. Beispielsweise zeigen öffentliche Personen wie Harry Styles, der mit seiner Kleidung traditionelle Geschlechterrollen hinterfragt, oder Dwayne „The Rock“ Johnson, der offen über seine Depression spricht, dass Männlichkeit auch anders definiert werden kann.
Respekt und Gleichberechtigung im eigenen Umfeld leben: Väter können ihren Söhnen zeigen, dass es völlig in Ordnung ist, Emotionen auszudrücken, und richtig, Frauen mit Respekt behandeln, sodass sie nicht auf ein Objekt reduziert werden.
Diese Beispiele sind nur ein Anfang. Wichtig ist vor allem, Frauen in ihren Forderungen nach Gleichberechtigung zu unterstützen, sie ernst zu nehmen und ihre Stimmen nicht zu untergraben. Letztlich profitieren auch Männer von einer gerechteren und gleichberechtigten Gesellschaft - versprochen.