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Mord als Machtdemonstration

Ein minutiös geplanter Rachefeldzug eines ehemaligen Soldaten eskaliert zum Mehrfachmord – und enthüllt die alarmierende Regelmäßigkeit geschlechtsspezifischer Gewalt.

Bild: Adobestock

Landkreis Rotenburg. Der ehemalige Bundeswehrsoldat Florian G. aus Scheeßel ist vom Landgericht Verden wegen dreifachen Mordes und fahrlässiger Tötung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 33-Jährige in der Nacht zum 1. März 2024 vier Menschen tötete. Die Richter stellten die besondere Schwere der Schuld fest, womit eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen ist.

„Wie im Häuserkampf“

Nach Überzeugung des Gerichts handelte Florian G. aus Wut und Rache, da seine Ehefrau ihn verlassen und eine neue Beziehung eingegangen war. In einer gezielten Angriffshandlung drang er in zwei Häuser im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) ein. In Westervesede erschoss er den neuen Lebensgefährten seiner Noch-Ehefrau sowie dessen Mutter. Anschließend fuhr er nach Brockel und tötete die beste Freundin seiner Frau, die in dem Moment ihre dreijährige Tochter im Arm hielt. Das Kind wurde ebenfalls tödlich getroffen. Das Gericht wertete dies als fahrlässige Tötung, da Florian G. angab, das Kind nicht bemerkt zu haben. Die Taten waren minutiös vorbereitet. Florian G. nutzte militärische Taktiken, die er bei der Bundeswehr erlernt hatte, und agierte nach Angaben des Gerichts „wie in einem Häuserkampf“. „Rein, suchen, vernichten, fertig“, so der Angeklagte vor Gericht. Er plante die Morde über einen längeren Zeitraum und ging methodisch vor. „Wie es ihm bei seiner Ausbildung beigebracht wurde, schlug er das Badezimmerfenster ein, gab zunächst fünf Schüsse blind in den Raum ab“, hieß es in der Anklageschrift. Die Staatsanwältin beschrieb sein Vorgehen als besonders kaltblütig und verglich ihn mit einem „Berufskiller“. Sie betonte seine Emotions- und Empathielosigkeit und sprach von nahezu hinrichtungsähnlichen Taten.

Jeden Tag ein Femizid

Der Fall Florian G. reiht sich ein in eine alarmierende Serie von Gewaltverbrechen an Frauen in Deutschland - für gewöhnlich ist allerdings die Ex-Partnerin selbst das Ziel der Gewalt. Die Taten von Florian G. können als Stellvertreter-Femizid interpretiert werden. Solche Taten zielen darauf ab, die Frau durch die Ermordung ihr nahestehender Personen zu bestrafen oder zu kontrollieren.

Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 938 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten, was einem Anstieg von 1,0 Prozent gegenüber 2022 entspricht. Von diesen Taten wurden 360 vollendet, sodass nahezu täglich ein Femizid verzeichnet wurde, wie erste Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ darlegt.

Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein, insbesondere im Hinblick auf vermisste oder schwer verletzte Frauen.

Die kontinuierlich hohen Fallzahlen werfen die Frage auf, warum bestehende Schutzmechanismen nicht ausreichend greifen. Dabei gibt es bereits verschiedene Instrumente, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Dazu gehören polizeiliche Wegweisungen, Kontaktverbote sowie spezielle Hochrisikomanagement-Programme in einigen Bundesländern. Im Fall von Florian G. hat eine Gefährderansprache der Polizei stattgefunden, nachdem ihn seine getrennt lebende Ehefrau wegen Bedrohung angezeigt hatte. Florian G. sah diese Maßnahme aber als Gefahr für seine Ehe und seine Karriere bei der Bundeswehr und reagierte darauf mit zunehmender Aggression. Für eine solche Eskalation - das stellte auch der zuständige Richter im Prozess fest - habe es bei der Ansprache noch keine Anzeichen gegeben.

Warnsignale vorhanden, aber nicht ernst genommen

Untersuchungen zu Femiziden zeigen, dass es in vielen Fällen deutliche Vorzeichen gibt. So weisen Forscherinnen wie Jane Monckton Smith darauf hin, dass es klare Eskalationsmuster gibt, die auf eine zunehmende Gewaltbereitschaft hinweisen. Besonders gefährlich sei der Zeitpunkt der Trennung, da Täter dann häufig ihre Kontrolle über die Partnerin als verloren betrachten und gewaltsam versuchen, sie zurückzugewinnen.

Ein entscheidendes Problem sei, dass viele Täter über längere Zeit hinweg durch Kontrolle, Drohungen oder Gewalt auffallen, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen nach sich zieht. Laut der Rechtspsychologin Luise Greuel seien viele Täter bereits in früheren Beziehungen gewalttätig gewesen. „Es gibt Muster, die immer wieder auftauchen“, erklärt Greuel. Stalking, extreme Eifersucht und das Bedürfnis nach vollständiger Kontrolle seien häufige Frühindikatoren für spätere Eskalationen.

Diese Eskalation verlaufe dann oft in mehreren Stufen. Monckton Smith beschreibt ein Acht-Stufen-Modell, das Femizide vorhersagbar machen soll: Am Anfang steht eine übermäßig intensive Beziehung, oft mit schnellen Bindungen wie Zusammenziehen oder gemeinsamer Familienplanung. Darauf folgt eine Phase zunehmender Kontrolle, in der der Täter das soziale Umfeld der Frau einschränkt, ihr Verhalten reguliert und sie finanziell abhängig macht. Die Gewalt nimmt dann schrittweise zu, oft beginnend mit verbalen Drohungen und Besitzansprüchen. Sobald die Frau eine Trennung vollzieht, kann dies zur Eskalation führen - ein Moment, den Experten als „rote Flagge“ für akute Gefahr sehen.

Zudem zeigen Studien, dass viele Femizide nicht spontan aus einer Affektsituation heraus geschehen, sondern über lange Zeit vorbereitet werden. Täter - wie Florian G. - beschaffen sich oft im Vorfeld Waffen, legen sich Pläne zurecht oder lauern ihren Opfern gezielt auf. Der Soldat aus Scheeßel besaß drei legale Waffen (nicht aus dem Bestand der Bundeswehr), die in einer Besitzkarte eingetragen waren.

Kurz vor der Tat hatte seine Noch-Ehefrau Florian G. wegen Bedrohung angezeigt. In solchen Fällen ist eine Prüfung durch die Waffenbehörde vorgesehen. Die zuständige Stelle im Landkreis Rotenburg gab vor Gericht an, nichts von der Anzeige gewusst zu haben.

„Das sind keine Taten im Affekt“

„80 Prozent der Femizide sind lange geplant, sind manchmal über Jahre vorbereitet worden“, erklärt die Journalistin Julia Cruschwitz, die seit Jahren intensiv zum Thema recherchiert. „Und das ist auch was, was der öffentlichen Wahrnehmung komplett entgegensteht. Das sind keine Taten im Affekt, das sind nicht diese Taten aus Leidenschaft und Eifersuchtsdrama.“

Auch Cruschwitz betont in ihren Recherchen: „Es gibt fast immer Anzeichen und es gibt oft klare Muster, aber es schaut niemand richtig hin.“ Das belegen auch Studien.

Obwohl in Deutschland Schutzmechanismen existierten, würden sie oft nicht wirkungsvoll umgesetzt. Ein Beispiel sei das Hochrisikomanagement, das in einigen Bundesländern bereits praktiziert wird. Dabei füllt die Polizei nach Fällen häuslicher Gewalt standardisierte Fragebögen aus, um die Gefährdung einer Frau einzuschätzen. Ab einer bestimmten Punktzahl wird ein interdisziplinärer Krisenstab eingeschaltet. Neben der Polizei sind dann auch Jugendämter, Frauenhäuser und die Justiz beteiligt.

Doch dieses Verfahren wird bisher nur in vier Bundesländern angewendet. „Wir haben diese Instrumente, aber wir nutzen sie nicht systematisch“, kritisiert Cruschwitz. „Es gibt keine einheitlichen Standards, keine bundesweite Verpflichtung. Dabei zeigt sich, dass Hochrisikomanagement hilft, Femizide zu verhindern.“

Hinzu komme, dass bestehende Schutzmaßnahmen wie Wegweisungen oder Kontaktverbote nicht immer eingehalten werden. „Es gibt kaum Kontrollen, ob sich Täter an Annäherungsverbote halten“, so Cruschwitz. „Frauen müssen sich oft selbst um ihren Schutz kümmern, anstatt dass der Staat aktiv wird.“

Die Gefährderansprache gegenüber Florian G. wirkte sogar eskalierend - so schilderte es der Angeklagte selbst. Wie häufig polizeiliche Maßnahmen auf diese Art ihr Ziel verfehlten, sei schwer festzustellen, sagt der Pressesprecher der Polizeiinspektion Rotenburg, Marvin Teschke: „Wir können nur die Fälle erfassen, die bei uns angezeigt werden. Wie oft eine Frau anschließend noch in Gefahr ist, lässt sich durch uns nicht darstellen. Wir können nur erfassen, ob eine Frau erneut Opfer einer Straftat geworden ist, sofern angezeigt. Ob das ‚trotz‘ oder ‚in Folge‘ der polizeilichen Maßnahme geschehen ist, kann durch uns in den meisten Fällen nicht erfasst und gesagt werden.“

Braucht Deutschland rechtliche Reformen?

Angesichts der anhaltend hohen Zahlen und der ineffektiven Umsetzung von Schutzmaßnahmen gibt es immer lautere Forderungen nach Reformen. Eine Möglichkeit wäre die gesetzliche Verankerung eines eigenen Straftatbestands für Femizide. In Spanien wurden bereits spezielle Strafverschärfungen eingeführt, um Tötungen aus geschlechtsspezifischem Hass besonders zu sanktionieren.

Auch der Deutsche Juristinnenbund fordert eine Präzisierung der Mordmerkmale im Strafgesetzbuch. „Wenn eine Frau ermordet wird, weil sie eine Frau ist, dann muss das explizit im Gesetz stehen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb). Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat bereits 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der keinen eigenen Straftatbestand vorsieht, „geschlechtsspezifische“ Beweggründe jedoch als besonders verwerflich einstuft. Die Änderung im Paragraf 46 des Strafgesetzbuches wurde beschlossen.

Julia Cruschwitz zieht dennoch ein ernüchterndes Fazit zu ihrer Recherche über Femizide in Deutschland: „Wir glauben, wir seien ein emanzipiertes Land. Aber wir haben immer noch patriarchale Strukturen in Justiz und Gesellschaft, die verhindern, dass Frauen ausreichend geschützt werden.“ Die Forderung nach umfassenderen Reformen und einer konsequenteren Umsetzung bestehender Gesetze bleibt bestehen. Dass der Täter trotz erwartbarer Höchststrafen gegenüber einem psychiatrischen Gutachter erklärte, dass er seit den Taten „wieder besser essen und schlafen“ konnte, sagt somit auch etwas über die Gesellschaft aus, in der Florian G. seine Taten begann.


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