Maurice Höfgen

Merz toxisches Geschäft mit der Angst

Maurice Höfgen kritisiert, dass Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Wahlkampf auf Angst und Alarmismus setzt. Beides komme letztlich nur der AfD zugute.

Bild: Stepro

Spätestens seit der Gewalttat von Aschaffenburg dominiert eine altbekannte, aber brandgefährliche Taktik den Wahlkampf: das Geschäft mit der Angst. Rechte Parteien weltweit haben es perfektioniert nun will CDU-Chef Friedrich Merz es für sich beanspruchen. Sein Rezept: Ängste schüren, Probleme dramatisieren, Wähler emotionalisieren, Symbolpolitik betreiben. Nicht, um Lösungen umzusetzen, sondern um Stimmen zu gewinnen.

Ein eindrückliches Beispiel lieferte er im Bundestag. „Was muss eigentlich noch alles geschehen?“, fragte er theatralisch und setzte noch einen drauf: „Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden?“ Seine Rhetorik vermittelt bewusst ein Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust. Denn wer Angst hat, ist leichter manipulierbar, sehnt sich nach einfachen Lösungen und kompromisslosen Politikern.

Bitter: Die Angst vor einer gewaltbereiten „Horde Fremder“ verfängt. Laut Angstindex der R+V-Versicherung ist die Furcht der Deutschen aktuell sogar größer als während der Pandemie. Neben finanzieller Unsicherheit gehören Migration und damit verbundene Spannungen zu den größten Sorgen.

Und weil Ängste Fakten schlagen, konstruiert Merz aus Aschaffenburg eine Bedrohungslage, die die Statistik nicht hergibt. Natürlich war die Tat furchtbar - wie auch die Angriffe in Mannheim, Solingen oder Magdeburg. Doch sie allein gefährden nicht die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ und rechtfertigen auch keinen nationalen Notstand. Eine solche Notlage kann allein der Europäische Gerichtshof feststellen - und der orientiert sich an Fakten, nicht an Einzelfällen oder Wahlkampfsprüchen.

Die Fakten sprechen gegen Merz. 2024 wurden ein Drittel weniger Asylanträge gestellt als im Vorjahr, während die Abschiebungen um 20 Prozent gestiegen sind. Kriminalitätsstatistiken belegen keine explosionsartige Zunahme von Gewalttaten durch Migranten. Im Gegenteil: Seit 2005 ist die Zahl ausländischer Tatverdächtiger im Verhältnis zur Anzahl ausländischer Einwohner gesunken. Und es gibt trotz wachsender Bevölkerung heute weniger schwere Gewaltverbrechen als in der Vergangenheit. 1993 gab es 1.468 erfasste Fälle von Mord und Totschlag, 2023 waren es 659.

Dass es Merz nicht um Sicherheit geht, sondern um politisches Kapital, zeigt sich daran, welche Gewalt er skandalisiert - und welche nicht. Beispiel: Femizide. 2023 wurden in Deutschland 360 Frauen ermordet, fast die Hälfte durch ihren Partner. Merz verliert darüber jedoch kein Wort. Wo bleibt sein Fünf-Punkte-Plan dazu?

Ein weiteres Beispiel: Häusliche Gewalt. 180.715 Fälle wurden 2023 polizeilich erfasst - 13 Prozent mehr als 2019. In 71 Prozent der schweren Fälle sind die Täter Deutsche, bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sogar zu 92 Prozent. Doch anstatt reale Bedrohungen in den Fokus zu rücken, betreibt Merz Panikmache gegen Geflüchtete.

Statt Angst braucht es Verhältnismäßigkeit. Und umsetzbare Lösungen statt kompromisslosen Alarmismus. Denn: Angst stärkt die AfD, normalisiert deren radikale Sprache und legitimiert fremdenfeindliche Forderungen.

Bald werden Merz’ Parolen an der Realität des Regierens scheitern. Weder hat die Bundespolizei genug Personal, um alle Grenzen zu kontrollieren, noch können abgelehnte Asylbewerber ohne Zustimmung der Herkunftsländer einfach zurückgeflogen werden. Auch wird der Europäische Gerichtshof Deutschland keinen asylpolitischen Notstand attestieren.

Merz überdreht die Spirale des Alarmismus - und weckt unerfüllbare Erwartungen. Damit schafft er sich gleich drei Probleme: Erstens wird er seine Wähler enttäuschen. Zweitens verschlechtert er seine Verhandlungsposition für Koalitionen. Drittens macht er es der AfD leichter, ihn aus der Opposition unter Druck zu setzen.

Das Geschäft mit der Angst spaltet die Gesellschaft, verprellt Koalitionspartner, beschädigt die Demokratie und stärkt die AfD - in einer Welt, die mit Kriegen, geopolitischen Krisen und Klimawandel ohnehin an einem gefährlichen Punkt steht.


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