Sarah Lenk

Sarahs Nachtgeschichten: Zu faul, um kinderlos zu sein

Nachtbeobachtungen durch die philosophische Brille, mit dunklem Witz und Kritik - unsere Kolumne von Sarah Lenk.

Bild: Wiki commons

21:43 in irgendeinem Restaurant. Ein Treffen unter Freunden oder im größeren Familienkreis. Es spielt keine Rolle – immer fällt irgendwann ein Satz: Kinder haben mir erst einen richtigen Sinn zum Leben gegeben. Meist geht er einher mit der Empfehlung an Kinderlose, es doch auch mal mit diesem Lebensstil zu versuchen. Denn dann weiß man, wofür man es tut: Für die Kinder.

Dem will ich gar nicht widersprechen. Das scheint mir eine spontan evidente Aussage, die die allermeisten Eltern gern bestätigen. Man weiß plötzlich, wofür man „das alles“ tut. Genau so sollte es auch sein. Wenn man schon Kinder in die Welt setzt, sollte man sein Bestes tun, diesem Wesen ein gutes Leben zu ermöglichen. Keine Frage – alles richtig und gut.

Es erscheint mir lediglich ein bisschen faul. Man macht es sich schon sehr einfach mit der Sinnfrage. Der furchtbare Job, die kaputte Beziehung, das allgemeine Unglück – all das lässt sich prima ertragen und ignorieren durch den Lebenssinn Kind. Man muss sich nicht mehr fragen, ob das, was man tut, glücklich macht oder Sinn ergibt. Klar, man erkauft sich diese existenzielle Faulheit durch eine Menge Arbeit: direkt durchs Kind, indirekt durch die Notwendigkeit, den kleinen Menschen zu versorgen. Eine Menge Sorgen bekommt man obendrauf – lebenslang, hab ich mir sagen lassen.

Aber auf existenzieller Ebene erübrigt sich die Sinnfrage. Und ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist. Man drückt sich durch Fortpflanzung um die existenziellen Fragen. Viel zu viele Leute bekommen Kinder, weil man das halt so macht. Weil ihnen nichts Besseres einfällt. Also im Grunde genau deshalb: weil sie sich die Sinnfrage nicht stellen. Darin steckt eine gewisse geistige Faulheit. Und auf die sollte man nicht stolz sein.

Es ist auch einfach kein wirklich guter Grund, Kinder zu bekommen. Kann funktionieren. Kann aber auch furchtbar schiefgehen. Und wenn es schiefgeht, kommt dabei mindestens ein verpfuschtes, oder zumindest ein anstrengendes Leben heraus. Für das Kind. Und das ist immer scheiße.

Leben in die Welt zu setzen, weil einem nichts Besseres einfällt – immer ein Risiko. Für das Kind, das nicht darum gebeten hat, hier zu sein.

Aber zurück zu den Eltern. Die machen es sich einfach. Haben keine Langeweile, haben immer zu tun, sind zu müde, um noch privaten Interessen nachzugehen. Sagen sie gegenüber Kinderlosen, sobald diese es wagen, über Müdigkeit oder Anstrengung im Leben zu klagen. Aber hinter dieser Elternmüdigkeit steckt oft eine andere Müdigkeit: die, sich selbst einen Sinn zu geben. Damit lässt sich das ganze Leben schönreden: Man hat keinen Spaß daran, aber – muss ja, für die Kinder. Man erträgt den Job, der einen innerlich tötet, für die Kinder. Man bleibt in der missbräuchlichen Ehe, für die Kinder. Man nimmt den ganzen Scheißdreck in Kauf, richtet sich ein in einem Leben, das man so nie gewollt hat – für die Kinder.

Natürlich habe ich hier ein Worst-Case-Szenario an die Wand gemalt. Die düsterste aller möglichen Welten. Aber gerade in der Übertreibung zeigt sich eine Wahrheit, die sonst unsichtbar bleibt: Im „für die Kinder“ kann ein unangenehmes Aushalten stecken. Oder eben – eine gewisse Faulheit, sich und sein Leben einmal so richtig, gründlich und grundlegend zu hinterfragen. Das mag nicht angenehm sein. Aber gerade die unangenehmen Einsichten über sich selbst erhöhen die Chance auf ein gelungenes Leben.

Kolumne von Sarah Lenk

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