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Rückschritt oder Wachstumsimpuls?

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD stößt in Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf ein geteiltes Echo.

Während Vertreter der Industrie und des Handwerks vor allem die geplanten Entlastungen und Investitionen begrüßen, üben Sozial- und Umweltverbände teils scharfe Kritik an den Plänen der neuen großen Koalition – insbesondere an den Vorhaben in der Asylpolitik und den fehlenden Fortschritten bei Demokratie und Transparenz.

 

Lob mit Vorbehalten aus der Wirtschaft

Breite Zustimmung kommt aus dem unternehmerischen Lager. Tobias Hoffmann, Präsident der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen (IHKN), lobt die wirtschaftspolitischen Ziele des Vertrags: „Viele Forderungen der IHK-Organisation sind berücksichtigt worden.“ Jetzt komme es darauf an, dass diese Maßnahmen auch zügig umgesetzt werden. Detlef Bade von der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade sieht „wirksame Entlastungen bei Steuern, Energiekosten und Bürokratie“, kritisiert aber, dass das Papier die Belastung von Unternehmen durch steigende Lohnzusatzkosten ausklammere.

 

Zustimmung und Kritik von Gewerkschaften

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bewertet den Vertrag grundsätzlich positiv. Vorsitzende Yasmin Fahimi spricht von „klaren Perspektiven für Beschäftigte und Wachstum“. Besonders das geplante Sondervermögen für Infrastruktur - das auf Initiative der zukünftigen Regierung noch vom alten Bundestag beschlossen wurde - sowie das Bundestariftreuegesetz und die Rentenniveausicherung finden Zustimmung. Sorge bereite jedoch die geplante Wochenhöchstarbeitszeit: „Die Abkehr von der täglichen Höchstarbeitszeitregelung könnte den Arbeitsschutz schwächen“, warnt die DGB-Vorsitzende Fahimi.

 

Asylrecht und Sozialpolitik in der Kritik

Deutlich schärfer fällt die Reaktion von Menschenrechtsorganisationen und linken Parteien aus. PRO ASYL spricht von einer „Rückschrittskoalition gegen Menschenrechte und Humanität“. Geschäftsführer Karl Kopp warnt, die geplanten Änderungen im Asylrecht bedeuteten faktisch „eine Gefährdung des Flüchtlingsschutzes“ - außerdem widersprächen sie dem Grundgesetz. Besonders die Rückführung ukrainischer Geflüchteter in das Asylbewerberleistungsgesetz sowie die Einschränkungen beim Familiennachzug stoßen bei PRO ASYL auf scharfe Ablehnung.

Auch Die Linke geht hart mit dem Papier ins Gericht. Parteichefin Ines Schwerdtner wirft Union und SPD vor, soziale Spaltung zu vertiefen: „Diese Politik wird den Weg für rechte Parteien ebnen.“ Die Rentenpläne seien laut Fraktionsvorsitzender Heidi Reichinnek „eine Fortschreibung von Altersarmut“.

LobbyControl reiht sich ein und kritisiert den Vertrag als unzureichend im Hinblick auf Transparenz. Die Politische Geschäftsführerin Anja Nordmann spricht von einem „falschen Signal“, das in einer Zeit wachsender Bedrohungen für die Demokratie besonders schwer wiege.

 

Umweltverbände sehen Licht und Schatten

Jörg-Andreas Krüger vom NABU erkennt in der geplanten Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen ein positives Signal. „Wenn die angekündigten Mittel wirklich fließen, kann die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme Fahrt aufnehmen.“ Zugleich warnt er jedoch vor einer Schwächung demokratischer Beteiligung durch die Einschränkung des Verbandsklagerechts. „Die kritischen Töne gegenüber der Zivilgesellschaft sind ein gefährliches Signal.“

 

Grüne mit Frontalopposition

Die Grünen, die eben noch das Sondervermögen mit Union und SPD beschlossen haben, wechseln in den Oppositionsmodus und kritisieren das Ergebnis der Sondierungen ebenfalls. Der Parteivorsitzende Felix Banaszak verurteilt den Koalitionsvertrag als „peinlich“ und beklagt das Ausbleiben von Antworten auf zentrale Krisen. „Das ist ein Armutszeugnis“, so Banaszak mit Blick auf die angekündigte Abschaffung des Bürgergelds. Franziska Brantner bemängelt zudem die fehlende Perspektive für europäische Verteidigungspolitik: „Ein Valium für Europa.“


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