Patrick Viol

Tabubruch mit Folgen

SPD, Grüne und Linke werfen der CDU vor, mit ihrem politischen Manöver die AfD zu normalisieren und damit eine gefährliche Dynamik für die Demokratie in Deutschland zu schaffen.

Droht die Union die demokratische Mitte zu verlassen? Manche sehen dafür deutliche Anzeichen.

Droht die Union die demokratische Mitte zu verlassen? Manche sehen dafür deutliche Anzeichen.

Bild: Elke Hötzel

Das Vorgehen der CDU-Bundestagsfraktion, sich bei einem Migrationsantrag auf Stimmen der AfD zu stützen, sorgt für anhaltende Kritik aus den Parteien links der Union. Politiker der SPD, Grünen und Linken werfen der Union vor, durch ihr Manöver eine Normalisierung rechtsextremer Positionen zu betreiben und die politische Debatte nach rechts zu verschieben.

AfD hoffähig gemacht

Für den Rotenburger Kreistagsabgeordneten Bernd Wölbern (SPD) war der Schritt der CDU kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie. „Es ging einzig und allein um wahltaktische Erwägungen“, kritisiert er. Die CDU habe sich damit ein Image als „Macher“ geben wollen und dabei in Kauf genommen, die AfD weiter zu legitimieren. Besonders gefährlich sei, dass die Union sich dabei Gedankengut angeeignet habe, „wie es der rechtsextremen AfD zugeordnet werden kann“. Damit sei eine „rote Linie des demokratischen Grundkonsenses“ überschritten worden.

Wölbern befürchte zudem langfristige Folgen für die demokratische Kultur in Deutschland. Die Union habe die AfD „ein Stück mehr hoffähig gemacht“ und er befürchte, „dass andere Parteien sich auf diesen Move berufen könnten und Dinge als ‚sagbar‘ und Vorgehen als ‚machbar‘ erachten, die bis vor wenigen Tagen noch undenkbar gewesen wären“, warnt er. Nicht umsonst habe die AfD-Fraktion sich feixend mit Selfies abgefeiert. Er erwarte eine Eskalation: „Die Beißhemmung der Faschisten wurde deutlich reduziert.“

Gestaltungsraum für Rechtsradikale

Auch der Bundestagskandidat Joachim Fuchs (Grüne) zeigt sich entsetzt über das Verhalten von Friedrich Merz. Es sei ein Versuch gewesen, demokratische Parteien zu erpressen. Er spricht von einem „Tabubruch“ und einem klaren Wortbruch gegenüber dem Bundestag und der Bevölkerung. „Die langfristigen Folgen sind noch nicht absehbar“, so Fuchs. Ob die Union das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen könne, hänge maßgeblich davon ab, wie sie sich in Zukunft positioniere.

Derzeit beobachte er eine gefährliche Entwicklung der Partei. „Die Union droht, die demokratische Mitte zu verlassen, und nimmt bewusst in Kauf, Rechtsextremisten Gestaltungsspielraum zu geben“, warnt er mit Blick auf die Geschichte.

Gefährliche Normalisierung

Bundestagskandidat Herbert Behrens (Linke) betrachtet das Vorgehen der CDU als gezieltes Manöver, um die politische Debatte nach rechts zu verschieben. „Ja, es ist eine Gefahr für die bürgerliche Demokratie, wenn auf die Beschaffung von Mehrheiten mit einer offen autoritären und in Teilen faschistischen Partei gesetzt wird“, stellt er klar.

Eine direkte Bezeichnung der CDU als „Steigbügelhalter des Faschismus“, wie sie auf den Straßen laut wurde, lehnt Behrens aber ab. „In der Faschismusforschung wird immer auch auf soziale Lage der Menschen und auf die Interessen des Kapitals Bezug genommen. Diese Analyse ist, glaube ich, nicht abgeschlossen.“ Dennoch sehe er die Gefahr einer schleichenden Normalisierung. Dagegen bedürfe „es eines klaren Bekenntnisses gegen Faschismus und Hetze gegen Minderheiten“, fordert er.

Streit um Migrationspolitik

Neben der Kritik an der CDU steht aber auch die Migrationspolitik der Ampel in der Debatte. Die Union und die AfD werfen SPD und Grünen vor, mit einer zu liberalen Migrationspolitik zur Radikalisierung beigetragen zu haben.

Bernd Wölbern weist diese Darstellung entschieden zurück. Man sehe in seiner Partei zwar in der Migration nicht den Grund allen Übels. Das sei eine falsche Angst-Erzählung. Aber man habe aber ja nicht eine sozialdemokratische oder grüne Migrationspolitik betrieben. Sondern eine im „europäischen Rechtsrahmen“.„‚Offene Grenzen‘ haben wir nur deshalb innerhalb von Europa, weil es seit Jahren nicht gelingt, eine Einigung hierzu in der EU herbeizuführen, die zum einen illegale Zuwanderung minimiert bis verhindert, zum anderen aber dem fundamentalen christlich-humanen Menschenbild nicht völlig widerspricht.“

Außerdem reichten drei „miese Jahre Ampel“ sicher als Grundlage für den Erfolg der AfD nicht aus. Daran haben alle Parteien Schuld.

Joachim Fuchs hält die Argumentation der Union für populistisch und warnt davor, Begriffe wie „offene Grenzen“ bewusst falsch zu verwenden. „‚Offene Grenzen‘ sind eine Errungenschaft der Europäischen Einigung und Zentrum der Europäischen Idee“, betont er. Die aktuellen Abschottungsbestrebungen der CDU seien „eine Einschränkung des Friedensprojektes der EU“. Zudem sei es irreführend, ein Problem wie islamistischen Extremismus pauschal mit Migration zu verknüpfen. „Radikalisierung kann ganz unabhängig von der Migrationsgeschichte stattfinden“, stellt er klar.

Herbert Behrens kritisiert hingegen die Migrationspolitik der Ampel, aber aus einer anderen Perspektive als die Union. Seiner Ansicht nach habe die Bundesregierung mit der Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) „den massivsten Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl, den es je gegeben hat,“ beschlossen. Anstatt eine humane Migrationspolitik zu gestalten, setze die EU auf Grenzverfahren unter Haftbedingungen und Deals mit Autokraten. „Das ist keine Lösung, sondern eine Kapitulation vor dem rechten Diskurs“, kritisiert Behrens.

Auch den Vorwurf, dass SPD und Grüne die Sorgen vieler Bürger über Jahre ignoriert hätten, sieht Behrens kritisch. „Dass die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger nicht im Zentrum der Regierungspolitik stehen, ist kein Phänomen der vergangenen dreieinhalb Jahre.“


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