

Die Bundestagswahl rückt näher und viele Bürger stellen sich die Frage, bei welcher Partei ihre Stimme am besten aufgehoben ist. Wer sein Kreuz nicht bloß auf Grundlage des schönsten Plakats machen will, muss sich schlau machen. An Wahlkampfdiskussionen und Medienberichten zur politischen Debatte kommt dieser Tage niemand vorbei. All jene, die ihre Nerven und Ohren schonen möchten - oder einfach lieber in Ruhe lesen -, können in die Parteiprogramme schauen.
Neben diesen klassischen Quellen gewinnen digitale Wahlhilfen zunehmend an Bedeutung. Sie bieten den Wählern die Möglichkeit, sich gezielt mit politischen Positionen auseinanderzusetzen und ihre eigenen Präferenzen mit denen der Parteien zu vergleichen. Tools wie der Wahl-O-Mat, der Real-O-Mat oder KI-gestützte Plattformen wie wahl.chat und Wahlweise haben dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Methoden.
Wahl-O-Mat: Der Klassiker
Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ist das bekannteste Online-Tool zur Wahlentscheidung in Deutschland. Seit 2002 bietet er eine interaktive Möglichkeit, politische Positionen mit den Programmen der zur Wahl stehenden Parteien zu vergleichen. Nutzer beantworten 38 Thesen zu verschiedenen politischen Themen, darunter Sozialpolitik, Wirtschaft oder Klimaschutz. Sie können angeben, ob sie einer Aussage zustimmen, sie ablehnen oder neutral bleiben. Am Ende der Befragung erhalten sie eine Auswertung, die zeigt, welche Partei mit den meisten ihrer Antworten übereinstimmt.
Der Wahl-O-Mat hat mehrere Vorteile: Er ist leicht verständlich und ermöglicht eine schnelle Einschätzung der eigenen politischen Präferenzen. Nutzer können zudem einzelne Thesen stärker gewichten, wenn sie ihnen besonders wichtig sind. Das erleichtert die Priorisierung eigener Anliegen im Wahlprozess.
Das Tool kommt aber natürlich schnell an seine Grenzen: Die Thesen sind oft stark vereinfacht, sodass komplexe politische Fragen auf einfache Ja-/Nein-Antworten reduziert werden. Geht es etwa um den Spitzensteuersatz, fragt der Wahl-O-Mat schlicht, ob dieser erhöht werden solle. Nuancen - wie zum Beispiel das Ausmaß der Erhöhung oder die nicht unerhebliche Frage, ab welcher Einkommensgrenze verschiedene Parteien den Spitzensatz erheben wollen - bleiben auf der Strecke. Dafür ist jedoch nicht allein der Wahl-O-Mat verantwortlich: Die Wahlprogramme der Parteien gehen oft nicht über grobe Absichtserklärungen hinaus, konkrete Maßnahmen oder gar Zahlen sucht man vergebens.
Der Real-O-Mat blickt auf das Abstimmungsverhalten
Stichwort Wahlversprechen: Der Wahl-O-Mat basiert ausschließlich auf den Wahlprogrammen der Parteien - was seit je her Anlass für Kritik ist. Zu hundert Prozent umgesetzt werden dürften die wenigsten davon - zumal in der Bundesrepublik im Normalfall keine Partei allein regieren kann. Immerhin: Studien kommen zu dem Schluss, dass Versprechen in Koalitionsverträgen (die natürlich schon Kompromisse beinhalten) mehrheitlich eingehalten und tatsächlich realisiert werden. Das gilt laut der Bertelsmann Stiftung sogar für die häufig verspottete Ampel-Regierung.
Wer nicht nur Wahlversprechen vergleichen, sondern wissen will, wie Parteien in der Vergangenheit tatsächlich abgestimmt haben, kann den Real-O-Mat nutzen. Dieses Tool legt eine Auswahl an Gesetzentwürfen (in vereinfachter Form) vor, über die in der letzten Legislaturperiode im Bundestag entschieden wurde. Nutzer dürfen sich nun fragen: Hätte ich diesem Antrag zugestimmt? Der Real-O-Mat wertet vergangene Abstimmungen im Bundestag aus und stellt sie den Antworten der Nutzer gegenüber. Unter der Annahme, dass die Parteien einige grundlegende Haltungen auch in Zukunft vertreten werden, soll das Ergebnis bei einer realitätsnahen Bewertung der politischen Arbeit helfen. Außerdem bietet das Tool für Interessierten die Möglichkeit, das Abstimmungsverhalten mit alten Wahlprogramm abzugleichen.
Natürlich gibt es auch beim Real-O-Mat Einschränkungen: Das Tool kann Parteien, die nicht im Bundestag waren oder Themen, die in der Vergangenheit noch nicht zur Abstimmung standen, nicht berücksichtigen. Zudem bleiben Koalitionszwänge unberücksichtigt. Bei den beiden „O-Maten“ lohnt sich übrigens der Blick in die Kommentare: Die Thesen und Abstimmungen wurden den Parteien vorgelegt und diese erklären in wenigen Sätzen ihre Entscheidungen.
KI-gestützte Tools
Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz verändern sich auch Wahlhilfen. Die Plattformen wahl.chat und Wahlweise setzen auf interaktive Dialoge, um Wählern die Programme der Parteien näherzubringen. Nutzer können Fragen in natürlicher Sprache stellen und die KI durchsucht die Wahlprogramme nach relevanten Antworten. Besonders Hilfreich: wahl.chat verweist bei jeder Antwort auf die entsprechende Stelle im Programm. So können Nutzer sich schnell und einfach zu den für sie relevanten Themen informieren - bekommen allerdings auch nur die teilweise unbefriedigenden Antworten aus den Wahlprogrammen. Gibt eine Partei darin beispielsweise keine Auskünfte zur Einkommenssteuer, spuckt wahl.chat stattdessen einen Satz zur Besteuerung von Unternehmen aus. Der Chatbot erlaubt auch einen Vergleichs-Chat mit bis zu drei verschiedenen Parteien.
Mehr verschiedene Quellen, darunter auch Aussagen aus aktuellen Medienberichten zieht beispielsweise ChatGPT zur Hilfe. Auch das Modell von OpenAI kann als digitale Unterstützung für die Wahlentscheidung dienen - und fühlt sich dabei sogar ausgereifter an, als die speziell für die Wahl entworfenen Tools. Wer bisher völlig planlos ist, kann sich von der KI durch den Prozess führen lassen: „Ich weiß nicht, wen ich bei der Bundestagswahl wählen soll. Kannst du mir Fragen zu politischen Themen stellen, um mir bei der Entscheidung zu helfen?“ So könnte beispielsweise der erste Prompt lauten. Wie viele Fragen man beantworten möchte und wie detailliert diese sein sollen, kann der Nutzer entscheiden. ChatGPT versucht nach eigener Aussage, gezielte Fragen zu stellen, um Mischpositionen und Widersprüche zu erkennen und Prioritäten zu gewichten. Je länger man sich für dieses Spielchen Zeit nimmt, desto schärfer wird das politische Profil, das die KI zeichnet.
Wie immer gelten hierbei natürlich die allgemein bekannten Regeln im Umgang mit künstlicher Intelligenz: Quellen sollten überprüft werden - woher eine bestimmte Information oder Einschätzung stammt, kann man ChatGPT als ersten Schritt einfach fragen. Ob der Nutzer der Wahlempfehlung folgt, bleibt ihm selbst überlassen. Doch auch wenn das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt, sollte man sich im Vorfeld gut überlegen, ob man OpenAI etwas über die eigene politische Einstellung verraten möchte.
Geheimtipp: parteivergleich.eu
Neben den bekanntesten Tools gibt es weitere Online-Angebote, die Wählern eine Orientierungshilfe bieten. Dazu gehört beispielsweise der WahlSwiper, ein interaktives Tool mit Wisch-Bewegungen zur Beantwortung von Wahlthesen. Dabei handelt es sich mehr oder weniger um den Wahl-O-Maten im Tinder-Format.
Ein kleiner Geheimtipp ist das Portal parteivergleich.eu von Michael Schultz. Auch hier gibt der Nutzer seine Zustimmung oder Ablehnung zu Thesen an und erhält dann eine Auswertung. Im Gegensatz zu den bekannteren Tools begegnet man hier einigen erfrischenden, mitunter auch obskuren Aussagen, die von Parteien eingereicht werden können. Plötzlich muss man darüber nachdenken, ob eine internationale sozialistische Revolution der einzige Weg ist, einen Weltkrieg zu verhindern, oder, ob Hunderasselisten durch einen Sachkundenachweis ersetzt werden sollten. Die Parteien haben auch hier die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu kommentieren. Nutzen sie diese Möglichkeit nicht, versucht die Redaktion, entsprechende Informationen in öffentlich zugänglichen Quellen zu finden.