Luisa Mersmann

Eine neue Niere bitte

Die Diskussion um die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende ist nach einem Vorstoß im Bundesrat erneut entbrannt.

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Obwohl in Deutschland rund 84 Prozent der Menschen einer Organspende positiv gegenüber stehen, stagnieren die tatsächlichen Zahlen auf einem niedrigen Niveau. Viele warten jahrelang auf ein Spenderorgan oder sterben, bevor sie eines bekommen. Könnte die Widerspruchslösung der richtige Weg sein?

In Deutschland haben im vergangenen Jahr rund 8.400 Menschen auf ein Spenderorgan gewartet. Nachdem im Jahr 2022 ein starker Rückgang von Organspenden verzeichnet wurde, stieg die Zahl 2023 laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation wieder leicht an. So konnten 965 Spender:innen mit insgesamt 2.877 Organen postmortal einem anderen Menschen helfen. Das sind 96 Spender:innen mehr als 2022.

Dennoch seien sowohl die Zahl der Organspender:innen, als auch die der Menschen, die ein Organ bekommen, zu niedrig. „Wir haben eine katastrophale Situation auf den Wartelisten. Viele Menschen sterben, bevor sie ein Organ bekommen“, erklärt Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Deshalb hat er mit einer fraktionsübergreifenden Gruppe aus Akteuren der SPD, der Linken, Grünen, der FDP und der Union den Vorschlag einer Widerspruchslösung im Bundesrat eingebracht. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach spricht sich dafür aus.

Was ist die Widerspruchslösung?

Diese sieht vor, dass jede Person nach ihrem festgestellten Hirntod automatisch potenzielle:r Organspender:in ist, sofern sie zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Einer Spende zu widersprechen bedarf dabei keiner Begründung. Wenn nichts Schriftliches vorliegt, werden zunächst die Angehörigen gefragt, ob die verstorbene Person sich vorher geäußert hat. Bei Minderjährigen können die Eltern entscheiden, sofern ihr Kind nicht zuvor seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat. Ein erster Anlauf für eine Widerspruchslösung ist bereits 2020 im Bundestag gescheitert.

Positive Einstellung

Mittlerweile habe sich die Stimmung in der Bevölkerung jedoch verändert, heißt es in der Entwurfsbegründung. Laut einer Studie der BZgA aus dem Jahr 2022 stünden rund 84 Prozent der Bevölkerung einer Organ- oder Gewebespende positiv gegenüber. Das mache sich jedoch noch nicht an den Spendenzahlen bemerkbar.

Lena Rebenstorff, Vorsitzende und Sprecherin der SPD Ritterhude, steht der Widerspruchslösung ebenfalls positiv gegenüber. „Ich finde den Vorschlag gut und richtig“, sagt sie. Sie selbst habe seit ihrem 18. Lebensjahr einen Organspendeausweis. Deshalb würde sie für sich auch nicht widersprechen, falls es zu einem neuen Gesetz komme.

Jan-Christoph Oetjen von der FDP Rotenburg und Vizepräsident im Europäischen Parlament spricht sich zwar nicht klar für oder gegen die Widerspruchslösung aus, jedoch müsse diese offen und klar kommuniziert werden. „Auch der Widerspruch selbst muss unkompliziert ausgestaltet werden. Nur so kann man alle Menschen in Deutschland mitnehmen und Widerstand in der Bevölkerung vermeiden.

Kritik am Vorschlag

Dem positiven Feedback gegenüber steht jedoch auch viel Kritik. So bezeichnet zum Beispiel die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr die Widerspruchslösung als Eingriff in die Selbstbestimmung.

Dem stimmt auch Vanessa Zobel vom CDU-Gemeindeverband Bremervörde zu. „Ein solcher gesetzlicher Zwang zur Widerspruchslösung könnte die persönliche Entscheidungsfreiheit der Bürger beeinträchtigen“, sagt sie. Für sie sei es schwierig, „die persönlichen Wünsche der Bürger zu berücksichtigen“. Damit meine sie, dass bei der Widerspruchslösung grundsätzlich alle Organe zur Verfügung stehen, einige Menschen jedoch beispielsweise nur die Hauptorgane spenden wollen.

„Die individuelle Entscheidung soll bei der Widerspruchslösung keine Rolle mehr spielen“, sagt auch Brigitte Neuner-Krämer von den Grünen Osterholz-Scharmbeck. Schweigen dürfe für sie keine Zustimmung in einer so persönlichen Entscheidung sein.

Für Neuner-Krämer sei die Zustimmungslösung, die derzeit gilt, weiterhin der richtige Weg. Nur wer zu Lebzeiten seine Bereitschaft zur Organspende dokumentiert hat, ist potenzielle:r Spender:in. Auch hier werden die Angehörigen gefragt, wenn keine schriftliche Entscheidung vorliegt.

Mehr Aufklärung

Eine Sache, in der sich alle einig sind, ist, dass sich die Menschen insgesamt mehr mit dem Thema Organspende befassen sollte. Die Einführung des Organspende-Registers im März 2024 sei ein erster richtiger Schritt gewesen, um die Rahmenbedingungen in dem Verfahren zu verbessern. „Seitdem haben sich mehr als 120.000 Menschen dort registriert“, so Neuner-Krämer.

Und auch Vanessa Zobel schreibt der Auseinandersetzung mit dem Thema große Bedeutung zu. „Aufklärung und Sensibilisierung sind entscheidend, um fundierte Entscheidungen zu treffen und die Organspendebereitschaft auf freiwilliger Basis zu erhöhen“, sagt Zobel im Hinblick auf ethische Grundsätze wie die körperliche Unversehrtheit.

Laut Oetjen müsse auf jeden Fall etwas getan werden, denn „die Ermutigung zur Organspende lief in den letzten Jahren deutlich langsamer als erhofft“. Doch die Widerspruchslösung allein würde nicht alle Probleme lösen. Mehr Aufklärung und mehr Ermutigung zur Spende seien wichtig.

Vergleich mit anderen Ländern

Dass die Widerspruchslösung durchaus funktionieren kann, sieht man in anderen europäischen Ländern. Ein Beispiel ist Spanien. Weltweit ist Spanien das Land mit den meisten Organtransplantationen. Laut dem Deutsche Ärzteblatt liegt die Spenderquote dort bei 48,9, verstorbenen Spendenden pro eine Million Einwohner:innen während sie in Deutschland nur bei 11,4 liegt (Stand 2023).

Ob die Widerspruchsregelung auch in Deutschland kommen wird, bleibt weiterhin abzuwarten. Der Bundesrat hat jedenfalls am 5. Juli angekündigt, einen entsprechenden Entwurf im Bundestag vorlegen zu wollen.


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