Kinder besser schützen
Gewalt gegen Kinder ist keine Ausnahmeerscheinung. Die Freie Wohlfahrtspflege und der Kinderschutzbund fordern daher ein Landeskinderschutzgesetz und eine flächendeckende Kinderschutzstrategie. Lokale Kinder-und Jugendeinrichtungen begrüßen das.
Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen und der Kinderschutzbund Landesverband Niedersachsen haben ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie die Forderungen nach einem wirksamen Landeskinderschutzgesetz formulieren. Zeitgleich machen die Verbände der Wohlfahrtspflege und der Kinderschutzbund Niedersachsen auf gravierende Defizite aufmerksam. So gebe es bisher keine Einbindung der Fachpraxis in die Entwicklung der Kinderschutzstrategie. Dies wird als dringend geboten angesehen, da Kinderschutz eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe ist. „Diese zu vernachlässigen, wäre eine schwere Hypothek für die Gesellschaft insgesamt“, heißt es von Dr. Gerhard Tepe, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Weiterhin seien die Forderungen nach ausreichenden finanziellen Mitteln und mehr Personal für einen starken Kinderschutz zentral. Ebenso entscheidend sei die flächendeckende Versorgung mit Facheinrichtungen für Beratung und Behandlung. Dazu gehören der Ausbau von Einrichtungen mit den Angeboten Krisen(-intervention), Diagnostik, Trauma-Behandlung und die Einrichtung mobiler Kriseninterventionsteams, um die Unterversorgung mit Trauma-Netzwerken und Kriseninterventionszentren auszugleichen und der Ausbau von Präventions-, Beratungs- und Therapieangeboten für Täter:innen. Die bestehenden Fachberatungsstellen seien in der Einschätzung verschiedener Expertisen sowohl unterfinanziert als auch personell unterbesetzt.
Die Analyse und die sich daraus ergebenden Forderungen der Wohlfahrtspflege und des Niedersächsischen Kinderschutzbundes seien ein wichtiger Schritt zur Etablierung einer qualifizierten Kinderschutzstrategie, betont Petra Fischer vom Kinderschutzbund Bremervörde. Da die Ehrenamtlichen vor Ort die Arbeit nur im Ansatz leisten könnten, sei der Ruf nach fachlicher Kompetenz, flächendeckendem Angebot und gesetzlicher Grundlage auf jeden Fall zu begrüßen.
Missbrauch ist die Spitze des Eisbergs
Kindesmissbrauch sei aber auch „nur“ die Spitze eines Eisberges, so Fischer weiter. Gewalt gegen Kinder beginne schon viel früher. Das könne die spontane Ohrfeige sein, das Fordern eines Kusses für die Tante, der Vorwurf, dass ein Kind etwas „schon wieder falsch gemacht“ habe usw. Dafür zu sensibilisieren, dass Gewalt gegen Kinder oft auch unbewusst beginne, sei eine Aufgabe, die ebenfalls von Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, Kitas und Schulen, aber auch vom Gesetzgeber geleistet werden müsse.
Kinderschutz beim Bremervörder Kinderschutzbund
Der örtliche Kinderschutzbund versuche seinen Beitrag zu leisten, indem er Kindern ermögliche, ohne Benachteiligung am schulischen und kulturellen Geschehen teilzunehmen. Er finanziert bei individuellem Bedarf z.B. Mittagessen oder Klassenfahrten, organisiert Kindertheater oder Kinderfeste (beides gerade vor Ort) und informiert über die Kinderrechte. Er versucht auf Benachteiligung durch Kinderarmut aufmerksam zu machen und Nachteile auszugleichen. Er berät Eltern niedrigschwellig bei Problemen mit Behörden oder mit ihrer persönlichen Familiensituation und vermittelt an weiterführende Hilfeeinrichtungen. Ein Problem sei, dass viele Eltern Angst vor dem Jugendamt hätten. Um die Situation von Kindern zu verbessern, wünscht sich Petra Fischer die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz und eine Kindergrundsicherung, die die finanzielle Situation der Kinder entbürokratisiere, vereinheitliche und vereinfache.
Kinderschutz im SOS Kinderdorf Worpswede
Dass die Verabschiedung eines Landeskinderschutzgesetzes samt einer Kinderschutzstrategie sinnvoll ist und Kinderrechte im Grundgesetz noch auf sich warten lassen, heißt nicht, dass es nichts bereits effektiven Kinderschutz gibt. Im SOS Kinderdorf Worpswede sei das Thema Kinderschutz und Kinderrechte in allen Angebotsbereichen präsent. Zudem sei das SOS-Kinderdorf Worpswede personell und finanziell gut aufgestellt, um den Kinderschutz zu gewährleisten.
„Kinderschutz basiert auf einer Verantwortungsgemeinschaft“, sagt Einrichtungsleiterin Annika Ziemann. Entsprechend würden regelmäßige Schulungen durch externe Experten zum Schutzkonzept für Kinder und Jugendliche implementiert, an denen alle Mitarbeiter:innen des Kinderdorfs - von der pädagogischen Fachkraft, über die Hauswirtschaft bis zur Haustechnik und Verwaltung - teilnehmen müssten, beton Ziemann. Hierbei werden u.a. unterschiedliche Formen von Kindeswohlgefährdung vermittelt und wie man mit ihnen umgeht.
Ein weiterer Baustein praktizierten Kinderschutzes sei eine umfassende Beteiligungsstruktur. So könnten sich Kinder und Jugendliche jeden Alters beschweren, auch Kita-Kinder. Dass sie Rechte haben und das SOS Team verpflichtet ist, mit Erwachsenen ins Gespräch zu gehen, werde den Kindern von Anfang an erzählt.
Auch gebe es einen Kinderdorfrat bzw. ein Parlament, das regelmäßig tage und sich austausche. Eine Gewaltschutzberatung sei vorhanden und es wurde eine Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt für Kinder- und Jugendliche aufgebaut. „Uns ist wichtig, Kindern eine Stimme zu geben und alles dafür zu tun, dass diese Stimme auch Konsequenzen hat“, erklärt Ziemann. Die Beratungskompetenz umfasse mit der eng verknüpften Erziehungsberatungsstelle, der Gewaltschutzberatungsstelle und der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt rund vier Vollzeitstellen und fünf Berater:innen im Landkreis. Darüber hinaus seien die Kinderschutzfachkräfte des SOS Kinderdorfs in verschiedenen Arbeitskreisen vertreten. „Diese Vernetzung sorgt für einen guten, zum Teil sogar überregionalen Austausch. In der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt und unseren weiteren Beratungsangeboten werden betroffene Kinder und Jugendliche, Angehörige und Fachkräfte aus dem gesamten Landkreis Osterholz unterstützt“, so Ziemann abschließend. (pvio/akl/lst)