

Die Zahl der Wölfe in Niedersachsen steigt und mit ihnen auch die Zahl der Nutztierrisse. Laut Bundesamt für Naturschutz wurden für das Monitoringjahr 2022/23 in Deutschland 184 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare sowie 22 sesshafte Einzelwölfe festgestellt. Das entspricht einem Anstieg der Territorien um drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut Wolfsmonitoring der Jägerschaft Niedersachsen gibt es in Niedersachsen derzeit 50 Wolfsrudel, vier Wolfspaare und einen residenten Einzelwolf - insgesamt sind es rund 500 Tiere.
„Und solange der Wolf genug Futter findet, wird er sich weiter vermehren“, sagt Helmuth Blauth, Vizepräsident der Landesjägerschaft Niedersachsen. Das Problem dabei: Immer öfter reißen Wölfe hilflose Nutztiere wie Schafe und sogar Rinder oder Pferde. Für diese Tiere bedeute das unerträgliches Leid und für deren Besitzer:innen eine hohe emotionale Belastung.
Bislang wurden 2.477 Nutztierschäden (Stand: 10.10.2023) im Rahmen des niedersächsischen Wolfsmanagements und -monitorings dokumentiert. 950 Nutztiere fielen im Zeitraum 2022/23 Wölfen zum Opfer.
Deshalb fordert Blauth die schnelle und unbürokratische Umsetzung eines regional differenzierten Wolfs-Bestandsmanagements, die Festlegung von Wolfsobergrenzen wie zum Beispiel in Schweden sowie eine Verringerung des Schutzstatus‘.
„Problemwolf“ ist verschwunden
Der Wolf gehört in Niedersachsen derzeit zwar zu den jagdbaren Arten, genießt allerdings eine ganzjährige Schonzeit und darf nur in Ausnahmefällen „entnommen“ werden: Wenn ein Wolf innerhalb kurzer Zeit zwei Mal Nutztiere gerissen und dabei Herdenschutzmaßnahmen nach der Richtlinie Wolf überwunden hat, wird davon ausgegangen, dass das Tier eine entsprechende Jagdtechnik erlernt hat und weiter Probleme verursachen wird.
Als auffällig gilt ein Wolf, wenn er die Scheu vor Menschen verliert oder mehrfach Nutztiere angreift, erklärt Heiko Ehing, Wolfsberater im Landkreis Osterholz. Dort gibt es seit einigen Jahren ein Wolfsrudel in Garlstedt, in diesem Frühjahr wurde ein neues Rudel zwischen Vollersode und Tarmstedt nachgewiesen. Weitere Rudel gibt es auch im Landkreis Rotenburg - unter anderem in Gnarrenburg. 2021 kam es zu einem dramatischen Vorfall in Neuenkirchen: Mehr als 30 Schafe wurden dort bei einem Angriff gerissen. Inzwischen hat sich die Lage entspannt. „Im letzten Jahr gab es relativ wenige Nutztierrisse“, berichtet Heiko Ehing. Zudem konnte der „Problemwolf“ GW 2403, der an vielen Rissen beteiligt war, nicht mehr nachgewiesen werden. „Der ist verschwunden“, sagt Ehing. Ob das Tier verletzt sei, vom einem fremden Rudel getötet wurde oder weitergezogen ist, könne man nur mutmaßen. Jedenfalls tauchte die DNA des Wolfsrüden in keiner Probe mehr auf.
Das Maß der Dinge finden
Doch meistens verschwinden auffällige Wölfe nicht von selbst. „Wir müssen das Maß der Dinge finden und verhaltensauffällige Wölfe einfacher entnehmen können“, sagt deshalb Helmuth Blauth. Wenn ein Wolf erst einmal gelernt habe, Nutztiere zu reißen, gebe er dies auch an seinen Nachwuchs weiter. Solch ein unnatürliches Verhalten habe keinen Nutzen für die Natur und führe zu Konflikten zwischen Wolfsschützern und Nutztierhaltenden, die sich womöglich noch weiter verschärfen könnten, wenn die Politik nicht endlich handele.
Letztendlich hat Niedersachsen bei der Wolfspolitik allerdings nur einen geringen Spielraum. Die Entscheidungen über den Umgang mit Wölfen werden in Berlin und Brüssel getroffen. Umweltminister Meyer hat aber nach dem kürzlich zum zweiten Mal abgehaltenen Dialogforum Weidetierhaltung und Wolf, bereits angekündigt, in Hinblick auf ein regional differenziertes Wolfsmanagement Druck bei EU und Bund machen zu wollen. Diskutiert wurde dabei zudem über mögliche Maßnahmen wie unkomplizierteren Herdenschutz und pauschale Zuschüsse pro Schaf, Ziege oder Gatterwild.
Bundesumweltministerin reagiert
Bundesumweltministerin Lemke hat nun reagiert und am vergangenen Donnerstag in Aussicht gestellt, dass Wölfe, die „zumutbare Herdenschutzmaßnahmen“ überwunden und Tiere gerissen haben, bald schneller getötet werden können. Demnach könnten Wölfe in zuvor festgelegten Regionen mit erhöhten Rissvorkommen nach dem ersten Riss 21 Tage lang im Umkreis von einem Kilometer von der betreffenden Weide getötet werden - auch ohne DNA-Nachweis.
Bejagung ersetzt keinen Herdenschutz
Der NABU Niedersachsen lehnt indessen die Forderung nach „wolfsfreien Zonen“ oder einem regionalen Bestandsmanagement ab. Der Wolf – der Streifgebiete von bis zu 350 Quadratkilometern nutze – müsste, um solche Zonen umzusetzen, in Niedersachen wieder ausgerottet werden, da die Tiere pro Tag bis zu 70 Kilometer laufen können.
Wissenschaftliche Studien würden zeigen, dass nicht die Anzahl der Wölfe innerhalb des Landes für eine Entnahme von Einzeltieren entscheidend sei, sondern ob diese tatsächlich gelernt haben, fachgerechte Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Wenn letzteres passiere, vertrete auch der NABU die Position, dass eine Entnahme dieser Tiere sinnvoll sei.
Eine Bestandsregulierung durch Abschussquoten sei dagegen rechtswidrig und sinnfrei, da durch die Zerstörung von Rudelstrukturen sogar erhöhte Nutztierrisse resultieren könnten. „Einen solchen Effekt hatten wir bereits in Cuxhaven, wo sich Jungwölfe nach illegaler Tötung ihrer Elterntiere auf das Erbeuten von Rindern spezialisiert hatten“, sagt NABU-Sprecherin Gina Briehl.
Letztendlich ersetze die Bejagung von Wölfen keinen Herdenschutz und trage nicht nachhaltig zur Befriedung von Konflikten bei. Das würden auch die immer wieder irreführend angeführten Beispiele aus Frankreich und Schweden zeigen, bei denen die Nutztierrisse trotz Bejagung nicht zurückgehen.
Der NABU setzt deshalb auf Herdenschutzmaßnahmen. Im Rahmen des Projekts „Herdenschutz Niedersachsen“ seien seit 2017 fast 1.700 Hektar Fläche durch circa 400 Kilometer moderne, wolfsabweisende Zäune geschützt worden. Übergriffe habe es in den entsprechenden Gebieten nicht gegeben.
„Instandhaltung der Zäune ist aufwendig“
Hobbyschafhalter Dieter Capelle aus Kuhstedt hat bisher keinen wolfsabweisenden Zaun installiert, obwohl er seit 2019 durch Wolfsrisse sechs tote sowie mehrere verletzte Schafe zu beklagen hat. „Ich hätte Fördergelder für die Aufstellung eines Zauns bekommen können, doch die Instandhaltung ist sehr aufwendig. Und wer garantiert mir, dass ich eine Entschädigung bekomme, wenn ich womöglich nicht nachweisen kann, den Zaun täglich kontrolliert zu haben“, sagt er. Capelle hat inzwischen seine Herde von 60 auf 30 Tiere verkleinert, lässt die Schafe nur noch tagsüber auf eine nahe gelegene Weide und prognostiziert, dass - wenn sich an der derzeitigen Situation nichts ändere - es künftig immer weniger Schafhalter:innen geben werde.