Lena Stehr

Wachstum ausgebremst

Unternehmen und Gewerkschaften im Elbe-Weser Raum beklagen Investitionsstau.

 

Bild: Sergiy Tryapitsyn

Elbe-Weser-Raum. Während IHK und Unternehmer:innen eine signifikante Reduzierung bürokratischer Lasten sowie niedrigere Energiepreise, Steuererleichterungen und kürzere Genehmigungsverfahren fordern, hält der Deutsche Gewerkschaftsbund nichts von solchen „Gießkannen-Lösungen“.

Laut Konjunkturbericht Elbe-Weser der IHK Stade nimmt die wirtschaftliche Entwicklung im Elbe-Weser-Raum im I. Quartal 2024 erneut ab, vor allem im Baugewerbe und in der Industrie. Durchwachsen sei die Situation im Handel, das Dienstleistungsgewerbe hingegen sei überwiegend zufrieden.

 

Jedes dritte Unternehmen stellt Investitionen zurück

 

Trotz robuster Beschäftigung, sinkender Inflation und teilweise rückläufiger Energiepreise stellt die IHK Niedersachsen zudem fest, dass Unternehmen laut über eine unzuverlässige Wirtschaftspolitik und eine überbordende Bürokratie klagen. Gut jedes dritte Unternehmen habe deswegen im letzten Jahr Investitionen zurückgestellt. Eine verlässliche Politik, eine signifikante Reduzierung bürokratischer Lasten sowie niedrigere Energiepreise, Steuererleichterungen und kürzere Genehmigungsverfahren könnten den Investitionsstau auflösen. Hier seien derzeit allerdings nur ansatzweise Lösungen zu erkennen.

 

Schwer belastet durch unfassbare Bürokratie

 

Boris Thomas von der Bremervörde Wirtschaftsgilde und selbst Unternehmer sieht das genauso. Er sieht die Wirtschaft branchenübergreifend schwer belastet durch „unfassbare und kaum mehr ableistbare Bürokratie sowie Gesetze, welche die Behörden kaum mehr selbst verstehen.“ Thomas spricht von „sinnfreien Formularen und lähmende Prozesse, die jeden Spaß am Fortschritt schnell verschwinden lassen.“

Zudem herrsche ein tiefes Misstrauen in die Kompetenz der Regierung, noch klare und vernünftige Entscheidungen zu fällen. Statt neuer Wertschöpfung werde nur noch vergangener Erfolg verwaltet. „Die Welt hat sich gewandelt - nur verhalten wir uns weiter so wie in goldenen Zeiten“, so Boris Thomas. Statt Aufbruch, Innovationskraft und Leistungswillen beherrschten Diskussionen über Arbeitszeitverkürzung und früherer Renteneintritt die Gespräche. Hier brauche es neue Ansätze, damit Unternehmer die Chance bekommen, neues zu schaffen und zu erschaffen. Davon würden am Ende alle profitieren.

 

Mehr vernetzen und kreative Lösungen finden

 

Über zunehmenden bürokratischen Aufwand klagt auch Anja Kalski vom Vorstand des Wirtschaftstreffs Osterholz-Scharmbeck und Geschäftsführerin des Anzeiger-Verlags. Gerade in Zeiten der Digitalisierung müsste vieles einfacher sein, doch das Gegenteil sei leider der Fall. Kalski betont aber, dass viele der rund 160 Mitgliedsunternehmen sich engagiert und kreativ den Herausforderungen, wie z.B. dem Fachkräftemangel und der steigenden Bürokratie stellen. Insbesondere die Vernetzung von Unternehmen gewinne stark an Bedeutung. Hier könnten oft interessante Lösungen branchenübergreifend gefunden werden.

Und obwohl es im Handel einige Geschäfte gebe, die keinen Nachfolger gefunden hätten, gebe es in der Stadt auch neue Akteure, die mit viel Engagement dafür sorgen, dass Osterholz-Scharmbeck Stadt lebens- und liebenswert bleibe.

 

Doppelte Enthaltsamkeit

 

Dr. Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Niedersachsen, meint, die Wirtschaft leide unter einer doppelten Enthaltsamkeit, da sowohl die Nachfrage als auch die Investitionen im Land zu gering seien. Die zuletzt dramatisch gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie die gegenwärtigen Verunsicherung durch multiplen Krisen hätten die Binnenkonjunktur geschwächt. Die öffentliche Investitionstätigkeit sei trotz enormer Bedarfe bei der maroden Infrastruktur insbesondere durch die investitionsfeindliche Schuldenbremse sowie die restriktive Finanz- und Fiskalpolitik in Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts viel zu niedrig.

Gleichzeitig hielten sich auch die Unternehmen bei ihren Investitionen zurück oder entscheiden sich für andere Standorte, obwohl gerade jetzt die Investitionen etwa in Digitalisierung oder energieeffiziente und klimaneutrale Anlagen erfolgen müssten. Hier spiele neben den zu hohen Energiepreisen auch die Konjunktur dämpfende Geldpolitik der EZB eine Rolle, die Finanzierung der privaten und öffentlichen Investitionen zusätzlich verteuere, so Payandeh. Darunter leide besonders der Hochbau etwa beim Wohnungsbau.

Vor diesem Hintergrund brauche es dringend eine gesellschaftliche Debatte und eine neue politische Haltung, die es sich zum Ziel setzt, das Land grundlegend zu modernisieren und zukunftsfest zu machen.

Ein wichtiger Schritt wäre dabei eine investitionsfreundliche Reform der Schuldenbremse verbunden mit einer milliardenschweren Investitionsoffensive, auch um die wirtschaftliche Entwicklung zu beflügeln. Was hingegen nicht helfe, seien allgemeine Forderungen nach Steuersenkungen oder Deregulierungen. Einerseits gingen von diesen Gießkannen-Lösungen selten zielgerichtete Impulse aus. Gleichzeitig werde der Gestaltungsspielraum des Staates in dieser wichtigen Zeit massiv beschnitten.

 

Auf ideologisch motivierte Debatten verzichten

 

„Als Gewerkschaften wäre unser Wunsch, dass sich alle gemeinsam an einen Tisch setzen, auf ideologisch motivierte Debattenbeiträge verzichten und stattdessen Verantwortung im eigenen Handlungsbereich übernehmen. Das Ziel dabei ist aus unserer Sicht eine nachhaltige und klimaneutrale Entwicklung des Wirtschaftsstandorts, die Wohlstand, Wertschöpfung und Beschäftigung in unserem Land sichert“, so Dr. Mehrdad Payandeh. Für mehr Wirtschaftswachstum würde auch eine steigende Binnennachfrage sorgen. Dafür bräuchten die Beschäftigten aber mehr Geld im Portemonnaie.

Die kompletten IHK-Konjunkturberichte sind online unter www.ihk-n.de und www.ihk.de/stade zu finden.


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