Patrick Viol

Bat & Dad

Kolumne zu Vaterschaft und Fledermäusen von Patrick Viol.

Bild: Adobestock

Wäre Oldenburg eine Hose, dann würde sie sonntags sterben. Sogar manche Cafés haben geschlossen. Entsprechend herausfordernd ist es, den Sonntagnachmittag in Oldenburg mit einem zwar erst acht Monate alten, aber durchaus erlebnisorientierten Baby zu verbringen. Nach dem langen Mittagsschlaf einfach zwei Stunden spazieren zu gehen, ist nicht drin.

Autofahren auch nicht. Hasst er. Und gespielt haben wir schon den Vormittag und frische Luft ist nicht zu unterschätzen. Fürs Baby nicht, aber auch nicht für seine Mutter, weil sie sich dann mal aufs Sofa legen und entspannen kann.

So bin ich letzten Sonntag mit meinem Baby, bzw. mit meinem Sohn zum Oldenburger Bahnhof spaziert. In der Hoffnung, die Ankunft und Abfahrt von Zügen böte meinem Sohn eine gewisse Unterhaltung. Ging nicht auf, die Hoffnung. Der Zeitschriftenhandel gab auch nicht viel her, also zogen wir nach 20 Minuten weiter und kamen zufällig am Horst Janssen Museum vorbei, das auch eine David Lynch Ausstellung zeigt. Und noch bevor ich zu Ende überlegen konnte, ob es eine gute Idee wäre, mit meinem Sohn ins Museum zu gehen, kam eine Mitarbeiterin heraus und fragte mich, ob sie mir den Kinderwagen die Eingangstreppe mithochtragen soll. Also standen wir kurzerhand im Museum, zum ersten Mal überhaupt. Den ersten Raum, der nur Janssens Werke zeigt, fand mein Sohn nur wenig interessant und ich befürchtete schon, dass wir gleich wieder gehen müssen, weil er quengelig wurde. Aber die David Lynch Ausstellung „My house is on fire“ hat ihn abgeholt. Lynch malt wie er Filme dreht: abgründig, grotesk und rätselhaft. Farblich arbeitet er nur mit schwarz und weiß, bzw. hellen Flächen. Zu sehen sind grobschlächtige Figurationen, Köpfe und Feuer, oft in Häusern. Verhandelt wird, wie das eigene Heim un-heimlich oder gar zur Katastrophe werden kann. Durch Feuer, Gewalt und die Wiederkehr des Verdrängten. Mein Sohn und ich waren fasziniert von den großen dunklen Bildern. Babys stehen auf Kontraste und mein Sohn jauchzte mit großen Augen. Ich war eingenommen von der Schönheit seiner Freude und der Wahrheit der Bilder. Denn sie sprachen vieles von dem aus, was mich die letzten Monate beschäftigte: dass mein un-heimlicher geworden, durch die Geburt meines Sohnes. Nicht nur hasst er direktes Sonnenlicht und sieht aus wie eine menschliche Fledermaus, wenn er sich auf dem Arm mit seinen vier Zähnchen kopfüber hängt. Er hat auch wie eine Fledermaus - wie man es in einem alten Volksglauben über Fledermäuse annahm, die einem ins Haus flogen - Tod und Unheil in mein Leben gebracht und Verdrängtes wiederkehren lassen. Versteht mich nicht falsch: Die letzten acht Monate waren die schönste und glücklichste Zeit meines Erwachsenenlebens. Aber eben auch die schwerste und emotional herausforderndste Zeit. Denn wenn ich in die großen Augen meines Sohnes blicke oder ihn beim Schlafen beobachte, kommt es nicht selten vor, dass mich Todesangst überfällt. Meist an dem Punkt, wo ich zugleich unzweifelhaftes Glück erfahre, weil mein Baby ein Wesen ist, dem in seiner ganzen Zart-und Wildheit die volle schöpferische wie lustvolle Potenzialität des Menschlichen innewohnt, welche sich die meisten Menschen auf die Fähigkeit zu Anpassung und unnötigem Drama haben verkümmern lassen.

Die Todesangst resultiert zum einen aus der natürlichen Tatsache, dass ein Baby auf die Welt kommt, bevor es ausgereift und derart hilflos und zerbrechlich ist, dass es einfach aufhören könnte zu atmen. Plötzlicher Kindstod ist eine absolute Psychonummer. Aber der Tod hat mehrere Verstecke. Nicht selten folgt auf den Gedanken, wie hübsch mein Sohn ist, die Angst, er könnte in ein paar Jahren an Leukämie sterben. Oder weil er mir aus dem Arm auf den harten Boden fällt. Ebenso oft schreckt mich seither aber auch der eigene Tod oder der meiner Freundin. Mit dem Wunder neuen Lebens ging also auch die Verstärkung des schrecklichen Bewusstseins für unsere Sterblichkeit und die Unverfügbarkeit unserer Natur einher. Mein Baby ist die totale Konfrontation mit der Zerbrechlichkeit unserer „ersten Natur“, wie die Philosophie seit Aristoteles unseren biologischen Körper fasst. Dabei gehört ihre Verdrängung zum Funktionsprofil des lohnarbeitenden, bürgerlichen Subjekts. Und damit komme ich zur zweiten Form der mich über mein Babyglück ereilenden Todesangst: zu derjenigen, die ausgeht vom Unheil der - wie es bei Hegel heißt, „zweiten Natur“ - von der privatarbeitsteiligen, mehrwertfanatischen Gesellschaft. Seit der Geburt meines Sohnes ist es so, dass die Todesdrohungen der kapitalen Ordnung - Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit - kaum noch zu verdrängen für mich möglich sind. Das Bittere dabei ist, dass beide Ängste einen Widerspruch hervorbringen: Das Leben meines Babys erhöht zum einen den auf mir lastenden gesellschaftlichen Druck und lässt zum anderen meine Verhärtung bröckeln, derer es bedarf, ihm Folge zu leisten. Ich kann es auch zuspitzen: Die Liebe hat meine Position in dieser Gesellschaft geschwächt. Das drückt nicht nur auf die Stimmung. Das macht auch mürbe, vor allem, wenn erschwerend die Ohnmachtserfahrung in der Abhängigkeit von Bürokraten hinzukommt, deren Arbeitsmoral und Selbstachtung am Boden liegen, weil ihnen der Spätkapitalismus ihre Überflüssigkeit mehr als deutlich macht. Die Geburtsurkunde hat man einfach nicht bearbeitet, weil es den Namen unseres Sohnes nicht gäbe, und auf das Elterngeld musste meine Freundin über ein halbes Jahr warten.

Kurzum: Wie die Fledermaus im mittelalterlichen Aberglauben, so hat mein Baby den Teufel im Schlepptau.

Der war zwar schon immer da, aber jetzt hat er mich bei den Eiern und stellt mich vor die teuflische Aufgabe, zugleich um meine Seele zu kämpfen und sie zu verkaufen. Ich denke, dass dieser Konflikt jeder Vaterschaft zu Grunde liegt, und der Umgang mit ihm über ihre Qualität entscheidet. Ich denke aber auch, dass meine Affinität zu allerhand Teufelszeug mir hilft, den richtigen Umgang mit ihr zu finden. Warum ich das annehme, erzähle ich das nächste Mal. Bis dahin stelle ich Euch die Breitflügelfledermaus vor.

Die Breitflügelfledermaus trifft man als typische „Hausfledermaus“ am ehesten im menschlichen Siedlungsraum. In den Häusern halten sich Breitflügelfledermäuse häufig im Dachfirst zwischen Dachpfanne und Isolierung auf. Selten sind sie auf dem Dachboden selbst zu entdecken.

Gleich nach dem Sonnenuntergang fliegen Breitflügelfledermäuse aus dem Quartier. Ihr Flug wirkt relativ langsam, fast behäbig. Die Fluggeschwindigkeit beträgt 20 bis 30 Stundenkilometer. Die Jagdreviere befinden sich häufig nicht in allzu großer Entfernung vom Wochenstubenquartier. Die Tiere jagen bevorzugt nicht nur an Straßenlaternen, sondern auch in Gärten oder Parks

 


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