Kommunen fordern Wende in der Migrationspolitik
Die Debatte um Migrationspolitik verschärft sich. Während im Bundestag das Sicherheitspaket der Ampel-Koalition diskutiert wird, fordert der Deutsche Landkreistag Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Auch hiesige Landräte pflichten bei.
Die Bundesregierung hat ein sogenanntes Sicherheitspaket vorgelegt, das zur Stärkung der inneren Sicherheit und Eindämmung irregulärer Migration beitragen soll. Zu den zentralen Punkten gehört die Verlängerung von Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und Österreich um sechs Monate.
Zudem soll das Rückführungsverfahren beschleunigt werden: Dabei geht es um Menschen, die nach Deutschland kommen, für deren Asylantrag aber ein anderer EU-Staat zuständig ist (wer kein Asyl beantragt, kann ohnehin zurückgewiesen werden, was auch bereits passiert). Eine „Dublin-Task-Force“ von Bund und Ländern soll dafür sorgen, dass die Schutzsuchenden schneller in das zuständige Land gebracht werden. Wie das konkret funktionieren soll, ist offen, denn bisher sind die Mitgliedsstaaten an den EU-Außengrenzen in dieser Frage nicht besonders kooperativ.
Bis 2026 ändert sich vermutlich nichts
Nach dem Dublin-System sind diese Staaten fast allein für eine überwiegende Mehrheit aller Asylanträge in der EU zuständig. Deshalb registrieren sie Schutzsuchende teilweise gar nicht erst und nehmen Menschen nicht wieder auf, die etwa in Deutschland zurückgewiesen werden sollen. Mit der europäischen Zusammenarbeit steht und fällt auch der nächste Punkt: Schutzsuchende, für deren Asylantrag ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen keine Sozialleistungen mehr erhalten - sobald das zuständige Land der Rückführung zugestimmt hat. Wie oft das in der Praxis passiert, bleibt abzuwarten. Die EU hat eine Asylrechtsreform beschlossen, diese müssen die Mitgliedsstaaten bis zum Sommer 2026 umsetzen.
Ein weiterer Bestandteil des Pakets ist die Verschärfung des Waffenrechts, darunter ein Verbot bestimmter Messer, sowie eine Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei, die nun verstärkt anlasslose Personenkontrollen durchführen kann. Neu ist auch, dass Menschen ihren Schutzstatus verlieren, wenn sie ohne zwingende Gründe zurück in ihr Heimatland reisen.
Subsidiärer Schutz hat sich „nicht bewährt“
Als Reaktion auf das Sicherheitspaket hat der Deutsche Landkreistag sich in die Debatte eingeschaltet und Forderungen für eine Wende in der Migrationspolitik formuliert. In einem Interview betonte dessen Präsident, Dr. Achim Brötel, dass die Kommunen und Landkreise „an ihrer Belastungsgrenze angekommen“ seien und eine „strikte Begrenzung der irregulären Migration“ dringend erforderlich sei.
Zu den Forderungen, die in Form eines Positionspapiers auch der Bundesregierung und den Ländern vorgelegt wurden, gehört die Abschaffung des subsidiären Schutzstatus. Diesen genießen Menschen, die zwar weder von staatlichen oder nicht-staatlichen Akteuren verfolgt werden - das sind die Grundlagen des Asylrechts bzw. Flüchtlingsschutzes -, denen aber in ihrem Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Das kann etwa durch die Todesstrafe, Folter, unmenschliche Behandlung oder in Folge eines bewaffneten Konflikts der Fall sein. Das Instrument des subsidiären Schutzes hat sich aus Sicht des Landkreistags „nicht bewährt“. Weil es „allenfalls rudimentär durch zwingendes Völkerrecht vorgezeichnet“ sei, könnten die Staaten der Europäischen Union es „gänzlich abschaffen“.
Oberverwaltungsgericht hält Syrien für sicher
Der Landkreistag spricht sich auch für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan aus und beruft sich dabei auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster.
Das Gericht hatte im Fall eines Syrers (dessen Schutzstatus ohnehin verwirkt war, weil er wegen seiner früheren Tätigkeit als Schleuser in Österreich verurteilt worden war) festgestellt, dass eine „ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilpersonen“ in Syrien nicht mehr gegeben sei. Unterdessen berichtet das US-Militär, der Islamische Staat sei dabei, die Anzahl seiner Terroranschläge in Syrien und im Irak im Vergleich zu 2023 zu verdoppeln. Auch der militärische Konflikt zwischen der Türkei und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) dauert an - was das Gericht in Münster auch einräumt. Die bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschläge erreichten jedoch nicht mehr das Niveau, auf dem Zivilpersonen um ihr Leben fürchten müssen, heißt es in einer Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts.
Afghanistan sei „stabil“
„Auch in Afghanistan herrschen drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban vergleichsweise stabile Verhältnisse“, lässt der Landkreistag in seinem Positionspapier verlauten. Das gilt allerdings nur, insofern man sich dem im Entstehen begriffenen Gottesstaat vollständig unterordnet - und idealerweise keine Frau ist. Afghanische Frauen sind mitunter so verzweifelt, dass sie laut einem Bericht des UNHCR sogar vermehrt in den Iran fliehen. Das jüngste Sittengesetz verbietet Frauen, in der Öffentlichkeit laut zu sprechen. Komplett verhüllen müssen sie sich schon lange, sie dürfen nicht reisen, keinen Sport treiben, keine Parks oder öffentlichen Bäder besuchen. Bildung, politische Teilhabe und freie Berufsausübung werden ihnen verwehrt. In der Öffentlichkeit dürfen Frauen nur mit einer männlichen Begleitperson unterwegs sein, für „unislamisches Verhalten“ drohen Strafen - die auch schon mal mit der Peitsche vollstreckt werden. Aus diesen Gründen werden afghanische Frauen in Deutschland inzwischen öfter als Flüchtlinge anerkannt. Rund 35% der Menschen mit afghanischer Staatsangehörigkeit, die sich in Deutschland aufhalten, sind Frauen.
„Richtiger erster Schritt“
Rotenburgs Landrat Marco Prietz (CDU) bestätigt die Bestandsaufnahme des Landkreistages: „Die anhaltend hohe Zahl der Geflüchteten stellt auch den Landkreis Rotenburg (Wümme) und seine Kommunen weiterhin vor große Herausforderungen.“ Das gelte vor dem Hintergrund des angespannten Wohnungsmarktes vor allem für die Unterbringung. Das Sicherheitspaket der Bundesregierung begrüße er grundsätzlich, so Prietz. „Diese Maßnahmen sind sicherlich ein richtiger erster Schritt. Der Deutsche Landkreistag kritisiert in seinem aktuellen Forderungspapier aber zu Recht, dass es bislang an einem Gesamtkonzept für eine Wende in der Migrationspolitik fehlt.“ Das Positionspapier sei eine gute Grundlage, auf der man gemeinsam mit weiteren kommunalen Spitzenverbänden neue Lösungen erarbeiten könne.
Den subsidiären Schutz abzuschaffen, hält Prietz ebenfalls für eine gute Idee. Er verweist darauf, dass diese Forderung nicht isoliert, sondern „im Zusammenhang mit der gleichzeitig vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeit, nämlich Schutz und Aufnahme der Betroffenen in den Nachbarstaaten ihres Herkunftslandes mit Unterstützung der Europäischen Union“ betrachtet werden müsse. Die rechtlichen Möglichkeiten, den Familiennachzug auszusetzen - eine weitere Forderung des Landkreistages - sollten geprüft und ausgeschöpft werden, meint Prietz.
„Der Landkreis Osterholz schließt sich den Forderungen des Deutschen Landkreistages an und bewertet sie als sinnvoll und wirksam. Jeder Beitrag zur Entlastung ist willkommen“, heißt es auf Anfrage auch aus dem Kreishaus in Osterholz-Scharmbeck. Die Verwaltung weist aber auch darauf hin, dass eine Lösung nur in Zusammenarbeit mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten gelingen könne: „Es wird weiterhin auch auf die schnelle Umsetzung der Reform des europäischen Asylsystems ankommen. Deutschland wird die Herausforderungen nur gemeinsam mit den europäischen Nachbarn lösen können“, so eine Sprecherin des Landkreises.
„Teil unserer demokratischen Werte“
Zivilgesellschaftlich regt sich Widerstand sowohl gegen das Sicherheitspaket als auch gegen die Forderungen der Union, die noch darüber hinausgehen. 27 Institutionen, darunter Amnesty International, Pro Asyl, Diakonie Deutschland, der Paritätische Gesamtverband und die Landesflüchtlingsräte der Bundesländer stellen sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die geplanten Maßnahmen. „Flüchtlingsschutz ist Teil unserer demokratischen Werte“, heißt es in der Mitteilung. „Das Asylrecht dient als erstes Ziel einer Politik, die zunehmend Menschenrechte infrage stellt.“ In vielen EU-Ländern drohe Asylsuchenden ein Leben auf der Straße, Verelendung und willkürliche Haft. „Aus diesen Gründen verbieten deutsche Gerichte immer wieder entsprechende Abschiebungen.“ Entsprechende Forderungen verstoßen in den Augen der Unterzeichner nicht nur gegen europäisches Recht sondern auch gegen Grundprinzipien der Menschenrechte.